III
Nur einmal, im 16. Kapitel, sucht Holk einem Rätsel auch fragend auf den Grund zu kommen, dem Rätsel der beiden Frauen, bei denen er wohnt und deren jede mit einem Kapitän namens Hansen die Ehe eingegangen ist. Aber er fragt den Falschen, die undurchsichtigste Figur des Romans, Pentz, dem es ein „Beweis tiefer Nichtbildung" ist, „sich über Moralfragen zu erhitzen." (70). Er hat Holk einst bei diesen Frauen einquartiert und kann sich deshalb am allerwenigsten ihm gegenüber über sie auslassen. So läßt er ihn abblitzen, mit einer „furchtbare(n) Geschichte" könne er „beim besten Willen nicht dienen" (118). Doch Pentz, in den Roman eingeführt als Besucher des Hauses Hansen, kann nicht weniger informiert sein als die Prinzessin, die von Brigitte nur durch andere „wahre Wunderdinge" (123) gehört hat und sie dennoch jenen zuordnet, die „Anspruch auf einen .Artikel' oder Ähnliches" in der Kopenhage- ner Skandalpresse hätten. So weiß nur Holk nicht, was in Hofkreisen über die schöne Bourgeoise allgemein bekannt ist. Was mag es sein?
Brigitte, inzwischen dreißigjährig, hat einmal aus der Ehe mit Hansen ausbrechen wollen. Das liegt etwas über fünf Jahre zurück, die Mutter kann es auf den Sommer 1854 datieren. Anlaß sei ein Leutnant der Leibgarde gewesen, der verschuldet seinen Abschied genommen habe, jedoch, „weil er so klug war und alles wußte, denn er kannte jedes reiche Haus und besonders die Frauen ", von Minister Baron Scheele in den inneren Dienst „herübergenommen" worden sei, „und in diesem Dienst ist er noch und auch schon sehr vornehm geworden" (82). Vermutlich ist es der Polizeichef, der Brigitte nachts besucht, denn auf Holks Frage, ob sie von der Liebe „geheilt" worden sei, gibt Frau Hansen merkwürdig verklausulierte Auskünfte. „Ja, das wurde sie, wiewohl man's bei Brigitte nie so ganz sicher wissen kann. Denn sie spricht wohl mancherlei, aber sie schweigt auch viel" (82 f). Als sie „den nächsten Winter wieder hier" gewesen sei, habe sie diese Werbungen zurückgewiesen, „soviel ich sehen konnte" (84). Doch Holk entdeckt den möglichen Zusammenhang nie. Seine geringe Auffassungsgabe verundeutlicht den Polizeichef zu einem .„Sicherheitsbeamten", aus dem später erst durch Konklusion wieder der Polizist hervorgeholt wird (vgl. 117).
Der Winter von 1854/55 kann es jedoch nicht gewesen sein, denn die Seereise nach Fernost und zurück dauerte damals länger als ein halbes Jahr. Aber auch wenn man den von 1855/56 oder gar von 1856/57 in Betracht zieht, bleibt es merkwürdig, daß Holk Brigitte nicht kennenlernte, als er „vor zwei Jahren das erstemal" (118), somit 1857, bei Frau Hansen wohnte. Doch mit dieser Frage und allen folgenden läßt Holk uns allein. Ihn beunruhigt außer dem Sicherheitsbeamten höchstens noch die Siamgeschichte, jenes Pseudoseemannsgarn, das Mutter Hansen in narrativer Notwehr spinnt, weil sie unversehens für das Versiegen der Eifersucht ihres Schwiegersohnes ein Motiv nennen soll. Uns sollte merkwürdiger sein, daß ihn in Kopenhagen kein Mensch je zu Gesicht bekommen hat. „Beiläufig soll er immer unter Rum stehen", sagt Pentz einmal (120). Die Frage, ob es stimmt, wird sich bald nicht mehr stellen, das Interessante steckt anderswo. Pentz, sonst alle Welt kennend, stützt sich auf Nachricht aus zweiter Hand. In der Frühzeit der Ehe hatte Brigitte ihren Mann auf allen Fahrten begleitet. „Da war", so Witwe Hansen, „wirklich
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