Deutschland.
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muß bleiben, wie es ist. Ich fühle mich zu diesem liebenswürdigen Geschöpf, das nichts ist als Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Güte, nicht nur hingezogen, das sagt nicht genug, ich fühle mich an sie gekettet und ein Leben ohne sie hat keinen Wert mehr für mich und ist mir undenkbar geworden. Es braucht nicht Amerika zu sein; es findet sich auch wohl ein Winkel hier..."
„Was Gott verhüte..."
„Dann also drüben. Und ich bitte Dich, mir, bei den Eltern in Groß-Haldern, wenn nichts weiter, so doch das Ausbleiben eines großen, anfgesteiften Protestes erwirken zn wollen. Eine gegen mich verhängte Familien-Acht möchck ich, wenn's irgend geht, vermieden sehen, so wenig Schreckliches alle Banu- nnd Achterklärungen von jeher für mich gehabt haben. Ich erwarte kein Ja, keinen Segen; ich verzichte darauf, schon einfach weil ich muß. Es verlangt mich nur zu hören, daß man sich in das Unvermeidliche gefunden hat, daß man sich ihm unterwirft, als war' es eine Schickung oder welch sonstige fromme Bezeichnung man dafür wählen mag. Der junge Pastor kann ja Worte zur Auswahl stellen. Lebte der alte Buntebart noch, so wär' es besser. Der Besitz füllt meinen: jüngeren Bruder zn, trotzdem Groß- und Klein-Haldem Primogenitur sind; ich werde den Verzicht gerichtlich aussprechen. Nur ein Pflichtteil erbitt' ich mir, um das Nötigste durchführen zn können. Und nun noch einmal, willst Du mein Fürsprecher sein, der wenigstens das Schmerzlichste von mir abwendet und mir für die Zukunft, und wenn es die fernste wäre, die Möglichkeit einer Versöhnung offen hält?"
Der alte Graf schüttelte den Kopf.
„Also nein. Und auch das ist gut, weil cs etwas Bestimmtes ist. Ich danke Dir, daß Du mich angehört und mich mit Standesredensarten und vor allem auch mit jenem französischen Worte, das bei solchen Gelegenheiten in unseren Kreisen güng und gäbe ist, verschont hast. Und nun lebe wohl; ich sehe Dich nicht wieder. Alles was noch zn thun oder zn sagen bleibt, wird durch andere geschehen."
Der alte Graf hatte sich ebenfalls erhoben und schritt, über den Teppich hin, auf und ab. Jetzt aber blieb er stehen und sprach nicht ohne Bewegung vor sich hin: „Und daran bin ich schuld . . . ich."
„Schuld? Du? Schuld an meinem Glück? Nein, Onkel, nur Dank und wieder Dank." Und dabei nahm er den Hut, um zn gehen, hielt aber noch einmal an, augenscheinlich in Zweifel, ob er dem Oheim die Hand reichen solle oder nicht.
Der alte Graf sah es und trat seinerseits einen Schritt zurück.
Sv verbeugte sich denn der Neffe nur in aller Förmlichkeit und schritt dann auf die Thür zn, die nach dem Korridor hinausführte.
Draußen stand Johann, der gehorcht hatte, mit dein Überzieher schon in der Hand und ließ es an Dienstbeflissenheit nicht fehlen. Aber das nachdrückliche Schweigen, in dem er verharrte, schien doch auch seinerseits eine Mißbilligung aus- drücken zn sollen. War er doch lange genug im Haldernschen Dienst, um über Mesalliancen noch strenger zn denken als sein Herr. (Fortsetzung folgt.)
Bausindustrie und Arbeiterschutz.
Von
vn. Ludwig I-ukd.
((A^ie Erweiterung des zum Schutze der Arbeiter gegen eine unangemessene Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dienenden Rechtes ist vielleicht die wichtigste Frage der nächsten Zeit, jedenfalls die Frage, der sich das ungeteilte Interesse aller Freunde einer friedlichen Lösung der Arbeiterfrage im vollsten Maße zuwendet. Die beiden Erlasse des deutschen Kaisers an den Reichskanzler und den preußischen Handelsminister haben die volle Bedeutung derselben hervorgehoben und die dringende Notwendigkeit dem In- und Anslande dar- gethan, sowohl im Wege der Weiterentwickelnng der heimischen Gesetzgebung wie mittels des Abschlusses von Staatsvertrügen mit den übrigen Industriestaaten den Arbeitern den Schutz zu gewähren, auf welchen sie der heutigen Auffassung vom Staat und seinen Pflichten zufolge einen unverjührbaren Anspruch haben. Bei dieser Sachlage scheint es geboten, auf eine Arbeiterklasse aufmerksam zu machen, mit deren Verhältnissen sich die Gesetzgebung seither nur in sehr geringem Umfange beschäftigt hat, trotzdem dieselbe einer besondern Beachtung seitens der gesetzgebenden Gewalten nicht nur in gleichem Grade bedürftig ist wie die der Fabrikarbeiter, sondern in weit höherem. Die Arbeiterschutzgesetzgebnng erstreckt sich noch nicht auf die hansüldnstriellen Arbeiter, sondern läßt die durch ihre Vor schristen geschaffenen Wohlthaten nur den in Fabrikeil und ähnlichen Etablissements beschäftigten Arbeitern zu teil werden; dieser Umstand verschuldet es, daß die Lage des hausindu- striellen Arbeiters, d. h. desjenigen, der nicht in der Arbeitsstätte des Arbeitgebers für diesen arbeitet, eine überaus traurige und beklagenswerte ist, und man darf getrost behaupten, daß der Fabrikarbeiter im Vergleiche zn dem hansindnstriellen Arbeiter eines angenehmen und behaglichen Lebens sich erfreut. Der Verein für Sozialpolitik hat im vorigen Jahre eine Pri- vatnntersuchnng über die Lage und Verhältnisse der Hausindustrie in Deutschland veranlaßt, deren Ergebnisse bis jetzt in drei Bänden vorliegen; in dieser Veröffentlichung werden so ungemein betrübende Schilderungen von der gedrückten Lage der hausindustriellen Arbeiter entworfen, daß es wahrlich nicht länger angezeigt erscheint, sich nur mit dem Schutze der Fabrikarbeiter zu beschäftigen. Die Mitteilungen über die Beschäftigungsdauer, über die Beschäftigung der Frauen und Kinder, die Wohuuugsverhültuisse, die Lohnverhültnisse sind solcher Art, daß der Staat sich der Aufgabe nicht mehr länger entziehen darf, auch diese Klasse von Arbeitern durch besondere gesetzliche Vorschriften vor einer kulturwidrigen Ausnützung ihrer Arbeitskraft. vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und Sittlichkeit zu beschützen. Es würde hier viel zu weit führen, wollten wir über die Lage der hausindustriellen Arbeiter auf Grund der genannten Veröffentlichung eingehendere Mitteilungen machen, allein einige Thalsachen wollen wir doch hervorheben, um dem Leser ein Bild von den Zuständen zu geben, wie sie auf diesem Gebiete leider vorhanden sind, und ihn zu überzeugen, daß es keine Übertreibung, sondern Wahrheit, ernste und bittere Wahrheit ist, wenn man sagt, in: Vergleiche zn dem hausindustriellen Arbeiter lebe und arbeite der Fabrikarbeiter vielfach geradezu in einem Palast. In verschiedenen Zweigen der Hausindustrie werden Kinder schon im zartesten Alter beschäftigt, in der linksrheinischen Sammet- und Seidenindustrie schon mit Beginn des fünften Lebensjahres; diese armen unentwickel ten Wesen sitzen dann in der unbequemsten Lage mit gebückten: Rücken in überfüllten Räumen und müssen nicht selten bis spät am Abend, ja bis tief in die Nacht hinein arbeiten; welche Folgen dies für die körperliche und geistige Entwickelung hat und haben muß, liegt auf der Hand; es wächst ein Verkümmertes und verkürztes Geschlecht heran, in körperlicher Hinsicht unentwickelt, unentwickelt in geistiger Hinsicht, ein Geschlecht, das, kaum herangewachsen, schon als alt bezeichnet werden