geradezu vorenthält. Aber wenn man es recht bedenkt, hätte ihr auch der Name Kruse nie und nimmer neu sein dürfen. Sie stand doch schwerlich zum allerersten Mal an diesem Grab. Hat sie denn nie richtig hingesehen? Oder aber ist die Grabinschrift neu, haben wir es mit einem frischen Grab zu tun? Dann hätte Petersen nicht unter heiterem Geplauder am Whist teilgenommen (21 ff), von anderen Gegenindizien zu schweigen. Warum schließlich haben die Dorfleute „nur immer" von Petersens Tochter gesprochen? Hätten sie nicht, dem Anstand zuliebe, von Frau Kruse und späterhin von Witwe Kruse reden müssen?
In all diese Ungereimtheiten kommt mit einem Schlage Licht, wenn wir die offensichtlich unbrauchbare Hilfsvorstellung fallenlassen und uns die Sache so denken:
Auf dem Grab von Elisabeths Mutter steht der Name Petersen, nur dieser eine. Unser Interesse sollte sich von diesem Grab lösen und einem anderen zuwenden, das ebenfalls auf dem Friedhof von Holkeby liegen muß, das uns Fontane indes mit notorischer List unterschlägt. Auf dieses zweite Grab mag Elisabeth „bei der Gelegenheit" hingewiesen haben mit den Worten: hier ruht, damit du endlich auch das einmal weißt, mein Vater. In diesem Augenblick glaubt die naive Asta zu begreifen, daß „Elisabeth eigentlich Elisabeth Kruse heißt (...) und daß wir sie eigentlich gar nicht Elisabeth Petersen nennen dürfen." Denn Mädchen tragen, wenigstens bis zu ihrer Hochzeit, immer den Name des Vaters; solche Dinge weiß sie, da bedarf sie keiner Auskunft. Auf jenem Grab aber steht der Name Kruse, so daß Elisabeth gleichfalls eine Kruse ist und „bloß ihre Mutter eine Petersen war". Dies letztere bleibt zwar mysteriös, aber wer sechzehn ist, denkt so manches nicht richtig zuende.
Die legitime Elisabeth Petersen, an die Asta bisher geglaubt hat, verwandelt sich in ihrer Phantasie in eine legitime Elisabeth Kruse. An die Stelle einer halb irrigen Annahme tritt eine ganz irrige. Asta kommt nicht auf jenes desillusio- nierende Dritte, daß Elisabeth illegitim ist, ein Kind der Liebe, wie man das zu Fontanes Zeiten euphemistisch nannte. Hätte sie einfach gefragt, vielleicht wäre sie aufgeklärt worden; denn wie verschämt sich auch Elisabeth ausdrückt, man merkt, daß sie bei der Wahrheit bleiben will. Asta jedoch, Tochter eines Hobby-Genealogen, möchte lieber einmal das eigene Wissen über solche Ab- stammungs- und Namensfragen ins Treffen führen. Sie fragt nicht, sondern kombiniert. Aber ihr Denken stößt dort an seine Grenze, wo die Konventionen aufhören, mit denen sie vertraut ist. Das Unkonventionelle kommt in ihrer behüteten Welt nicht vor. Sie kennt es, wenn überhaupt, nur vom Hörensagen und vermutet es nicht in so unmittelbarer Nähe. Darum entgeht ihr die Wahrheit, und sie selber entgeht dem Erschrecken über die Wahrheit. „Eine lebhafte Phantasie schiebt auch Bilder vor das Häßliche und ist dann wie ein Schutz und Schirm", wird Julie von Dobschütz im 9. Kapitel von ihr sagen (63). So läßt der Erzähler sie statt über den tiefen Fall von Elisabeths Mutter über etwas ihren jungen Jahren Gemäßeres, einen fallenden Stein, erschrecken, wie wenn das dem Schicksal geschuldete Erschrecken auf jeden Fall abzuleisten wäre.
Müßig fast zu sagen, wie sich das letzte nun noch offene Rätsel der Textstelle verflüchtigt. Von einer Witwe Kruse redeten die Nachbarn deshalb nicht, weil es eine solche nicht gab. Indem sie von „des alten Petersen Tochter" sprachen.
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