Heft 
(1988) 45
Seite
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4. Der Protagonist verfehlt das Dritte auch deshalb, weil er es verschmäht oder nicht recht versteht, Aufkunft einzuholen. Er verwechselt seine Kennt­nis der Konventionen mit Lebenskenntnis und spekuliert, wo er fragen und auf informative Kleinigkeiten achtgeben müßte.

Dies sind die vier ständigen, gewissermaßen die kanonischen Motive des Themas. Nun geht es manchmal weiter, manchmal auch nicht. Warum dies so ist, darüber später ein Wort.

5. Dem Protagonisten wird das Dritte, das er verfehlt hat, auf andere Weise zu Bewußtsein gebracht.

6. Er ist innerlich auf dieses Ereignis nicht vorbereitet und verliert das see­lische Gleichgewicht.

Von diesen sechs Motiven fehlt in der Friedhofsszene eines ganz, das fünfte. Dies ist indes kein simpler Ausfall, sondern eine wohlüberlegte Weglassung. Wäre Asta nur einmal, nur am Grabe, dem Schreck desillusionierenden Erken- nens entkommen, ließe sich über die Absicht des Autors streiten. Daß sie aber auf Holkenäs noch einmal, mit Bedacht, vor diesem Erkennen behütet wird, macht alle Zweifel müßig. Auch der Grund jener Weglassung gibt kaum ein Rätsel auf. Wo alles ins tiefste Pianissimo getaucht sein soll, nimmt sich eine Generalpause recht wirkungsvoll aus, ja sie kann auf paradoxe, aber genuin spätromantische Art einen Kulminationspunkt bedeuten. Plausiblerweise hätte nun auch das sechste Motiv wegfallen müssen, da es aus dem fünften kausal hervorgeht. Ein deus ex machina tritt rettend dazwischen: der herabpolternde Stein, ein symbolischer Vorbote niederziehender, schreckeinflößender Einblicke, undeutbar freilich selbst dem sensiblen, ahnenden Leser des 7. Kapitels, hat er doch bis dahin nichts mitgeteilt bekommen über das Gespräch der Mädchen am Grabe kurz davor. Großartig und geheimnisvoll schreitet das sechste Motiv den anderen episch voraus. Fontane benutzt auch die Verwirbelung der Motiv­reihenfolge als Kunstmittel, um den Einsatz des Romangeschehens in eine Aura der Unmerklichkeit zu betten.

Das Thema kehrt erstmals wieder im 13. Kapitel, nun komplett, episch un­gebrochen, die Motive ordentlich aufgereiht, ohne allzuviel Gewicht, ein heiteres Allegretto. Holk vermutet, in Ebba entweder eine Rosenberg- Gruszczynski oder eine Rosenberg-Lipinski vor sich zu haben. Statt sie nun einfach danach zu fragen, versucht er, mit einer genealogischen Kombination von selber auf die Antwort zu kommen. Doch Ebba eröffnet ihm, sie sei eine Meyer-Rosenberg, undHolk schrak ein wenig zusammen" (100). Auf eine Hofdame jüdischer Herkunft war sein traditionalistisches Wahrscheinlichkeits­denken nicht gefaßt gewesen. Doch sein Schreck bleibt gelinde, und mit iro­nischem Scheinernst teilt uns der Autor die Reflexionen mit, die ihm helfen, sich zu fangen.Holk war krasser Aristokrat". Wird der krasse Aristokrat nicht demnächst Fräulein Meyer ein Heiratsangebot machen wollen?Aber so sicher er über seinen eigenen Stammbaum war, so zweifelvoll verhielt er sich gegen alle anderen, die fürstlichen Häuser nicht ausgeschlossen". Haben wir nicht eben miterlebt, daß ein Name wie Rosenberg nicht den leisesten Zweifel in ihm wachrief? Der Erzähler stellt im Schlußabsatz des 13. Kapitels seine Stimme in den Dienst einer Figur und denkt sich sein Teil.

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