Heft 
(1889) 23
Seite
388
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Deutschland.

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zu fassen, die von Böhmen aus auf die Gesamtlage der öster­reichischen Neichshülfte znrückwirken. Wer die Provinzpresse Böhmens verfolgt und wer, wie der Schreiber dieser Betrach­tung, Gelegenheit hatte, mit Dentschböhmen in der Zeit bitterster Erregung und jetzt in Verbindung getreten zu sein, der ist überrascht und verblüfft über den Stimmungswechsel im Volke, wie er sich unzweifelhaft vollzogen hat, seit den müden, nicht den ermatteten Kämpfern ein Friedensschimmer entgegenlenchtet. Die nationale Frage ist naturgemäß mit Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen innig verknüpft. Der nationale Kampf der Massen gegeneinander hat in den zehn Fehdejahren in der Ära Taaffe Deutschen und Tschechen schwere Wunden geschlagen. Das wäre das Geringere, daß man in Stadt nnd Land sich gegenseitig mied, wo man auf einer Scholle sich zusammen- fand, aber man war zur Unerquicklich keil der gesellschaftlichen Verhältnisse noch zu Opfern genötigt, Pie inan im Lande kurz­weg dienationale Steuer" nannte und die nicht unerheblich war. In Schnlverhültnissen nnd Vereinsgründnngen, in der Errich­tung von Gesellschaftshänsern, in der materiellen Unterstützung von Ärzten, Rechtsanwälten und Lehrern, die der nationalen Agitation dienstbar waren, in den großen Ausgaben, welchen die deutschen Bauern insbesondere nnd die Landwirtschaftsbezirke sich freiwillig unterzogen, als ihre Vertreter aus dem böhmischen Landesknltnrrat schieden, was den ersten Anstoß zur Enthaltungs- politik der Deutschen gab, überall zeigten sich, dem kurzsichtig­sten Auge offenkundig, die Schäden, welche der Wirtschaftskrieg in der nationalen Reibung erzeugte. Der Dentschböhme ist opferwillig nnd zähe, er kann auch steifnackig nnd widerborstig werden, er ist aber vorwiegend nüchtern zumal dort, wo er reicher Jndnstriethätigkeit nnd dem Handel ergeben ist. Seine Bolkswesenheit ist darum trotz des alten Wortes unseres Lieder­sängers Arndt, daß dem Tschechoslnven von allenStationen" am meisten Deutsches innewohne, in wichtigsten Punkten grund­verschieden von der tschechischen Volkswesenheit, wie sie sich ansprügt in der jnngtschechischen Bewegung mit ihrem Über­schwang nationaler Sehnsucht, mit ihrer Mischung von Gewalt­samkeit nnd rlickwürtsgewandter Phantastik, mit ihrem demo- 'kratischen Rationalismus, den sie mitunter wie Gamins vor­tragen, nnd ihrer mystischen Begierde nach vergangener, alt­nationaler Größe. Zn den nüchtern-praktischen Erwägungen der Deutschen kommt der Stolz, durch ihren hartnäckigen Wider­stand einen Anstoß dazu gegeben zu haben, daß die Krone selbst Veranlassung nahm, die Verbitterten wieder anssöhnen zu wollen. Man kann diesen Stolz ehren und gewiß leicht be­greifen, nnd müßte doch bedauern, wenn dieser Stolz eine Er­schlaffung der Widerstandskraft zur Folge hätte nnd in die Selbsttäuschung einlnllte, die übersieht, daß das Ungestüm der Jnngtschechen nnd nicht der passive Widerstand der Deutschen zunächst die Entschlüsse der Krone bestimmt habe. Daß die Machthaber in Österreich so wenig Tiefblick für die tschechische Volksseele bewiesen und bange überrascht waren, als die jnng- tschechische Begehrlichkeit alle Dämme des einheitlichen Öster­reichs durchbrach, das mußten die Deutschböhmen ans politischer Klugheit sich sicherlich zu nutze machen, sie durften und dürfen aber nicht ihr gerechtfertigtes Mißtrauen gegen die Völker- beglücknng Taasfes mit einem Schlag fallen lassen. Je weniger von festen Grundsätzen geleitet sich die Regierung zeigt, wie die Bestürzung bei Erkenntnis des jnngtschechischen Wesens nnd die Verfolgung jnngtschechischer Kundgebungen in den jüngsten Tagen beweisen, um so härter, um so entschlossener muß das Volk in Opposition auf der Wahrung seines Rechtsstandpnnktes bestehen. Einen Sieg erfochten zu haben, bedeutet noch nicht viel, man muß auch konsequent seine Ergebnisse verfolgen nnd ausnutzen können.

Für die innere Entwickelung im gesamten Österreich ist der eingetretene Waffenstillstand in Böhmen von großer sympto­matischer Bedeutung, wenn inan sich gleichfalls wicht von dem altösterreichischen Erbfehler, der leichten Hoffnungsseligkeit, leiten läßt. Herr von Plener, heute die bedeutendste politische Per­sönlichkeit der deutschen Linken im österreichischen Reichsrat, um

nicht das veraltete, mehr dem Herdenbewnßtsein entsprechende Wort Führer zu gebrauchen, hat vor kurzem erst im Verein der Wiener Fortschrittsfrennde sehr richtig betont:Sowie die Regierung eingesehen hat, daß die Haltung, die sie seit zehn Jahren den Deutschen Böhmens gegenüber eingenommen hat, verfehlt war, sowie sie gezwungen war, ihren Standpunkt anf- zngeben, so muß auch eine ähnliche Wendung der übrigen Teile der inneren Politik eintrcten, wenn eine dauernde Konsolidierung eintreten soll. Eine große politische Partei darf nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muß stets ans der Hut sein und dahin streben, daß dieser erste Schritt eine Wendung der ganzen inneren Politik zur Folge habe." Plener ist eine skep­tisch angelegte Natur, unter den Dentschösterreichern kommt er dem Begriff eines Realpolitikers vielleicht am nächsten. Er hat ans dem dentschböhmischen Parteitag die, Versicherung abge­geben, daß es den hochragenden Kreiselt Österreichs ernst um die Ansgleichsversnche zu thnn sei. Seiner Versicherung ist gewiß Wert beiznlegen nnd die Stimmen ans dem extrem- nationalen Lager in Reichenberg, im nordöstlichen Böhmen, die Herrn von Pleners Politik ehrgeizige Pläne unterlegen, dürften nicht allznschwer ins Gewicht fallen. Man sagt Herrn v. Plener nach, er dürste nach der Ministerthütigkeit, nnd dies sein heißes Verlangen lasse ihn die Dinge mit größerem Optimismus nn- schanen, als sie in Wirklichkeit stünden. Sei dem, wie ihm sei, jedenfalls zeigt sich eine beklagenswerte Unduldsamkeit gegen­über den deutschen Dissidenten in Böhmen. Wenn sie auch unrecht haben, die .Herren in nnd nin Reichenbcrg, lind in den Konzessionen der Regierung keinen Gewinn erkennen wollen, so fest ist die Burg der Deutschen in Böhmen nicht, daß man widerstrebende Volksgenossen durch erbitterte Angriffe noch mehr znm grundsätzlichen Widerspruch reizeil sollte.

Was erreicht wurde, ist in der That vorwiegend ideeller, moralischer Gewinn. Die einzelnen Punkte der Ansgleichs­versnche sind in den Tagesblättern Gegenstand der Erörterung gewesen. Nicht, was geschehen ist, wäre das Bezeichnendste, sondern was man ans den anerkannten Grundlagen in Zukunft ansbanen kann. Die Abtrennung der Gerichtssprengek nach geschlossenen Sprachgebieten ist gleich einer der folgenschwersten Schritte, denn in ihm ist die Anerkennung ausgesprochen, die das tschechische Volk schon 127!) bestritt, daß es ein geschlosse­nes deutsches Sprachgebiet, eine deutsche Heimat, nicht eine Heimstätte für deutsche Fremdlinge, deutscheGäste" gebe. Zwei Millionen Deutsche leben in Böhmen, nnd die vortrefflichen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Herbst wie ein Blick ans die Sprachenkarte lehren, wie verhältnismäßig leicht die Ab­grenzung der Bezirke erfolgen kann. Die Teilung des Prager Obergerichtes in einen deutschen nnd tschechischen Senat ist gleichfalls grundsätzlich wichtig, weil der deutsche Senat die Vorschläge betreffs Besetzung deutscher Richterstellen zu machen Hütte und dadurch die Gefahr, die in der Zwangs-Sprachen- Verordnnng liegt, einigermaßen behoben würÄe. Die Sprachen- Verordnnng ist zwar nicht aufgehoben, aber indirekt ist znge- standen worden, daß man im geschlossenen deutschen Sprach­gebiet sehr wohl mit der deutschen Sprache allein auskommen könne, während umgekehrt im tschechischen Sprachgebiet der höheren Verwaltungsstellen wegen, deren Amtssprache deutsch ist, die Kenntnis der deutschen Sprache notwendig bleibt. Auch die Erleichterungen in der Schulpflege können den Deutschen willkommen sein. Dagegen ist eilt politischer Hauptgedanke noch völlig vom Rätsel der Zukunft umschlossen, nnd das ist die nengeplante Einteilung der Kuriatvoten. Sie ist alten Stündeverfassungen entnommen nnd tauchte in der neuesten Geschichte nur in Gladstones Homernle-Bill in der Gestalt ans, daß dem irischen Großgrundbesitz eine ausschlaggebende Rolle zngedacht war. Für Böhmen bräche die neue Kurien- einteilnng das moderne Majoritütsprinzip. Den nationalen Kurien, der tschechischen und deutschen, würde die Großgrnnd- besitzergrnppe als dritte zur Seite gestellt werden. Bisher wurde nach Stadt- nnd Landgemeinden gewühlt und die Groß­grundbesitzer entsandten ebenfalls eine bestimmte Anzahl von