Heft 
(1889) 22
Seite
367
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Deutschland.

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den sind, die fühlen wieder nichts oder wenigstens nicht genng. Ich möchte wissen, oder lieber nicht wissen, was der Baron zn diesem gekreuzigten nnd zugleich so wundersam verkürzten Christus sagen würde. Mantegna, für den ich beiläufig eine Specialpassion habe (Du hast doch hoffentlich seine Fresken im Gonzagaschen Palaste gesehn), Mantegna, sag' ich, hat den Leichnam Christi hier von der Fußsohle her gemalt, ein Wunder- stück der Verkürzung, etwas Klassisches, etwas Niedagewesenes, versteht sich in seiner Art. Ich Ivette zehn gegen eins, der Baron würde mir versichern, Christus sähe hier ans wie eine Badepnppe. Und wenn er sich dazu anfschwünge, so war' es nicht das Schlimmste. Denn das ist zuzngestehn, die ganze Gestalt hat etwas Verzwergtes, etwas Kvboldartiges, nnd in­dem ich darüber spreche, kommt mir ein andrer Vergleich, der mit dem von der Badepnppe beinah znsammenfüllt. Wahr­haftig, dieser Zwerg-Christus erinnert mich an das in Holz geschnitzte Christkind in M-rl (lllli, an die Bambino-Puppe. Findest Du nicht auch?"

In der Thal," antwortete Waldemar,es erinnert daran. Aber ich fürchte, lieber Onkel . ."

. . Dich gestört zn haben. Nein, Waldemar. Ein Jtalianissimns wie Du kann mich nie stören, wenn ich in italienischen Erinnerungen schwelge. Nichts davon. Aber diese Dinge stören Dich. Wenigstens heute. Du bist zerstreut, Du hast etwas ans dem Herzen. Und es kann nichts Kleines sein, denn ich sch' in Deinem Gesichte so was wie Fieberröte, die mir nicht recht gefällt. Laß Dir sagen, Waldemar, was Du freilich auch ohne mich weißt, daß Dein Leben an einem seidnen Faden hängt. Also solide! Debanchiere wer kann nnd mag, aber jeder nach seinen Kräften, und dnrchschwürmte Nächte sind nicht für jedermann nnd sicherlich nicht für Dich. Übrigens nichts für ungut. Sitte hin Sitte her, ich bin kein Sitten­richter nnd jedenfalls der letzte, Dich für den Jünglingsverein anwerben zn wollen; meinen Beitrag zahl' ich. Aber Gesund­heit, Waldemar, Gesundheit; Du bist für immer ins Schuldbuch der Tugend eingeschrieben, oder, um mich deutlicher und doch zu­gleich kaum miuder poetisch auszudrücken, Du mußt leben wie eine eingemauerte Nonne; den andern trau' ich nicht recht. Und nun sage mir, wenn sich's sagen läßt, woher die roten Flecke?"

Waldemar lachte.Von einem zu frühen Frühstück, lieber Onkel. Ich war beim Baron und als.ich gehen wollte, hielt er mich mit einem Glase Lafitte fest."

Jetzt war das Lachen auf des alten Grafen Seite.Der gute Baron. Er nennt es Lafitte, Gott verzeih es ihm, und bildet sich noch ein, eine Weinzunge zn haben. Und warum? Weil er vou der Voraussetzung ansgeht, ein beständiger Früh­stücker müsse sich auch zum Frühstücksverstündigeu ausbilden. Ein Satz, der grundfalsch ist und an die Doktoren erinnert, die mit Stolz von ihrer 50jährigen Erfahrung sprechen, nachdem ihnen jeder einzelne wenn irgend möglich gestorben ist. Glaube mir, Waldemar, wer beständig zwischen Hiller und Dressel hin und her pendelt, kann seine Zunge verfeinern, aber auch nicht. Und das letztre bildet die Regel. Übrigens um 11 beim Baron; was bedeutet das? Da muß was vorliegen. Und nun heraus damit!"

Ich war da, mir seinen Rat zu holen."

Bei dem Baron? Rat? Nun, da steh ich doch noch lieber zu seinem Lafitte. Der ist schlimmsten Falls mit Pepsin­

pastillen zu bekämpfen, aber von seinem Rat ist kein Erholen. Waldemar, ich dächte doch . . Rat! Nun, ich bin auch nicht von den sieben Weisen Griechenlands, aber neben dem Baron . . . Oder vielleicht war der gute Papageno nur Vorstufe. Laß hören. Ist es eine Sache, von der ich erfahren darf, an der ich möglicherweise mit raten und thaten kann?"

Ja, Onkel. Und zu dem Zwecke bin ich hier. Es ist wie Du sagst, der Baron war nur Vorstufe."

Nun denn?"

Also kurz, ich habe vor, mich zu verheiraten."

Der alte Graf schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Du erschrickst . ."

Ich erschrecke nicht. Das ist nicht das rechte Wort, nnd wenn ich eben mit der Hand auf den Tisch schlug, so war es nur ein lebhaftes oder vielleicht auch zu lebhaftes Zeichen meiner Teilnahme. Nervosität, nichts weiter. Du bist über­haupt ein Gegenstand meiner Teilnahme, Waldemar, denn ich bin Dir ungeheuer gut, und wenn ich das Wort nicht haßte, weil soviel Mißbrauch damit getrieben wird, so sprüch' ich Dir rund heraus von meiner Liebe. Wahrhaftig, Junge, Du bist der beste von allen lebenden Halderns (vielleicht können wir auch die Toten mit einrechnen) und ich weiß nicht, was ich alles für Dich thun könnte. Daß Du mich beerbst, versteht sich von selbst; ich wünsche Dir jedes erdenkliche Glück. Aber eines, wenn es eins ist, wünsch' ich Dir nicht. Ein Mann wie Du heiratet nicht. Das bist Du drei Parten schuldig: Dir, Deiner Nachkommenschaft (die bei kränklichen Leuten wie Du nie ausbleibt) und drittens der Dame, die Du gewühlt."

Es ist keine Dame."

Der alte Graf verfärbte sich. Unter einem halben Dutzend Möglichkeiten, die durch sein Hirn schossen, war auch eine . . Nein, nein . . Und er faßte sich wieder und sagte mit wieder­gewonnener Ruhe:Keine Dame. Was dann? Wer?"

Stine."

Der alte Graf sprang auf, warf seinen Stuhl um einen Schritt zurück und sagte:Stine! Bist Du toll, Junge?"

Nein. Ich bin bei Sinnen. Und ich frage Dich, ob Du mich hören willst?"

Der Graf sagte nicht ja und nicht nein, setzte sich aber wieder und sah Waldemar fragend an.

Ich nehme an," fuhr dieser fort,daß Du mich hören willst. Und wenn Du meinen ersten Satz gehört haben wirst, so wirst Du ruhiger werden. Ich bin in den Jahren und in der Lage, selbständig handeln zu dürfen, und ich werde selb­ständig handeln. An dem allen ist nichts zn ändern: Krank­heit macht eigensinnig nnd die Halderns sind es von Natur. Ich komme nicht, um eine Familien-Erlaubnis nachzusuchen, die mir, wenn das Gesetz eine Verweigerung znließe, verweigert werden würde. Da dies nicht der Fall ist, so hat ansragen und Antwort einholen keinen Sinn. Und so denn noch ein­mal, meine Entschlüsse sind gefaßt. Du sollst uicht den An­walt für mich machen, am wenigsten für das, was ich vorhabe; mit solchen Dingen komm' ich Dir nicht, und wenn ich nichts­destoweniger Dein gutes Wort erbitte, so geschieht es, weil alles Gehässige meiner Natur widerstreitet. Haß ist mir häß­lich. Ich erbitte Dein gutes Wort, weil ich versöhnungs bedürftig bin und in Frieden ans dieser alten Welt scheiden möchte."