21 .
Deutschland.
Seite 355.
eine Woche, das; nicht irgend eine „Coneordia," „Liedertafel" oder „Melomania," irgend ein Dirn-. Fecht-, Ruder- oder Radfahroerein seine „theatralische Abendunterhaltung" abhalt? Ich habe aber noch nicht gehört, daß dadurch die Darsteller der betreffenden Stücke ihrem Berufe entfremdet oder dafür untüchtig gemacht worden seien.
Alle die Zeit und die Kraft, die hier an Nichtigkeiten sich zersplittert, soll man sie nicht wie in einem Brennpunkte sammeln und in den Dienst einer großen, edlen Sache, in den Dienst einer nationalen Kunst stellen? Oder sollte dies in der That. wie so viele behaupten, eine Entweihung der Kunst fein und nicht vielmehr die Reaktion gegen eine Entweihung, wie sie seit Jahrzehnten, .ja fast feit Jahrhunderten dadurch geübt worden, daß man die herrliche Kunst in den Dienst schnöder Gewinnsucht gestellt?
Auch der Gedanke an Vereinfachung der Bühnenausstattung stieß auf lebhaften Widerspruch. Und doch scheint er sehr berechtigt zu sein. Man Will ja keineswegs - wie die Gegner unterschieben — auch im Punkte der Dekorationen zur Einrichtung der „Shnkespearebühne" zurückkehren und gänzlich auf die Dekorationen verzichten. Aber man will sich, ähnlich wie im altgriechischen Theater, auf das zum Verständnis des dargestellten Gedichtes Unerläßliche beschränken. Man geht dabei von der völlig richtigen Einsicht aus, daß es ja gar nicht möglich ist, eilte physische Täuschung über den Ort im Zuschauer hervorzurufen. Dies kann nur da gelingen, wo man die Wirklichkeit selbst auf die Bühne bringen kann, also bei Zimmerausstattungen und ähnlichem. Aber die Illusion, die man dadurch hervorruft, wird dann — ist es nicht selbst bei den Meiningern so? — um so rauher gestört, wenn man dem Zuschauer gleich darauf zumutet, eine gemalte Landschaft oder Straße, oder ein Haus, das bei der leisesten zufälligen Berührung und beim leisesten Luftzug in erdbebenartiges Schwanken gerät, für bare Wirklichkeit zu nehmen.
Auch die Verwandlungen empfindet man beim gesprochenen Drama -- das Musikdrama hat ja völlig verschiedene Lebensbedmgungen, muß also hier ganz außer Betracht bleiben äußerst störend, mögen sie nun bei geschlossenem Vorhang vor sich gehen, wodurch der Zusammenhang zerrissen wird und der Zuschauer Gelegenheit findet, sich auf sich selbst zu besinnen, gleichsam zu erwachen, oder bei offener Scene, wodurch er gezwungen wird, sich zu fragen: „Wie wird das geinacht?" und wodurch seine Aufmerksamkeit vom Stücke absurd auf die Geschicklichkeit des Maschinenmeisters gelenkt wird.
Im Interesse der Aufrechthaltung der Illusion ist es also wohl ebenso, wie im rein materiellen, vorzuziehen, die Anforderungen an des Zuschauers Borstellungsvermögen etwas zu steigern und die Dekorationen, soweit möglich, ganz auszuschließen, im übrigen aber sich mit einer sozusagen „skizzenhaften" Andeutung des Schauplatzes zu begnügen. Warum sollte auch unserer Phantasie unmöglich fein, was der eines alten Griechen keine Schwierigkeit machte.
Dieser Art sind denn die Mittel, deren die Leitung des Wormser Festhauses sich bedient; sie ermöglichen es in der That, die Preise der Plätze so niedrig zu stellen, daß jeder, auch der Unbemittelte, sich von Zeit zu Zeit einen erhebenden und gediegenen Genuß verschaffen kann. Denn auch für die Gediegenheit des Genusses ist Sorge getragen: Da giebt es kein '„Francillon," keine „Madame Bonivard," keine „Fledermaus" oder „Nanon." Alles Anstößige — nicht im Sinne einer vorsintflutlichen Eensur, die jede stelle wegstrich, an der ein Dichter es einmal wagte, kein Feigenblatt vor den Mund zu nehmen, und die sich vor kurzem erst wieder in Stettin und Breslau durch Verbot von Ibsens „Gespenstern" bethütigte — vielmehr alle Stücke, in denen das Unsittliche als etwas Erlaubtes oder Selbstverständliches dargestellt ist, sind satzungsgemäß ausgeschlossen. Denn „für das Volk ist das Beste gerade gut genug!"
Wenden wir uns nun zu der Betrachtung des Baues, in dein diese Grundsätze zur Verwirklichung gelangen sollen. Das
Wormser Spiel- und Festhaus erhebt sich auf einem kleinen Hügel in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes. Schon von weitem macht es mit den schmucken roten und gelben Sandsteinen und den weißverputzten Waudflächen, mit seinem mächtigen, von glasierten Ziegeln gedeckten Kuppeldach einen gar- stattlichen Eindruck. Nicht weit von dem Gebäude, nach Osten, erhebt sich der Dom mit seineil vier Türmen, eines der edelschönsten Baudenkmäler romanischen Stils. Dem mußte der Baukünstler Rechnung tragen; daher wühlte er für den neuen Kunsttempel ebenfalls die romanische Bauart in ihrer schlichten Großartigkeit und schuf so ein Bauwerk von ganz eigenartiger imposanter Schönheit.
Den Hauptteil des Gebäudes, oder besser Gebäudekomplexes, bildet der großmüchtige Kuppelbau, der in vier Abstufungen emporsteigt. An seine Stirnseite schließt sich der Portalbau, nach hinten das Bühnenhaus an. Letzteres steht wiederum mit den Wirtschaftsgebäuden, dem Festhaus, in Verbindung. Der bildnerische Schmuck des Bauwerkes beschränkt sich auf drei Arbeiten Hirts, eines jungen Wormser Künstlers. Über dem Eingang des Wirtschaftsgebäudes befindet sich eine Darstellung von Siegfrieds Kampf mit dem Drachen. Ferner ruhen zu beiden Seiten des Söllers,,vor dem „Fürstenzimmer" zwei Löwen in ägyptischem Stile. Über diesem Söller ist das von zwei Wappentieren gehaltene Stadtwappen angebracht mit der Überschrift:
„Worms, das hoher Ehren wert,
Freude sei dir stets beschert!"*
Bor dem Festhause befindet sich der geräumige Konzertgarten, in dessen Mitte ein Musiktempel sich erhebt. Letzterer ist dadurch ausgezeichnet, daß das Orchester teilweise nach Vai- reuther Muster „versenkt" ist. Ob sich freilich diese Einrichtung im Freien ebenso bewähren wird, wie im Baireuther Festspielhause, muß der Erfolg lehren. Ans dem Garten führen hohe Bogenthüren in das Innere des Festhauses, dessen Treppenbatt in ein schlankes Türmchen gelegt ist. Außer der Wohnung des Wirts und einigen Verwaltungs- und Wirtschaftsräumlichkeiten enthält dieser Gebäudeteil zwei Speisesüle und ein kleines „stilvolles" Schenkzimmer, dessen Decke auf einem mächtigen Pfeiler mit Rundtisch ruht. Sie ist mit einem Fries geschmückt, die Zeichen des Tierkreises, Sonne, Mond und Sterne darstellend. Die Bedienung geschieht in diesem gemütlichen Raume durch „Knappen" in mittelalterlichem Gewände. Aus dem Schenkzimmer gelangen wir in den Festsaal, der, bei einer Länge von 22 Meter, 13 Meter breit und etwas über 10 Meter hoch ist. An einem Ende befindet sich ein kleines, hauptsächlich für Konzertzwecke bestimmtes Podium. Der Saal steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Zuschauerraum des Spielhauses; leider ist aber eben die Verbindungsthür geschlossen. Wir müssen daher außen herumgehen und durch den Haupteingang eintreten. Im Innern nimmt uns eine geräumige, hochgewölbte Halle auf, die sich um das ganze Haus herumzieht. Von dieser führen vier Treppen, an jeder Seite eine, zwei vorn, zu den beiden oberen Stockwerken empor, in deren erstem der Zugang zu den „Lauben" (d. i. Logen; Fremdwörter sind überhaupt uach Möglichkeit vermieden) und zu den „oberen Sperrsitzen" sich befindet, während man aus dem zweiten zu der Orgelbühne und zu den „Emporen" gelangt. Durch eine der zahlreichen Thüren treten wir in den Zuschauerraum ein. Dieser erhält seine Beleuchtung durch ein kreisrundes Oberlicht von 9 Meter Durchmesser. Durch dieses fällt auch das elektrische Licht in den Raum, wodurch, da man die Lampen nicht sieht, eine Wirkung ähnlich der des Tageslichtes erzielt wird. Die Anordnung der 1183 Sitzplätze entspricht im allgemeinen derjenigen im Baireuther Festspielhause.
Amphitheatralische Aufstellung der Sitze, vierzehn „Lauben" wie in Baireuth die „Fürstengalerie" und über denselben
* Eine Übertragung des alten Spruches: Dwiui i>on:r tarnte,
Kemper ^Vornnrtnr Minie!»