Heft 
(1889) 14
Seite
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Deutschland.

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geartetes Individuum gebunden, also subjektiv. Uud weuu ein- ! mal zugegeben ist, daß eine ästhetische Wirkung durch die Sprache erreicht werdeu kann, und niemand bestreitet das, so muß dem Dichter vollkommen die Herrschaft über die Sprache, deren er­sieh bedient, belassen werden. Er kann von seinem eigenen Denken und Empfinden so viel geben, als er nur immer will, sofern es nur der ästhetischen Wirkung nicht schadet, und wer könnte das von vornherein sagen wollen? So sind die Grenzen zwischen Lyrik und Epik im engern Sinne durchaus nicht scharf gezogen: denn die Möglichkeil zu unumschränkter Subjektivität liegt schon in dein Wesen der Poesie überhaupt, wie jedes sprachlichen Ausdrucks, bedingt. In der Lyrik eben tritt nicht nur der Dichter in eigener Person vor uns hin und stellt durch die Symbolik der Sprache vor unfern Geist irgend­welche Gegenstände nnd Handlungen, sondern er behandelt seine eigene Persönlichkeit, sein eigenes Leben, Empfinden und Wollen. So ist also die Subjektivität vor allem in der Lyrik zu Hause, uud mit ihr verbunden ist, wie wir sahen, unweiger­lich eine Einheit des Tones lind der Stimmung, die denn die nahe Verwandtschaft dieser Gattung mit der Musik erklärt.

So erfassen wir denn die Poesie als eine Kunst, die ästhetisch auf uns eiuwirkt durch eine sprachliche Darstellung ans dem Munde (oder der Federst einer Person, die uns mit­teilt, was sie gerade auf dem Herzen hat, in der Form, die sie für die angemessenste hält, oder die ihrem Gemütszustand entspricht.

Gehört nun das Drama auch zur Poesie, zu der Kunst, die vervollkommnet, vertieft uud verfeinert, was in der erzählen­den Redeweise des gewöhnlichen Lebens vorliegt? Benutzt das Drama überhaupt die Symbolik der Sprache, um Vorstellungen in unserem Geiste hervvrzubringen, die uns ästhetisch anregen? Daß dein nicht so ist, daß das Drama etwas ganz anderes ist als Erzählung aus dem Munde einer Person, also etwas ganz anderes als Poesie, ward schon angedeutet, als wir uns mit Goethes Unterscheidung voll Drama uud Epos auseinander- setzteu. Das Drama ist nicht ein Teil der Poesie,

sondern der Plastik, d. h. der Kunst, die den ästhetischen Eindruck durch Gegenstände oder ihre Nachbildungen, aber nicht durch für sie cintreteude willkürliche Symbole hervorbriugt. Die bedeutendsten dieser ästhetisch wirkenden Gegenstände sind für uns natürlich handelnde und redende Menschen.

Man kennt vielleicht die Anekdote: Ein Lehrer setzt seinen Schülerinnen den Begriff des Dramas auseinander, als er plötzlich bemerkt, daß eine derselben unachtsam ist. Er wirft ihr einen Federhalter all den Kops.Was ist das?" fragt er. Keine weiß, was er will, bis er schließlich entscheidet: Das ist ein Drama." Ein paar Wochen später kommt ein anderer Lehrer zufällig im Laufe seiner Darstellung auf dieselbe Frage:Was ist ein Drama?" Da wirft ihm die gefragte Schülerin rasch entschlossen ihren Federhalter an den Kopf. Der Witz liegt darin, daß das Mädchen eine Gans war und eiil Beispiel für eine Definition nahm; aber der Ernst ist, daß jener erste Lehrer einen vollkommen richtigen Begriff vom Drama hatte.

Das Drama wirkt gegenständlich, wie alle Plastik. Sein Verhältnis zur Plastik im engern Sinne, zu Malerei und Skulptur, kann recht, hübsch symbolisch gezeigt werden durch das Märchen vom Dornröschen: Alles liegt in tiefster Ruhe, der König uud die Königin und die Königstochter nnd die ganze Höflingsschar; alles ist vollendeter Zustand, oder besser gesagt, erstarrte, Plötzlich fixierte Handlung, in der Ruhe des Zustandes sehen wir den Verlauf einer Handlung angedeutet: das voll­kommene Abbild der Plastik. Da plötzlich erscheint der fremde Königssohn, Dornröschen erwacht, der König reckt sich und setzt seine Krone zurecht, die Königin reibt sich die Augen, die Hunde bellen, die Höflinge gehen ihrer gewohnten Beschäftigung nach: aus der erstarrten Plastik hat sich das lebendige Drama entwickelt. .Schluß folgt,.

Vom Bilderbuch.

Von

Or. A. H. Meyer.

Das Kind lwgrcift nur, was es sieht," aber es sicht nicht stets, was es begreift,

as ist noch einer, der den Kindern ihren Weihnachts­baum anzüudeu kann. Nach ihm wird's keiner mehr können" so sagte der feinsinnige Dichter-Philosoph Otto Ludwig von Ludwig Richters Kiuderbildern.Nach ihm wirlsts keiner mehr können!" Aber schon lauge vor und vielfach neben ihm glaubten sich gar zahlreiche Künstler un­mittelbar zu den höchsten Stellen im Reich der Kindheit be­fähigt, und der Geschmack der breitesten Gesellschaftsschicht, der auch für dieses Ressort das entscheidende Wort führt, ernannte auch sie zu Hofküustleru von der Kinder Gnaden. Ein statt­licher Hofstaat wurde so geschaffen, und fast jedes Weihuachts- sest bringt neue Bewerber. Für ihre Aufnahme ist naturgemäß kein einheitlicher Kodex vorhanden. Seit der wackere Johann Amos Comenius 1641 in seinerSprachenpforte" den päda­gogischen Wert des Bilderbuches zum erstenmal praktisch be­wiesen, haben sich die verschiedenartigsten künstlerischen Per­sönlichkeiteil der neuen, prächtigen Aufgabe zugewendct. Be­sonders unsere deutschen Künstler können hier auf einen reichen Stammbaum zurückblickeu, dessen berühmte Namen freilich erst der jüngsten Vergangenheit angehören nnd von der Gegenwart würdige Gefolgschaft erwarten dürfen. In der Thal, diealte" Generation der Speckter, Richter und Pletsch stirbt nicht aus, solange ein Paul Mohn uud ein Earl Gehrts die Pracht und Herrlichkeit der deutschen Märchenwelt schildert, ein Fedor Flinzer und Gustav Süs den Tieren Sprache ver­leiht, nnd eiil Elaudius, ein Fröhlich, ein Thumaun dem Kind vom Kinde erzählt. Aber neben diese Gestaltenwelt erlauchten Blutes, die ihren mythischen Stammbaum getrost bis zur hehren Göttin der deutschen Poesie hiuausleiten darf, trat eine bunt­scheckige, lustige Schar, die sich mit gleichem Recht einer zwar miuder vornehmen, aber nicht minder alten uud gesunden Ab­kunft rühmt. Ihr Prophet ist der deutsche Volkshumor; der jüngste ihrer Ahnen erfreut sich noch heute unverwüstlicher Lebenskraft, trotz seines zweifelhaften Wappenschildes, welches frank uud frei das Zeichen des Dilettantismus trägt: Du. Hosf- manus Struwelpeter. Freilich braucht dies jüngere Geschlecht seiner Kinder den Vorwurf der Illegitimität nicht mehr zu fürchten. Gehört seine Stammtafel auch demgoldenen Buch" der Künstlergemeiude noch kaum au, so ist sie doch zünftig und trägt die Bürgerkrone mit vollem Rechte. Anerkannten Großen in der Welt des Küustlerhumors, einem Busch, einem Meggem dorfer dankt es sein Dasein, und es führt dasselbe unter den glänzendsten Verhältnissen, welche ihm nicht nur eine reiche Umgebung und farbenprächtige Gewänder, sondern oft selbst auch eine unter den Berufsgenossen bislang völlig unerhörte Freiheit der Bewegung gestatten. Es darf selbstbewußt auftreten, denn es hat eine gesicherte Zukunft, wie seine freilich etwas spießbürgerliche Devise verkündet:

Willkommen ist bei jung und all Humor in jeglicher Gestalt,

Und was natürlich sich bewegt,

Stets unsre Heiterkeit erregt."

Und diesenatürliche" Bewegung, allerdings in weniger wörtlichem, aber nm so bedeutungsvollerem Sinn, befähigt diese heitere Schar auch, einer vornehmen Gesellschaft fremden Stam­mes, die seit einigen Jahren bei uns eiugewaudert ist, guten Acutes gegenüber zu treten. Die modernen englischen Kinderbücher sind zweifellos hohen Lobes würdig. Es herrscht in ihnen meist ein trefflich geschulter Geschmack uud eine fein­sinnige Auffassung. Aber die letztere ist echt national, und diese Eigenschaft, die in der Heimat ein Ruhmestitel ist, erschwert, ja verhindert ein dauerndes Bürgerrecht in der Fremde. Nicht nur in den Typen uud Trachten, sondern auch im Charakter und