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Deutschland.
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rung Augen und Ohren hat, konnte wahrnehmen, daß die guten Lente sich bei Äschylos schmählich langweilten und bei Sophokles nur bis zur Katastrophe unter dem Banne des Dichters blieben. In der Sprache der Coulissen würde ich sagen: Äschylos ist eigentlich durchgefallen, und die Darsteller wären angeblasen worden, wenn die Pietät vor dem Autor sie nicht geschützt Hütte; Sophokles würde mit seiner brillanten Mache hundert Aufführungen erleben, wenn er sich im Stoffe nicht vergriffen Hütte.
Unterscheiden wir doch ehrlich zwischen der litterar - historischen Bedeutung eines Dichters und der Wirkung, welche er nach mehr als zwei Jahrtausenden auf uns ausznüben vermag. Ohne Zweifel verdient Äschhlos den ersten Dichtern in der Weltlitteratur beigezählt zu werden. Keine Schilderung und freilich auch keine Übersetzung kann von der Pracht und erhabenen Größe seiner Chorgesünge eine Vorstellung geben; darüber hinaus besitzt er eine Auffassung der Charaktere, welche ihn der antiken Welt als einen Hohenpriester der dramatischen Kunst erscheinen ließ, und die uns noch heute nach Dante und Shakespeare groß erscheint. So kann der einsame Leser, welchem das Gymnasium für acht geopferte Jahre wenigstens einige Kenntnis des Griechischen gegeben hat, bei der Lampe Gestalten des Altertums vor sich aufsteigen sehen; er kann bei den seltsamen Rhythmen der Chöre an eine ebenbürtige Musik denken, welche in eindringlicher Feierlichkeit vielleicht mit den letzten Zielen Richard Wagners zusammentraf; er kann mit der Begeisterung und der Sehnsucht Schillers die altgriechische Seeue zum Tribunal werden sehen: da treten nacheinander die Götter und Helden auf; sie führen einen Donnerkeil im Munde und ein zermalmendes Schicksal schmettert am Ende Götter und Helden mitsamt der griechischen Welt und mitsamt dem gelehrten Leser in den öden Tartarus hinab. Wer aber diese heiligen Messen des griechischen Altertums heute wieder vor allem Volke zur lebendiger: Darstellung bringen will, der muß den Zuschauern anstatt großer Worte und Gesinnungen dasjenige bieten, was alle Theaterbesucher iu gleicher Weise verlangen, das Kind von seinem Kasperl-Theater und der Geheim rat vom königlichen Schauspielhause: Handlung. Und um die Handlung ist es bei dem erhabenen Äschylos nach modernen Begriffen ganz jämmerlich bestellt. Die Dichtungen bestehen fast ausschließlich bald aus Berichten, bald aus lyrischen Ergüssen; sie lassen sich, was die Handlung betrifft, weit eher mit Oratorien vergleichen, als mit den Wagnerschen Mnsikdramen. Und daß Oratorien, wenn man ihnen auch noch die Musik nähme, einen Menschen zu fesseln im stände wären, das wird niemand behaupten wollen, soll es doch selbst mit Musik seine Schwierigkeiten haben.
„Der gefesselte Proiuotheus" von Äschylos bietet aber dem heutigen Publikum noch ganz besondere, persönliche Schwierigkeiten. Das Stück ist nur der mittlere Teil einer Trilogie, der zweite Akt eines Götterdramas. Daß wir nicht wissen, was im ersten Akte vorausging, das Hütte weiter nicht viel zu sagen, weil die Handlung des zweiten Äktes an bekannte Sagen anknüpft. Prometheus, der in der furchtbaren Gigantenschlacht gegen seine Brüder für Zeus Partei ergriffen hat, wird von dem ruchlosen Vater der Götter und Menschen an einen Felsen geschmiedet, zur Strafe dafür, daß er den Sterblichen das Feuer vom Himmel geholt hat. Urweltsage, Urweltnebel verhüllt den klaren Sinn. Aber soviel ist gewiß, daß Äschylos schon das ewige Symbol in der Prometheusgestalt erkannte: den Befreier des Menschengeschlechts, der für seine unsterbliche That von den neidischen Göttern verfolgt wird. „Der gefesselte Prometheus" behandelt aber unglücklicherweise auch eine Fabel, welche wir nicht kennen. Der Sturz des Zeus, eiue Art Götterdämmerung wird prophezeit, und mit der Naivität seliger Griechen wird über die Vernichtung ihres obersten Gottes verhandelt. Zeus soll durch die Nachkommenschaft der wahnsinnigen Jo von: Throne geworfen werden; und wenn das Drama überhaupt eine Handlung hat, so besieht sie darin, daß der Göttervater dein Prometheus, der
allem um das Geheimnis weiß, das Rütselwort durch fürchterliche Drohungen zu entreißen sucht, der Held des Stückes aber in seinem Titanentrotz nnerschüttert bleibt. Vielleicht hat Äschylos die Lösung des Geheimnisses im letzten Teile der Trilogie gegeben. Wir aber stehen dem gefesselten Prometheus wie einem Rätsel gegenüber, dessen Auflösung der Erzähler selber vergessen hat. Oswald Marbach hat in einer lesenswerten Nachdichtung des Stückes die Kühnheit gehabt, das entscheidende Wort der mystischen Stelle mit Heiland zu übersetzen und so dem Drama des Äschylos eine große geschichtsphilosophische Wendung zu geben. Es braucht aber nicht erst gesagt zu Werder:, daß dieser Einfall den: Dichter- Gewalt anthut, der sich auch darin von Dahn, Ebers und Wildenbruch unterschied, daß er nicht bis ins neunzehnte Jahrhundert nach Christo hinein prophezeite. Ohne diesen Gewaltstreich jedoch ist der Konflikt im Drama für uns einfach sinnlos. „Der gefesselte Prometheus" ist irr diesen: Hauptpunkte der Handlung, wie alle Fachleute nur zugebeu werden, ganz und gar unverständlich; aber das Publik::::: merkte nichts davon.
Nun bleibt natürlich, wenn man die Handlung opfern muß, das Symbolische der Erscheinung bestehen. Und Prometheus ist kein geringes Symbol. Wir verstehen ihn in dem großen Gedichte Goethes, wir verstehen ihn in dem Bilde Böcklins. Aber wir würden ihn in der Tragödie des alten Meisters besser verstehen, wenn er nicht so furchtbar prosaisch und ruhmredig unaufhörlich aufzählen wollte, was er für die menschliche Entwickelung gethan hat. In der Poesie sind wir über Äschylos nicht eben hinaus gekommeu, wohl aber iu der Kulturgeschichte. Und wenn Äschylos den guten Titanen eine kulturhistorische Vorlesung über die Bedeutung des Feuers halten läßt, so klingt uns das wie Kinderlallen. Es erinnert an den Prometheus als Vignette von einer Sorte schwedischer Streichhölzer. In der Lyrik Goethes tritt uns furchtbar gewaltig das Schicksal aller Weltverbesserer entgegen, trotzdem der Held nur drohend die Faust erhebt. Bei Äschylos gicbt es herzige Stellen, in denen ein Held aus Offeubachs „Schöne Helena" zu singen scheint: „Ich und du, wir sind die Ajaxc, mutig sind wir wie die Dachse!"
Ja, Ofsenbach! Ich verehre Äschylos, aber ich verehre die Ehrlichkeit noch mehr. Mit Ausnahme des ersten Auftritts und der ersten Erzählung des Helden hat die Tragödie mich unfreiwillig immer wieder au diesen göttlichen Gassenjungen und seinen Textdichter erinnert. Wie „Mcnelans der Gute" erschien mir der wohlmeinende Okeauos in seinen: hellgrünen Brntenchitou, die Weisheit der Okeanideu gemahnte iu ihrer Schlichtheit an den Philosophen Kolchos und über das sichtbare Bühnenbild hinaus glaubte ich, wenn der Donner rollte, Jupiter-Matras zornig rufen zu hören:
„Wo Hab' ich denn nur gleich meinen Sonntagnnchmit- tagsansgehdonnerkeil?"
In dieser Stimmung haben viele Hörer, und es waren nicht immer die schlechtesten, das gewaltige Werk hinnehmen miffsen. Tiefere Fragen konnten sich da gar nicht aufdrängen, wie die: Ob Äschylos den Prometheus wirklich so auffaßt wie wir, ob er nicht am Ende doch ganz orthodox für den Herrscher Zeus Partei nimmt? Dvktvrfragen, welche leider in Doktorarbeiten am seltensten gestellt werden.
Darauf kam Sophokles und mit ihn: Licht und Klarheit, Kraft und Schönheit der hellenischen Welt. Bon den Werken dieses Dichters ist in unser::: Jahrhundert die „Antigone" am häufigsten aufgcführt worden, teils der hübschen Musik wegen, teils um der romantischen Liebe willen, von welcher darin wenigstens scheinbar die Rede ist. „König Ödipus" überragt die Antigone aber ebenso sehr in bühnentechnischer Beziehung wie in unmittelbarer Wirkung. Schillers beinahe neidische Bewunderung dieses Dramas galt der Technik, welche hier ein Meisterstück geliefert hat, wogegen selbst die raffiniertesten Erfindungen Sardous und die lebenswahrsten Handlungen Ibsens nicht aufkommeu könne::. Auch Sardou <z. B. im „Ferraol") und Ibsen wissen die Fruchtbarkeit einer nur