Heft 
(1889) 21
Seite
352
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Deutschland.

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lebnissen, um nicht zu sagen aus eigener Erfahrung, welche Launen Gott Amor hat und in welchen Sprüngen und Ab­weichungen er sich gefällt. Man kann beinah sagen, er hat! eine Vorliebe für den Ansnahmefall. Aber Ihr Onkel? Ihre Familie?"

Das eben ist es, Baron, weshalb ich zu Ihnen komme. Daß meine Famikie niemals znstimmen wird, ist mir gewiß, auch liegt es mir fern, nur den Versuch dazu machen zu wollen. Ich respektiere die herrschenden Anschauungen. Aber man kann in die Lage kommen, sich in thatsächlichen Widerstreit zu dem zu setzen, was man selber als durchaus gültig anerkennt. Das ist meine Lage. Meine Familie kann den Schritt nie gut heißen, den ich vorhnbe, braucht es nicht, soll es nicht, aber sie kann ihn gelten lassen, ihn verzeihn. Und diese Verzeihung macht' ich haben, nichts weiter. Ich will keine guten Worte Horen, aber wenn's sein kann, auch keine bösen. Es genügt mir, einer gewissen Teilnahme sicher zu sein, in der sich dann, aufs letzte hin angesehn, doch immer noch ein Rest von Liebe birgt. Und mir diese Teilnahme zu gewinnen, dazu bedarf ich eines Anwalts. Glauben Sie, daß mein Onkel geneigt sein könnte, dieser Anwalt zu sein? Sie kennen ihn besser als ich. Er gilt für stolz bis znm Hochfahrenden, andrerseits Hab' ich ihn in Situationen gesehn, die die Kehrseite davon waren. Sie wissen, Baron, welche Situationen ich meine. Und nun sagen ! Sie mir, was Hab' ich von dem Onkel zu gewärtigen? Sind Sie der Meinung, daß ich einer heftigen Seene voller Unlieb- samkeiten und vielleicht voller Beleidigungen entgegen gehe, so verzichte ich von vornherein ans den Versuch, ihn zu meinein Fürsprecher bei meinen Eltern machen zu wollen."

Der Baron sah vor sich hin und wribbelte an seinem grauen, etwas mansrigen Schnurrbart. Endlich, als er cinsah, daß er wohl oder übel sprechen müsse, warf er sich in den Schaukelstnhl zurück und sagte, während er jetzt ebenso nach der Zimmerdecke hinauf, wie vorher zur Erde nieder starrte: Lieber Haldern, wer rät, gerät leicht mit hinein. Und ich gerate nicht gern mit hinein; in nichts. Aber Sie wollen meine Meinung und so mnß ich sie geben und meine Vorsicht opfern. Nun denn, es scheint mir unerläßlich, daß Sie mit Ihrem Onkel sprechen."

Ich freue mich dieser Bestätigung meiner eignen Ansicht."

Sie müssen mit ihm sprechen, sag' ich, ans alle Fälle, trotzdem ich weiß, daß er ein absolut unberechenbarer Herr ist und sich ans lauter Widersprächen zusammensctzt oder doch ans Eigenschaften, die danach anssehn. Er steckt, und insoweit liegt die Sache zunächst nicht allzngünstig für Sie, bis über die Ohren in Dünkel und Standesvvrnrteilen, und doch ist es ebenso gnt möglich, daß er Sie küßt und umarmt und sich vorweg zu Gevatter lädt. Ans Ehre."

Waldemar lächelte vor sich hin, aber es war ein Lächeln, das mehr Zweifel als Zustimmung ansdrückte.

Ja, Waldemar. Sie lächeln. Und wenn ich Ihren Onkel nach seiner Alltags- und Durchschnittslanne beurteile, so kann ich nur sagen, Sie haben ein Recht zu lächeln. Aber, um es zu wiederholen, er ist auch einer völlig entgegengesetzten Auffassung fähig, und ich Hab' ihn im Klub und auch sonst wo Dinge sagen hören, daß mir das Blut in den Adern starrte."

Und in Fragen wie diese?"

Wie Sie sagen; just in Fragen wie diese. War es vor

oder nach dem Kriege, gleichviel, aber es sind noch keine zehn Jahre, daß sich der jüngste Schwilow mit der Duperre ver­lobte, Balletteuse eomE-il-llnit. Sie werden sich ihrer er inner» und damals von der Sache gehört haben. Nun, Walde­mar, wenn ich sage, die Duperrö hatte, was Ruf angeht, einen Knax, so sagt das eigentlich gar nichts, denn sie war ein Knaz vom Wirbel bis znr Zeh chie Zeh selbst war natürlich ihr Bestes) lind alle Welt war außer sich und der Klub ballottierte den armen Schwilow, den sie damals Schmilow und ich weiß nicht wie sonst noch nannten, heraus. Lauter schwarze Kugeln. Was aber that Ihr Herr Onkel? Er gab ihm mit Ostentation eine weiße Kugel. Und als ich ihn aus dem Heimwege nach dem Warum fragte, blieb er vor der Rampe von Prinz Georg stehn, unten wo die Bohlenbretter liegen oder wenigstens damals noch lagen, und Perorierte so laut in die Behrenstraße hinein, daß die Schildwache bis an das Eisengitter der Rampe heran­trat und hinuntersah, nm zu sehn, was es denn eigentlich gäbe. Und was war es, das er sagte? Das wäre der erste vernünf­tige Schritt, den das HanS Schwilow seit 500 Jahren gelhan. Einer wäre beim Eremmer-Damm, in der sogenannteil «ersten Hohenzollernschlacht» für die nen-kreierte Nürnberger^ gefallen, was grad' auch nicht das gescheiteste gewesen, seitdem aber schweige die Geschichte von ihnen, was ein wahres Glück sei, sie würde sonst nur von Imbeciles und im günstigsten Fall von allerlei Durchschnittsware zu berichten gehabt haben, von öden Mittelmäßigkeiten, die sich mit den umwohnenden Jlows (die gerade so wie die Schwilows waren : in einem fort ver­sippten und verschwägerten und sich unausgesetzt der Aufgabe Hingaben, die 10 Ahnen, die sie schon zu Albrecht des Bären Zeiten hatten, ans 32, 04 und 128 zu bringen. Was ihnen denn auch, wie nicht erst versichert zu werden brauche, längst geglückt sei. Denn schon beim Regierungsantritt des großen Kurfürsten hätten sie die Zahl voll gehabt. Und in derselben riesigen Proportion, wie die Ahnenreihe, sei auch die Stnltitia gewachsen, die einzig historisch beglaubigte Ahnsran des Ge schlechts. Und nun passen Sie ans, Papagenv (so schloß er), wir erleben es freilich nicht mehr und können es nur von einein andern Stern ans vielleicht von der Venns, was mir das Liebste wäre - beobachten, aber das sag' ich Ihnen, diese Balletteuse bringt die ganze Sippe wieder ans die Beine, der ganze Stammbaum, der gerade deshalb für uns und die Menschheit so dürr ist, weil er für sich selbst so wunderbar grünt und blüht, kriegt wieder ein andres Ansehn, nnd wo bis jetzt immer nur Landrat oder Deichhanptmann stand, stehen, von Anno l!>00 an, junge Genies, Feldherrn nnd Staats Männer, nnd irgend ein Skriblifax schreibt ein dickes Buch nnd beweist durch Grabschriften nnd Taufscheine, daß die Tnperrö die Tochter oder Enkelin des Admirals Gras Dnperre gewesen sei, desselben prächtigen alten Dnperre, der 1030 Algier bom­bardierte, den Deh von Tunis gefangen nahm nnd fast so vor nehm war wie die Montmorencys oder die Lnsignans,. (Klauben Sie mir, Baron, ich kenne Familien nnd Familiengeschichten nnd mein Wort znm Pfände, wo das alte Blut nicht ansge- srischt wird, da kann sich die ganze Sippe begraben lassen. Und behufs Auffrischung giebt eS nur zwei legitime Mittel: Illegitimitäten oder Mesalliancen. Und, sittenstrenger Mann der ich bin, bin ich natürlich für Mesalliancen."

ifN'rksctzuitg folgt.)