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Kette, wie im Beispiel des HOI, damit auf, denn es fehlt die Möglichkeit, ein drittes Glied hinznznfügen. Ist aber das zweite Atom zweiwertig, so kann seine zweite Valenz als Haken dienen, an den sich ein neues Glied anschließt, während ein dreiwertiges Element zwei, ein vierwertiges drei freie Angriffspunkte für neue Glieder bietet.
Auch graphisch trägt man dieser Anschauung Rechnung, indem man zwei Atome, die mit einer ihrer Valenzen Zusammenhängen, durch einen, solche, die mit zwei Valenzen aneinander gekettet sind, durch zwei Striche u. s. w. im Formelbild verbindet. Unsere früher ausgestellten Formeln würden hiernach das Ansehen gewinnen:
II- 01 Salzsänre
II (> ll Wasser
^ X—II Ammoniak
II ll .
H t_n Grubengas
O^O-^-O Kohlensäure
X (' II Blausäure
ü I 0 Zs o ll Hvlzgeist-
Für solche einfach zusammengesetzte Verbindungen allerdings wäre eine derartige, dem Gesetz der Atomverkettnng sich anschließende Darstellnngsweise kaum von nöten gewesen, wohl aber hat sie sich von unendlichem Vorteil erwiesen, als es galt, Ordnung und Klarheit in das ungeheure Gebiet zu bringen, das wir als die organische Chemie zu bezeichnen uns gewöhnt haben, und das nichts anderes als die Chemie der Kohlenstoff- Verbindungen umfaßt. In der That ist es hier gelungen, selbst die kompliziertesten Stoffe, die größten Moleküle in allerdings mannigfach verzweigte und verästelte Ketten aufzulösen, deren einzelne Glieder wir nicht nur kennen, sondern von denen wir auch die gegenseitige Stellung der Glieder zu einander aufs genaueste bestimmen können.
Und noch eine andere Ansdrncksweise hat sich hier als vorteilhaft erwiesen. Wenn eine Valenz des Sauerstoffs, wenn drei Valenzen des Kohlenstoffs durch Wasserstofsatome gesättigt sind, so ist, wie das schon anseinandergesetzt wurde, noch eine freie Valenz vorhanden, die wieder an beliebige Atomgrnppen sich binden kann. Diese Kombinationen
HO - und I II' -
verhalten sich also genau wie ein einfaches einwertiges Atom, etwa RI—. Man hat ihnen deshalb auch eigene Namen gegeben und bezeichnet die einwertige HO-Grnppe als Hydroxyl, die einwertige RÖ.O-Grnppe als Methyl. Ebenso nennt man die einwertige IDX-Grnppe die Amidogruppe und bezeichnet die häufig sich vorfindende einwertige Gruppe OOOH als Carboxyl gruppe. Nach der oben erörterten Schreibweise auseinander gezogen würde dieser letztere Komplex zu schreiben sein:
0-
II o *
Versuchen wir es nun einmal, die Formel eines Körpers Ol 001 auf ähnliche Weise anfzulösen, seine „Struktur" oder „Konstitution," wie man sagt, zu ergründen. Wir werden leicht Ansehen, daß hier zwei Möglichkeiten vorliegen:
1. ^ o OIO ( II,
2. II.I' ('<!, OlO
Eine dritte Strukturformel aber ist unmöglich, es sind eben nur diese beiden Fälle denkbar, daß das 01-Atom an ein endständiges oder an das mittlere Kohlenstoffatom gekettet ist. Diesen beiden Formeln aber müßten zwei verschiedene Körper entsprechen. Das ist auch in der That der Fall, und zwar
ist man in der Lage, mit voller Sicherheit zu bestimmen, welchem Körper die Formel 1, welchem die Formel 2 znkommt. Solche Substanzen, die bei gleicher Brnttoformel eine verschiedene Struktur haben, nennt man Isomere; ihre mögliche Zahl muß um so größer sein, je größer das Molekül ist und je mehr verschiedene Elemente in ihm enthalten sind. Niemals vergessen freilich darf man, daß solche Fvrmelbilder, wie wir sie nun kennen gelernt haben, eben nur Bilder sind und sein sollen, die zwar den thatsächlich vorhandenen Verhältnissen nach allen Richtungen hin Rechnung tragen, uns aber nichts über den wahren Grund anssagen, der so Atom an Atom haften läßt, mag dieser Grund in der gegenseitigen Anziehung der kleinsten Teile oder in anderen Naturgesetzen zu suchen sein. Hier endet einstweilen unsere Kenntnis, und wer weiß, ob es überhaupt je gelingen wird, das Wesen der Atome und ihrer Wechselbeziehungen in seiner ganzen Tiefe zu erfassen.
Unter den komplizierteren organischen Verbindungen nun hat mail frühzeitig eine große Gruppe kennen gelernt, an deren Zusammengehörigkeit seit Mitscherlichs klassischer Arbeit über das Benzin kaum ein Zweifel bleiben konnte, die Klasse der aromatischen Verbindungen. Ans ihnen allen - und sie zählen nachgerade nach Tausenden und aber Tausenden — gelingt es, auf einfachere oder kompliziertere Weise eine Gruppe von sechs Kohlenstoffatomen, verbunden mit sechs Wasserstoffatomen, abzuspnlten, eine Gruppe, die allen Versuchen, sie in ähnlicher Weise zu zerlegen, wie dies bei anderen Kohlenstoffketten mög lich ist, einen zähen Widerstand entgegensetzt. Der Körper, der so ans sechs Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatomen sich zn- sammcnsetzt, dem also die Formel 0,1 h; znkommt, ist das Benzol oder Benzin, als Flcckenreinignngsmittel männiglich bekannt. Welche Konstitution ist nun dem Benzol eigen? Die Aufgabe scheint auf den ersten Blick bei der enormen Anzahl möglicher Atomgrnppiernngen, denkbarer Isomeren fast unlösbar. Hier ist es, wo die Keknlosche Hypothese einsetzt, die mit gw schickter Benutzung schon damals bekannter Thatsachen und mit bewundernswert divinatorischer Voraussicht später klargclegter Verhältnisse unter allen Fvrmclbildern eins heransgegrissen hat, das allein allen bekannten Thatsachen zu entsprechen vermag. Danach besteht das Benzol ans sechs gleichartigen Atompaaren Oll, die eine ringförmige, in sich znrücklanfende Kette bilden. Von den vier Valenzen der einzelnen Kohlenstosf- atome ist somit eine durch Wasserstoff gesättigt, während zwei weitere mit den beiden benachbarten Kohlenstoffatomen in Bindung stehen, lim auch die vierte Valenz zur Geltung kommen zu lassen, nimmt Keknlö (hier allerdings nicht ohne Widerspruch) an, daß je zwei OlO-Grnppen abwechselnd in einfacher und in doppelter Bindung sich befinden. Drückt man das Gesagte bildlich ans, so kommt man auf die Form des regulären Sechsecks, dessen Ecken eben die Atomgrnppen Oll einnehmen:
c//
//c- c //
<7/
Wer je auch nur einen Blick in ein chemisches Journal geworfen hat, der wird diesem Schema, dem bekannten Benzol- sechseck, immer und immer wieder begegnet sein. Seine ganze Bedeutung aber wird nur der ermessen können, der die Chemie des letzten Lnstrnms mit- oder nacherlebt hat. In einem zweiten Artikel will ich es versuchen^ auch dem Fernerstehenden die Fragen, die die Keknlösche Hypothese gelöst oder aufgeworfen hat, etwas näher zu rücken.