Heft 
(1889) 20
Seite
341
Einzelbild herunterladen

tzW 20.

Deutschland.

Seite 341.

Brot zu verdienen. Dn habe ich mir gedacht: Meinetwegen soll es noch schlechter gehen, und ich will alles ansplan- dern, was ich weiß. Ich habe in diesen Memoiren nur da gelogen, wo ich mußte, nämlich, was die Beziehungen mei­nes Herzens betrifft . . . Sie haben das gewiß von einer Dame nicht anders erwartet, welche in einem der feinsten Pensionate von Dresden erzogen worden ist. Niemand, für den mein Herz jemals höher schlug, soll durch mich kom­promittiert werden. Doch die Spiritisten will ich rücksichts­los entlarven und ihnen mit offenem Visier entgegentreten. Sie werden begreifen, hochgeehrter Herr Redakteur, daß ich mich dazu mit einein nonr cke »ucri-c bewaffnet habe, denn das Honorar für diese schriftliche Arbeit kann mir nur kurze Zeit über die Not des Lebens hinweghelfen; ich muß also mein bisheriges Geschäft leider so lange weiter treiben, wie meine schwachen Kräfte es gestatten. Sollten Sie oder einer Ihrer Freunde für mich etwas wissen, so suche ich mit dein besten Willen eilte Stelle als Gouvernante, Kindersräulein, Büffettdame, Stütze der Hausfrau, Kassiererin, Reisebeglei­terin oder so etwas. Ich habe mir als Medium eine große Menschenkenntnis erworben und mein Charakter hat in allen Gefahren des Lebens kaum gelitten ..."

Der Herausgeber hat diesen Worten nicht viel hinznzu- fügen. Die Memoiren der Hildegard Nilson bedurften nur einer geringelt stilistischen Bearbeitung. Die Namen von Per­sonen und ^Städten sind dort, wo die Verfasserin offenbar nicht die einfache Wahrheit gesagt hat, durch gleichgültige Buchstaben ersetzt. Lyrische Stellen, in denen Hildegard Nilson bald schöne Augenblicke in ihr Gedächtnis znrückries, bald mit dem Welt- lanf haderte, mußten ohne Erbarmen gestrichen werden. Hoffent­lich haben die Enthüllungen des Mediums dadurch nicht zu viel ail ihrem Reize verloren.

I.

Wie ich ein Medium wurde.

Ich hatte kaum die Pension verlassen und war noch nicht zwanzig Jahre alt, als der Tod meines Vaters meine Mutter lebte von ihm getrennt und konnte meiner hilflosen Jugend keine Zufluchtsstätte gewähren mich in der äußer­sten Bedrängnis den gefährlichen Kämpfen in die Arme warf. Das Schicksal beeilte sich, mich zu verfolgen. Ich hatte Un­glück mit einein bildschönen Hnsarenlientenant, der mich der Verzweiflung preisgab. Ich hielt mich dann jahrelang als Erzieherin im Hanse eilies Breslauer Industriellen auf. Auch da streifte mich das Unglück in der Gestalt des Kaufherrn selbst, und ich mußte die Stellung bei den lieben Kinderchen unter Umständen anfgeben, welche mir den Beruf einer Er­zieherin erschwerten, ja recht eigentlich unmöglich machten. Die Prüfungen, die meiner in der nächstfolgenden Zeit harrten, will ich mit dem undurchdringlichen Schleier einer wehmütigen Trauer bedecken.

Ich war dem Ende meiner zwanziger Jahre sehr nahe gerückt, als die Vorsehung mir den Alaun in den Weg führte, der bestimmt war, mir zuerst die Bahnen himmelsliegender Be­geisterung und dann meinen Erwerbszweig zn weisen.

Es war wieder in Dresden, und mein Bräutigam, Eduard K. . ., ein Mitglied des dortigen Hoftheaters. Sein Name ist nicht in die Öffentlichkeit gedrungen, da er schon damals trotz seiner Jugend infolge von gemeinen Jntriguen wieder entlassen worden war. Eine recht kleine Pension, welche eine gütige Hand ihm ansgewirkt hatte, konnte unsere Bedürfnisse nicht befriedigen. Er unterstützte mich nach Kräften und ihm habe ich es verdankt, wenn ich inein Lebensschiff in dieser stür­mischen Zeit fleckenlos zwischen allen Klippen hindnrchsteuerte.

Wir waren beide fleißig. Wir schrieben für das Hof­theater Rollen aus den Stücken hervorragender Dichter ans und widmeten unsere Dienste in solcher Richtung auch Privat­leuten der besten Gesellschaft.

Unser Leben war ärmlich, aber nicht freudlos. Wir hatten sehr häufig Freiplätze in einein Theater, und die übrigen Abende

verbrachten wir in verschiedenen Vereinen, in welchen uns gegen kleine Dienstleistungen der Mitgliedsbeikrng erlassen wurde. Mein Bräutigam wurde überall als Herr Sekretär angeredet, und mir verschaffte mein höherer Bildungsgrad bei Herren und Damen ein unverdient freundliches Entgegenkommen. Unter den Vereinen war mir damalsdie Eintracht," wo viel Theater geprobt und getanzt wurde, der liebste; am unbehaglichsten fühlte ich mich in dem SpiritistenvereinJenseits," weil da wirklich eine langweilige Gesellschaft znsammenkam, und ich schon zn jener Zeit nicht daraus klug werden konnte, welche die Dummen und welche die Spitzbuben wären. Eduard aber ließ nichts ans die Spiritisten kommen und hielt auch mich an, mich an den eigentümlichen Ton dieser Gemeinde zn ge­wöhnen; denn er bezog als Sekretär desJenseits" ein kleines, aber sicheres Einkommen und hatte durch Kopierung von Gei- stermitteilnngen mitunter hübsche Nebeneinnnhmen. Oft sagte er vorwurfsvoll zu mir:Schade, daß Dn kein Medium bist." Ich gab nur infolgedessen redliche Mühe, Medium zn werden und Geisterschreiben zn lernen. Das war nicht leicht. Unser Vereinsmedium, Frau B. . ., ließ niemanden an ihr spiriti­stisches Tischchen heran, und wir hatten nicht so viel Ver­mögen, um uns selbst eines anschaffen zn können. Glücklicher­weise paßte einer meiner Schlüssel zn dem Schranke, in welchem das Tischchen tagüber verschlossen war. Ich verfehlte nicht, von dem Tage dieser Entdeckung an, jeden Morgen ein bis zwei Stunden im Vereinslokale znzubringen und Geisterschrei­ben zn üben, bis ich von mir sagen konnte, daß unser Vew einsmedium selbst es nicht besser machte als ich. Das kostete Schweiß. Nähmaschine ist dagegen gar nichts.

Das spiritistische Tischchen der Frau B . . . war nicht voll der gewöhnlichen amerikanischen Konstruktion, welche ich später kenneil und schätzeil lernte. Es war aus der Fabrik eines Reichenberger spiritistischen Tischlers hervorgegangen. Das leichte Tischchen bestand ans drei schräg sich kreuzenden Füßen und einer kaum tellergroßen Platte. Aus dem leichte­sten Holze hergestellt, hatte es ein Gewicht von nur zweiein­halb Pfund. Zwei Füße gingen auf leichten Rollen, der dritte, etwas längere, endete in einem Faberschen Bleistifte. Schon nach acht Tageil war es mir ein Leichtes, große Buchstaben an die Wand zn schreibeil, wenn ich das Tischchen beim oberen Ende des Bleistiftfußes anfaßte; man mußte sich nur an das ungewohnte Gewicht gewöhnen. Aber das Tischchen ans ein weißes Blatt Papier zu stellen, die Hände oben auf die Platte zn legen und so leserliche Buchstaben, nicht zn groß, hinznmalen, dazu brauchte ich eine Übung von mehr als einem Vierteljahr.

Während ich heimlich diese Studien trieb, dachte ich gar nicht daran, wohin das führen sollte. Ich erfüllte einfach den Willen meines Eduard, und ans seine Anordnung geschah es auch, daß ich in den Sitzungen mitunter Fluidum spürte, in Tranee geriet, oder wie man sonst den Zustand nennt, in welchem ich wie eine richtige Somnambule Unsinn redete. Die Sache machte mir aber keinen Spaß und es kam auch nicht viel dabei heraus, außer daß Frau B. . . jedesmal in großen Zorn geriet und nur einmal drohte, mir das spiritistische Tisch­chen um die Ohren zu schlagen.

Um die Zeit, da ich mit meinen: Tischchen schreiben konnte, daß es eine Lust war, nahm in unserem spiritistischen Verein eine Manifestation der Geister überhand, welche alle Mitglieder zur Anteilnahme veranlaßte. Ein junger Arzt, der erst seit einigen Monaten zu uns zählte, erwies sich als ein ungewöhn­lich starkes indirektes Medium, d. h. er geriet nicht selbst in Extase, aber in seiner Gegenwart und durch seine Berührung war unser Bereinsmedium im stände, medizinische Geister ans dem Altertum und der Neuzeit zu eitieren und sie ans Wunsch mit Hilfe des Tischchens Rezepte schreiben zu lassen. Diese Rezepte wurden in den Apotheken natürlich nicht respektiert, trotzdem sie Unterschriften von verstorbenen Berühmtheiten trugen; auch waren sie oft unleserlich oder fehlerhaft, weil unser Bereinsmedium doch gar zu unwissend an die Sache herangetretcn war. Der junge Arzt nun, ein Dr. R. . der