Deutschland.
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Von
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ÄEW^T^ieder ist einer aus der glänzenden Suite dahin- !
geschieden, die noch vor wenig Jahren Kaiser!
Alexander II. von Rußland umgab; Gortschakow, !
Orlow, Schuwalow ist soeben Walujew hinüber- ^ gefolgt. Peter Alexandrowitsch Walujew gehörte einer alten, ! wenig begüterten Adelsfamilie an und wurde in Moskau am ! 4. Oktober (22. September) 1815 geboren; er empfing eine! ausgezeichnete Erziehung und brachte es dahin, sieben Sprachen ! mit voller Meisterschaft zu beherrschen. Im April 1831 trat ^ der Sechzehnjährige in die Kanzlei des Moskauer General- s gonvernenrs und zog durch seine edle Haltung, vornehme ! Schönheit und ritterlichen Manieren das Wohlgefallen des Kaisers Nikolaus auf sich, der ihn 1834 zum Kammerjunker! ernannte. Peter Alexandrowitsch war weit entfernt, sich mit! der beneideten Rolle des ersten Beau des Hofes zu begütigen, ; er war vor allem ein Arbeiter. Seit 1834 der ersten Ab- ^ teilung der Geheimkanzlei des Kaisers überwiesen, kam er 1836 zu Rußlands Tribonian, dem Wirklichen Geheimrate Speranski, dem Schöpfer des Swod, gewiß dem größten Legisten und dem Reformator Rußlands, der seine Talente zu würdigen und zu entfalten verstand. 1843 wurde er dem Oberprokurenr des ! neunten Departements des dirigierenden Senats zugeteilt und ^ vom Dienste in der zweiten Abteilung der Geheimkanzkei des Kaisers, den er seit 1840 leistete, enthoben, war von Dezember 1845 bis April 1846 Beamter zu besonderen Aufträgen bei dem Generalgonverneur von Livland, Esthland und Kurland, dem ebenso bigotten wie altrussischen und deutschfeindlichen Generale Golowin, dessen Reisekanzlei er leitete, und trat 1849 in das Ministerium des Inneren unter Graf Perowski. Seit 1852 Wirklicher Staatsrat, ging Peter Alexandrowitsch 1853 als Eivilgonvernenr nach Kurland. Seine vorzüglichen Leistungen hatten ihm in St. Petersburg die Hochschützung aller Vorgesetztem erworben und ihm eine große Aussicht in die Zukunft eröffnet, trotzdem verließ er den Glanz des kaiserlichen Hofes, an dem er Kammerherr geworden, und das Getriebe des Re- giernngsecntrums und zog in die stille Provinz; ein Hauptmotiv dazu war das Unglück, das er in der Ehe mit der launenhaften Tochter von Rußlands beliebtem Dichter, dem Fürsten P. A. Wiasemski, gefunden hatte; desto glücklicher sollte seine zweite Ehe werden, die er, 1854 verwitwet, 1855 mit einer armen protestantischen Generalstochter schloß, und die ihm Gott bis zum März 1883 gewährte. Dort in den Ostsee- Provinzen wühlte die griechische Kirche, um das lettische Landvolk zu bekehren: der Eivilgouverueur Walujew aber wollte nichts davon wissen und war zu ehrenhaft, um zu solchem Jn- triguenspieke seine Hand zu leihen; mit Freude und hoher Shm pathie schante aus sein Wirken der noch heute in den Ostsee- Provinzen unvergessene Generalgouverneur Fürst Suworow, dem alle russische Borniertheit ein Greuel war. Welch ein fähiger Kopf Walujew war, ersah Suworow und wer da Augen zu sehen hatte, aus den Memoires, die er über die Schäden der Administration schrieb, und die thatsüchlich die allgemeine Aufmerksamkeit erregten; Walujew forderte voll Freimut die Abschaffung der Branutweiupncht, von der er behauptete, sie korrumpiere den ganzen Beamtenstand, die eigentlichen Gouverneure seien die Branntweinpüchter, von denen die Beamten einen Hanptteil ihrer Einnahmen bezögen, auch die ganze Polizei sei in ihrer Tasche, und weil Fürst Gortschakow geäußert hatte: «Im lInkKik im llonlla xm^ olik- 86 i'6ou6ill6,» so meinte Walujew, dies Wort könne nur ins Leben übersetzt werden, wenn Rußland sich in solchen administrativen Lebensfragen sammele. Auch sprach er für die allmähliche Aufhebung der Leibeigenschaft. Wir wissen, mit welchem Interesse der hochsinnige Großfürst- Thronfolger die geistvollen Memoires des Staatsrats Walujew
las, und wie ihn als Kaiser ihr Eindruck nicht verließ. 1858 ernannte er Walujew zum Departementsdirektor im Domünen- Ministerium, und Walujew bahnte nun die Abschaffung der Branntweinpacht und der Leibeigenschaft ans den Staats- und Krongütern an, wurde 1859 mit dem landwirtschaftlichen Departement betraut, aber noch in demselben Jahre Präsident des Gelehrtenkomitees im Ministerium der Krvngüter, Geheimrat und Staatssekretär, 1861 Geschäftsführer des Ministerkomitees und Mitglied des Komitees zur Pflege verdienter Eivilbeamten. Der tüchtige Minister des Innern, Lanskoi, der in der Aufhebung der Leibeigenschaft eine politische Notwendigkeit erkannte, fühlte das Sinken seiner Kraft und trat im Frühling 1861 ab, Walujew wurde im April d. I. Leiter des Ministeriums, Präsident der Oberleitung für Kinderasyle u. s. w., im November d. I. Minister des Innern in höchst kritischer Zeit. Er sollte das von Alexanders II. Edelsinn geplante Werk der Emancipation durchführen. Mit hoher Mäßigung leitete Walujew das Stantsschiff Zwischen Scylla und Charybdis, den Klippen der Reaktion und der Überstürzung, hindurch, und wirkte mehr als irgend ein zweiter Staatsmann ans soziale und administrative Reformen ein. Er legte 1861 die Tumulte iu St. Petersburg bei, trennte 1862 die Justiz von der Verwaltung, veranstaltete Untersuchungen über die Lage der Juden, die er wesentlich hob, und betrieb seit Januar 1864 die Einführung der landschaftlichen Selbstverwaltung in den großrussischen Gouvernements; die Semstwo von 1864 sind sein Werk, an dem schon gar viel beschnitten worden ist, und das man gerne ganz beseitigen möchte. Sein Preßgesetz von 1865 beschränkte die Censur kräftig, schuf aber für sie einen unerfreulichen Ersatz in dem viel mißbrauchten Verwarnungssystem. Offen und ehrlich, wie es in seiner Natur lag, mißbilligte er das brutale Treiben Rußlands in Polen, und immer wieder riet er Alexander II. zu Milde und Versöhnung anstatt zur Russifizierung mit Beil und Knute; darum war er Leuten, wie dem Generalgouverneur Grafen Murawiew, dem Peiniger Polens, ein Stein des Anstoßes, und trotz der ergebenen Briefe Murawiews an Walujew, die uns vorliegen, wühlte er beständig gegen Walujew, der Polen zu völliger Autonomie verhelfen wolle, zieh ihn kosmopolitischer Verwaschenheit und persönlicher Eitelkeit, die zu befriedigen ihm wichtiger wäre als Rußlands Heil. Lange hielt sich Walujew durch das innige Vertrauen des Monarchen, der ihn 1866 zum Wirklichen Geheimrat beförderte; er wurde 1867 auch Ehrenmitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und der Gesellschaft zur Pflege verwundeter und kranker Soldaten und schlug alle Angriffe Murawiews, Katkows, Aksakows, des Kriegsministers Miliutin u. a. ab. Da aber verband sich der Thronfolger mit der mächtigen Opposition; dem gemeinsamen Ansturm erlag der geniale Minister, wohl der bedeutendste Minister des Innern im modernen Rußland; unter dem Vorwände seiner allerdings leidenden Gesundheit legte er im Februar 1868 das Portefeuille nieder; der unfähige Timaschew übernahm es. Alsbald ging derselbe rücksichtslos gegen alles deutsche Wesen vor, während Walujew ein großer Freund Deutschlands war; rühmte er sich doch gerne, Bismarcks Genie schon zu einer Zeit erkannt zu haben, da noch alle Welt in Berlin ihn schalt und nicht gelten ließ; liebte er doch deutsche Bildung und deutsche Kunst und citierte mit Vorliebe unsere großen Dichter! Nach seinem Rücktritte vom Ministerium wurde Walujew in die große Versorgungsanstalt der verabschiedeten Größen, den Reichsrat, ausgenommen und Ehrenmitglied des Medizinalrats, hielt sich aber meistens im Ausland auf; da er länger in Rom verweilte, sprach man von geheimen Verhandlungen mit dem Papste. Nachdem er 1871 Mitglied des Hauptrates der weiblichen llnterrichtsan- stalten und Ehrenvormund im Vormundsrate geworden, auch im März d. I. die Leitung der St. Petersburger Waiseninstitute übernommen hatte, erfolgte 1872 seine Ernennung zum Domänenminister. Als solcher leitete er die hochbedeutsame Enquete über den Zustand der Landwirtschaft in Rußland, deren Ergebnisse in vier Bänden niedergelegt und Anlaß