Heft 
(1889) 14
Seite
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Deutschland.

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innerer und prinzipieller ist, kurz, daß das Drama nur als eine Nebenform des Epos zu betrachten ist. Diese Anschauung ist in der That eine konsequente, und wären Goethe und Schiller nicht kurz bevor sie zu ihr gelangten, stehen geblieben, so wäre, historisch betrachtet, nichts gegen ihren Standpunkt einznwenden. Denn in der That: es gab Dramen und giebt noch welche, die nichts sind als eine Abart des Epos, wo die Anwendung des Präsens in den Zwischenbemerkungen eine nichtssagende Tradition ist, und wo die Zwischenbemerkungen: darauf sagte, fragte, antwortete, erwiderte w. ebenfalls traditio­nellerweise weggelassen werden: das Buchdrama.

So hat uns Goethes Definition in die Wüste geführt, lind doch ist etwas an ihr, das uns unzweifelhaft sofort, um mit Schiller zu reden,einlenchtet." An den Gegensätzen des vollkommen Vergangenen" undvollkommen Gegenwärtigen" muß, das sagt uns das vornrteilende Gefühl, etwas Richtiges sein, Und dem ist auch so. Der große Fehler aber ist der, daß Goethe sich zu sehr an den schaffenden Künstler klammert, der mit dem Drama etwas als gegenwärtigdarstellt." Ich glaube fast, daß Goethe sich den Dramatiker als eine Art Proteus vorstellte, der sein Drama vortrügt und sich dabei jeweils geschwind von einer Person in die andere verwandelt. Das legt besonders nahe sein merkwürdiger, geradezu irre­führender Vergleich des Dramatikers mit demMimen" im Gegensatz znm Epiker alsRhapsoden." Denn man weiß wirklich nicht, ist seineiner" Mime der Dichter oder jeweils der Schauspieler, der eine bestimmte Rolle spielt. Man ver­gleiche z. B. die beiden Sätze aus dem oben angezogenen Briefe: Wollte man das Detail der Gesetze, wonach beide zu handeln haben, ans der Natur des Menschen herleiten, so müßte man sich einen Rhapsoden und einen Mimen, beide als Dichter, jenen mit seinem ruhig horchenden, diesen mit seinem ungeduldig schauenden und hörenden Kreise umgeben, immer vergegen­wärtigen." Und daneben:Der Mime dagegen ist gerade in dem entgegengesetzten Fall (als der Rhapsode); er stellt sich als ein bestimmtes Individuum dar, er will, daß man an ihm und seiner nächsten Umgebung ausschließlich teilnehme, daß man die Leiden seiner Seele und seines Körpers mitfühle, seine Verlegenheiten teile und sich selbst über ihn vergesse." Was ist nun der Mime? Erst soll er ein Dichter sein, dann soll man auf ihn hören und schauen, dann ist er offenbar eine Person im Stücke oder deren Darsteller, hat auch eine nächste Umgebung. Sind das nun wieder solche kuriose Mimen? Die ganze Darstellung ist so verworren und vieldeutig, daß man fast meinen sollte, die köstliche Erklärung, wonach jede Person des Dramas ein lyrischer Dichter sein soll, der sich hinstellt und uns offenbart, was in ihm vorgeht, gehe ans sie zurück.

Trotz alledem ist aber, darauf komme ich zurück, die Gegen­überstellung von Gegenwart und Vergangenheit für die Unter­scheidung von Drama und Epos nicht unberechtigt. Aber nicht wird im einen Fall etwas als gegenwärtig vom Dichterdar- gestellt," denn das ist entweder ein Unding oder kein unter­scheidendes Merkmal von Bedeutung, sondern die Sache ist einfach die, daß das Drama gegenständlich, das Epos ver­mittelst der Sprache, d. h. poetisch auf uns einwirkt. Wenn ich sage:vermittelst der Sprache, d. h. poetisch," so bedeutet das natürlich nicht, daß ich alles Gesprochene für Poesie halte: immer, bei jedem Kunstwerk, ist ja vorausgesetzt, daß es einen ästhetischen Eindruck ans uns ansübt, daß es uns über den Egoismus hebt n. s. w., und die poetische Kunst ist nun die, welche das mittels des Instrumentes der Sprache bewirkt. Alle Poesie ist auch episch in einein weiten Sinne, d. h. sprachlich darstellend: fiir den das Kunstwerk Genießenden ist das, was ihm vorgetragen wird, stets gegenwärtig; weiß er auch immer, daß die'Handlung vonHermann und Dorothea" z. B. am Ende des vorigen Jahrhunderts spielt, also längst vergangen ist, so bleibt das doch ein bloßes Wissen; jeweils beim ästhe­tischen Genuß der epischen Erznhlnng ist er zu Beginn ein Neugieriger, dessen Ersahrnngslust nun der Erzähler nach seiner Willkür befriedigt. Denn immer ist erstens etwas da, was ich

zu erfahren wünsche, der Stoff, zweitens aber immer ein Be­arbeiter, der bald mehr, bald weniger hervortritt, der mir von dem Stoff zuerteilen kann,so viel, so wenig ihm gefüllt." Darum trügt alle Poesie, die Epik im engern Sinne ebenso­wohl wie die Lyrik und das Lesedrama (dramatisches Gedicht), in sich den Keim zu unumschränkter Subjektivität; denn der einzige, der leibhaftig, ich möchte sagen: plastisch vor uns hin­tritt, ist in der Poesie nur der darstellende Dichter, und je nach seiner Individualität wird er den Stoff formen; nie wird er­gänz verschwinden, denn mit ihm verschwänden ja naturgemäß alle die farbigen Bilder, die hin- und widerstrebenden Charaktere, die Leidenschaften und Stimmungen, die er hervorzaubert. Darum wird er auch, z. B. wenn er ein Gespräch erzählt, den Ton und Stil nur wenig je nach dem verschiedenen Charakter seiner Personen ändern, vielmehr wird stets alles sich in seinem Geiste und Gemüte abspiegeln. (Ans diesem Grunde sind die voll­ständig plattdeutsch geschriebenen Romane Fritz Reuters vor­trefflich, die Erzählungen Ganghofers, Schmidts und vieler anderer, in denen der Erzähler schristdentsch, seine Personen im Dialekt reden, matt und erkünstelt.) Daher die Gleichmäßigkeit der Form, daher die Möglichkeit, metrisch zu sprechen: denn einzig und allein der Dichter spricht ja in Versen, und wenn es heißt:

Aber du zaudertest uvch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest:

«Gerne vertraue ich, mein Freund, euch Seel' und Geist und Gemüt an >"u.s. w-,

so ist ja damit durchaus nicht gemeint, daß der Apotheker und alle die andern in Hexametern reden, sondern der Dichter in seiner behaglichen Ruhe spricht in ihnen, und er ist kein nach- nhmender Asse und kein veränderliches Chamäleon, das bald die Redeweise des Pfnrrherrn, bald des Apothekers, bald Her­manns n. s. w. annimmt. Darum ist es auch durchaus verfehlt, wenn moderne Recitatoren bei solchen Gelegenheiten nicht genug den Schauspieler heranskehren können, wenn sie z. B. bei dem Vor­trage von Goethes Erlkönig genau die Stimmen des alten Vaters, des kranken Kindes, des verführerisch lockenden Elfen­königs und noch die des Erzählers voneinander scheiden: ei nein! Das thnt ein wahrhaft guter, von Affektation freier Erzähler nicht; und der Vortragende ist ja hier zugleich der Darstellende, er wendet die Erzühlnngsweise des Verfassers an, wie sie etwa aus seinen Versen hervorgeht. Wer wahrhaft gut Poesie vortragen will, der muß beobachten, wie wahrhaft gute Erzähler und Erzählerinnen sprechen: nicht klanglos monoton, aber auch nicht geckenhaft deklamatorisch. Denn wenn ich er­zähle, bin ich ein gewöhnlicher lebender Mensch, aber wenn ich etwas schon Erzähltes reproduziere, bin ich ein darstellender Schauspieler, aber nicht einer, der die verschiedenen in der Er­zählung verwandten Charaktere darstellt, sondern das Objekt meiner Nachahmung ist einzig und allein der erste Erzähler, hier der Dichter.

Wenn Goethe vom epischen Dichter meint,er sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedicht nicht selbst erscheinen; er­lese hinter einem Vorhänge am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahierte und nur die Stimmen der Mnsen im allgemeinen zu hören glaubte," so erlaube ich mir der entgegengesetzten Meinung zu sein. Von denMusen im allgemeinen" halte ich überhaupt nichts, daß diese Schattenwesen Stimmen haben, bezweifle ich; mit der Sprache begabt ist mü­der einzelne Mensch, keine Abstraktionen, und wenn ich mir etwas erzählen lassen will, das mich packen soll, so wünsche ich nicht, daß der Dichter sich hinter einen Vorhang stellt, sondern ich will ihn sehen in ganzer Person, und wehe ihm und seiner Dichtung, wenn ich an ihm etwas Niedriges, Un­wahres, Heuchlerisches merke! Was wäre z. B. Goethes Her­mann und Dorothea und Wilhelm Meister oder Gustav Frey­tagsSoll und Haben," träte uns nicht ans jedem Blatte des Dichters ganze Persönlichkeit entgegen? Diese Forderung einer- unbedingten Objektivität des Epikers verkennt eben, daß die Poesie vollständig den Gesetzen des einzigen Werkzeuges, dessen sie sich bedienen kann, unterworfen ist. Die Sprache aber ist selbstverständlich immer und unbedingt an ein ganz bestimmt