22.
Deutschland.
Seite 377.
gegenseitiger Förderung beruhenden geistigen Verkehrs der zwei Nationen mit Erfolg gekrönt. Doch die so glücklich angeknüpften Beziehungen sollten durch die traurigen Schicksale der nächsten Jahre zerrissen werden. Das Jahr 1806, für unser Gesnmtvaterland so verhängnisvoll, war es auch für die Hansestädte. Das Spätjahr brachte für Lübeck namenloses Unglück, für Hamburg die Besetzung durch französische Truppen. Hatte Villers sich bis jetzt mit der literarischen Vermittlerrolle begnügt, hatte er bis jetzt seine Landsleute ans die festen und seltenen Eharaktereigenschaften der Deutschen und .ans all das Schöne und Rührende hingewiesen, was in ihren häuslichen Sitten, der Reinheit und Zartheit ihrer Gefühle sich geltend mache, so stritt er in den folgenden Jahren des Unglücks bei den verschiedensten Anlässen, oft mit Hintansetzung seiner eigenen Person, für die Sache Deutschlands gegen den wafsengewaltigen übermütigen Sieger.
Wo er konnte, versuchte er mit all seinem Einflüsse, den frühere Verbindungen wie neu erworbene Bekanntschaften ihm eintrngen, die französische Gewaltherrschaft, die jegliches Eigentümliche zu erdrücken drohte, milder zu stimmen. Interessant ist es z. B. in dieser Hinsicht, daß Goethe ihm einstmals in einem Briefe ans Weimar nicht nur für die ästhetische Einführung bei den Franzosen, sondern auch für die freundlichere Behandlung durch die französische Adjntantnr dankt, als diese einen Brief von Villers bei Goethe fand. Wiederholt wurden von ihm Graf Dnrn, namentlich Bernadotte, der ihn ungemein begünstigte, die Gräfin von Beanharnais, dir Tante des Kaisers, n. a. m. angernfen, um in irgend welchen ungerechten Entscheiden billigen Wandel zu schaffen. Am größten erscheint sein schlichter Heldensinn in den Schreckenstagen des von Blücher- besetzten und von drei Mnrschüllen erstürmten Lübeck 1806. Die ungeschminkte Darstellung dieser Begebenheiten in seiner Schrift: (,'oinlmt < 1 <> Iwll-ooll entfremdete ihm für einige Zeit sogar den Kronprinzen Bernadotte, ohne ihr herzliches Einvernehmen ans die Dauer zu stören, und zog ihm später die ingrimmigsten Verfolgungen durch Davvnst zu.
Auch in der tiefsten Erniedrigung verlor Villers nicht den Glauben an die unzerstörbare Kraft des deutschen Genius, den Glauben an die von Napoleon so viel verhöhnte und doch im geheimen als drohendes Gespenst gefürchtete deutsche „Ideologie," die beim Hinzntritt eines mächtigen nationalen Empfindens die stärkste irdische Gewalt zu brechen vermöge. Geradezu prophetisch klingen einige Äußerungen ans dieser Zeit: «1Ü68 rn'iuöe^ troimni868 ont vrunou Io8 arinoo8 ,g'orn,Rn68) xmroo ,güoI1o8 801 ,t pllm tort68. 1A,r In IN 01 U 0 rni.son ll68prit A't'i-umiu tiuii'u f>ur vrünoro I'e8pOr trmie-R^ und: der Rächer so vieler Vergehen gegen die Menschheit ist der hohe Genius unserer neuen Zeit, der sich unverfälschter und klarer durch den Geist der deutschen Kultur ansspricht als durch irgend eine andere Offenbarung oder Erscheinung der Gegenwart."
Als die westfälische Regierung die sechs unter Joromes Herrschaft stehenden Universitäten nach dem System der französischen Fachschulen umgestalten wollte, trat Villers als Vorkämpfer der deutschen Universitäten ans, damit nicht die Stätten deutscher Wissenschaft in ihrem innersten Wesen durch mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß der Fremdherrschaft versehet würden. So entstand (1808) seine Schrift über die Universitäten des protestantischen Deutschlands, welche mit Aufbietung aller Beredsamkeit — selbst die Eitelkeit der westfälischen Regierung wurde ansgebentet — den tödlichen Streich abzuwehren suchte. „Es gilt die Pergama," schreibt Joh. von Müller an Heeren, „wer die retten hilft, den wollen wir ewig rühmen!" Und dieser Ruhmestitel bleibt nnserm Villers für alle Zeit.
Ebenso erheblich war sein Eifer in Sachen der wiederholt bedrohten Unabhängigkeit der Hansestädte: die wildesten, abenteuerlichsten Pläne gaben die französischen Diplomaten, Tallevrand an der Spitze,' hinsichtlich derselben zum bestell, bis wirklich 1810 die Einverleibung vollzogen wurde, ein Ereignis, welches der edle Villers nur schwer verwinden konnte. Eine Stelle in der neu errichteten Regierung schlug er selbstverständ
lich aus. Man hatte ihn gar sehr mißverstanden. Nicht eine Anstellung hatte er gesucht; sein Wunsch, bei der Organisation als langjähriger Kenner der Verhältnisse mithelfen zu können, um das Unleidliche weniger unleidlich zu machen, war falsch anfgefaßt worden. Um so freudiger folgte er 1811 einem Ruf als Professor der Litteratnr nach Göttingen. Unglücksfülle, welche die ihm befreundete Senatorenfamilie Rodde-Schlözer betroffen, hattet, seinen Entschluß wachgernfen, eine selbständige äußere Existenz in einem wissenschaftlichen Wirkungskreise zu suchen.
Nach dem russischen Winter von 1812 folgt der gewaltige Umschwung der Dinge. Villers befand sich in Kassel, als die Nachricht von Moskaus Brand eintraf. Es war ihm leider nicht mehr gegeben, frisch und kühn in die Zeitfragen cinzn- greifen. Zwar schrieb er noch über die Wirkungen des Kvn- tinentalsystems, ließ eine verspätete Rakete gegen Napoleon aufsteigen (100 und etliche Fnnfaronaden des korsikanischen Abenteurers), seine große, jahrelang geplante Schrift über den europäischen „Krenzzng des 19. Jahrhunderts" gedieh nicht zur Vollendung. — Nach Jöromes Sturze kehrte die alte han- növersche Regierung zurück: eine unerhörte Behandlung ward Villers zu teil. Er wurde seiner Professur enthoben mit den, Befehl, Göttingen zu verlassen. Neben dem absichtsvollen Mißverständnis, als wäre er in Göttingen nur ein Eindringling des westfälischen Zwitterreiches gewesen, scheinen auch Eifersüchteleien einiger Professorenfamilien an dieser schnöden Behandlung dieses Kernmenschen die Schuld getragen zu haben. Ein Sturm der Entrüstung wurde laut. Benjamin Eonffant, die Staol, ließen alle Künste der Überredung spielen, um das Schicksal des Mannes zu wenden. Stein ging dem hannöverschen Grafen Münster derb zu Leibe und stellte auch dem Könige von Preußen und dem Kaiser von Rußland die Sache als eine solche vor, „wodurch die deutsche Nation beschimpft werde." Die Zurücknahme jenes Befehles und eine Erhöhung der ihm gelassenen Pension konnte die Kränkung nicht ungeschehen machen. Er ist im Februar des folgenden Jahres 1813 gestorben. Ihn, der in seinen so bedeutsamen Briefen an befreundete Franzosen und Deutsche das Schrifttum der Deutschen, „der wahren Griechen des neueren Europa," mit tönenden Worten gepriesen, ihn, der immer den deutschen Geist her- beigeflcht, damit mehr Vergeistigung, wissenschaftlicher Ernst und llneigennützigteit in die französische Bildungsweise übergeleitet werde, — ihn scheinen die Jntrignen einiger deutschen Professorensamilien bis ins innerste Herz getroffen zu haben, lins Deutschen aber geziemt es, eines Mannes eingedenk zu sein, dem die besten seiner Zeitgenossen, ein Goethe, Stein, Jak. Grimm n. n. ihre höchste Anerkennung gezollt und der in Ehamissoschem Geiste einstmals die Worte gesprochen:
31 00 ooour 08t tont nlloinnnd; il pnrnlt (gönn lOunonm gni ckoviont Tcklomrmck clnn 8 80N ooonr 68 t) L tont pronckro, proüsrnllle ü nn .Lllonmnd gni cksvieiit lOnncnO.
iWiilos Mll 8opsMk5 Mf llem „Kerlmer Umüer."
Vmi
I- M-
^^^^as Berliner Theater des Herrn Ludwig Barnay hat es unternommen, die beiden größten Tragiker der
griechischen Welt, den unzugänglichen Aschylos und V den vollendet liebenswürdigen Sophokles, einen jeden mit seinem wirkungsvollsten Stücke, gleich an einem Abende zur Aufführung zu bringen. Es wurde auf der Bühne so viel geschrieen und gedonnert und im Zuschanerranm zu Ende jeder Tragödie so laut geklatscht, daß im ganzen und großen ein Geräusch wie von einem ehrlichen Erfolge zn stände kam. Wer aber für die Erscheinungen einer ersten Anffüh-