Heft 
(1988) 45
Seite
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an der das zweimalige Anführungszeichen nicht einen Sprecherwechsel mar­kierte. Es gibt ferner kein zweites Beispiel für die Gliederung eines zusam­menhängenden Gesprächsbeitrages in Absätze. Warum also hier, was bedeutet es? Hat Asta beim Übergang von Kruses Grab zu Estrids Gruft im Bericht eine Pause eingelegt? Dafür spricht wenig, denn »wenn Onkel Alfred da war, mußte alles herunter, was ihr auf der Seele lag", heißt es kurz vorher (59). Es ist, als hätte an dieser Stelle, mitten in Astas Rede, gewissermaßen ein anderer das Wort, ergreift es aber nicht. Es ist, als stünde hier das gerührte Schweigen Arnes, der es nicht übers Herz bringt, seiner Nichte über die betrüblichen Bewandtnisse von Elisabeths Herkunft die Augen zu öffnen. Unter anderen Umständen hätte Fontane wohl ein lakonischesArne schwieg" zwischen diese bedeutungsträchtigen Anführungszeichen gesetzt, und es hätte dem flüchtigen Leser wenig genug verraten. Hier war ihm selbst das noch zu laut.

Die bisherige Untersuchung galt einer Stelle im 8. Kapitel, war aber im Grunde der epischen Komplementierung des 7. Kapitels gewidmet. Der Leser wird die reizvolle Versuchung verspüren, zurückzublättern und nachzusehen, weshalb oder vielmehr auf welche Art und Weise die Szene an Kruses Grab im 7. Kapi­tel fehlte. Er wird mit einer delikaten Überraschung belohnt werden. Dort, wo ein biederer Chronist diese Szene in seinen Bericht eingereiht hätte, steht bei Fontane nichts als die Beschreibung einer Kirche, die keinen Turm hat, die für eine Scheune hätte gelten können und deren Glocke außen an der Giebel­wand hängt.

II

Warum hat Fontane dieses Grab vor dem Auge des Lesers derart gründlich versteckt, daß es hundert Jahre lang unentdeckt blieb? Es muß um mehr gegangen sein als die Tarnung eines jener vorausweisenden Symbole, die bei ihm gang und gäbe sind. Tatsächlich wird die Antwort anders lauten, doch der Leser dulde einen kleinen Aufschub. Es gibt noch zwei weitere Verstecke in diesem literarischen Heuboden, und erst nachher wird sich bequem darüber disputieren lassen. Aber ein Formprinzip des Romans, das ebenfalls bisher unbemerkt geblieben ist, kann nun erörtert werden. Das Schattendrama auf dem Kirchhof erweist sich als ein wohlzusammengesetztes Motivspiel, das noch mehrmals wiederkehren wird. Man könnte an ein Rondothema denken, doch möge die Metapher cum grano salis genommen sein. Im klassischen Rondo setzt das Thema immer wieder in derselben Weise und demselben Mezzoforte ein. Fontane wählt eine eher romantische Form. Er läßt es im Unmerklichen einsetzen und von Mal zu Mal an Vernehmlichkeit und Gewicht hinzugewin­nen. Sein Rondothema besteht aus folgenden Einzelmotiven:

1. Der Protagonist der Szene wähnt sich vor die Aufgabe gestellt, zwischen zwei Erklärungen oder Entscheidungen zu wählen.

2. Beide Optionen, die er in Betracht zieht, liegen im Rahmen des Herkömm­lichen, des Konventionellen oder Traditionellen.

3. Er verfehlt darüber ein Drittes, das den Vorzug hat, der Wirklichkeit zu entsprechen. Dieser Vorzug ist freilich der einzige. In diesem Dritten stek- ken die schnöden, desillusionierenden Überraschungen des realen gesell­schaftlichen Daseins.

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