Heft 
(1889) 29
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Deutschland.

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welche einem schwächlichen Nachgeben dem Mob gegenüber das Wort reden würden, aber die wahrhaft wehrpflichtigen und wehrbereiten Männer der Arbeit haben heute mehr wie je allerdings ein Recht ans angemessene Behandlung.

Und hiermit sind wir auf die soziale Seite des Erlasses gekommen.

Mit vollstem Recht bezeichnet der kaiserliche Erlaß für die Zulagen als durchschnittliches Maximum 45 Mk. bei der Infanterie, 70 Mk. bei der Artillerie und 150 Mk. bei der Kavallerie per Monat. Um zu diesem Resultat der vorbehalt­losesten Billigung zu gelangen, bedarf es nicht der Rücksicht­nahme auf die einmütig Beifall spendende selbst hochkon- scrvative Presse, sondern nur auf die Mittel, welche einem Lieutenant mit jener Zulage zum Lebensunterhalt zu Gebote stehen, und ans die thatsüchliche Lebensführung, wie sie leider fast überall in den Offiziercorps eingerissen ist, und weiter auf einen Vergleich betreffs der etwa koordinierten anderweiten Beamten- und Bürgerkreise.

Das Gehalt eines Sekonde-Lieutenants der Infanterie beträgt 75 Mk., dazu Servis und Wohnungsgeldznschuß durch­schnittlich 65 Mk. und die sog. Tischznlage in Höhe von etwa 5 Mk. in Summa 145 Mk. Hiervon gehen ab an regel­mäßigen Abzügen: 50 Mk. für die Kleiderkasse und etwa 5 Mk. für Musik, Bibliothek u. s. w., bleiben zur freien Verfügung 110 Alk. Hiervon hat der Lieutenant den Lebensunterhalt zu bestreiten, und hier liegt in der That der wunde Punkt, an dem unser Heer wirklich krankt. Es ist notig, um diese Be­hauptung zu beweisen, auf zweierlei hinzuweisen; einmal aus die Frage: Wie außerordentlich viele Beamte müssen über­haupt mit diesem Gehalt auskommen? Und zweitens: Wie lebt man in den jungen Ossizierkreiseu?

Es ist noch in frischer Erinnerung, wie seitens des Justiz­ministers vor einiger Zeit, als über die Verschlechterung des Richtermaterials wegen zu geringer Besoldung in der Volks­vertretung hingewiescn wurde, ein Diätensatz von 6 Mk. pro Tag für den dreißig- und mehrjährigen Assessor für völlig genügend erachtet wurde. Thatsüchlich aber stehen sich heute in Preußen selbst Gerichts- wie Regierungsassessoren falls sie überhaupt besoldet oder kommissarisch beschäftigt werden nicht nur relativ, sondern sogar absolut schlechter wie der jüngste Sekondelientenant, der, erhält er ein Kommando mit der Extra- zulage, geradezu als Krösus demgegenüber erscheint. Daher denn auch regelmäßig die strahlenden Gesichter von Reserve­offizieren aus gedachten Beamtenkategorieen, wenn sie einge­zogen werden und den blinkenden Gehalt bekommen. scheit- sächlich aber kann ein Offizier bei vernünftiger Lebensführung mit jenen 110 Mk., wenn dazu noch 3045 Mk. Zulage hinzutreten, auskommen, und er muß es auch. Sein Etat ist etwa folgender: Frühstück 25 Pf., zweites Frühstück 50 Pf., Mittag uckl. Bier 1,20 Mk., Kaffee 25 Pf., Abendessen 60 Pf. Summa des Lebensunterhaltes pro Tag 2,80 oder rund 3 Mk. 90 Mk. per Monat. Es bleiben ihm also für Extraausgaben noch mindestens rund 5065 Mk., wovon er nur noch den Burschen mit etwa 6 Mk. zu lohnen hat. Nun wird man zugeben müssen, daß mit einem Taschengelde von 1,502 Mk. pro Tag ein junger Mann wird auskommen können, wenn er nicht ebenSprünge" macht. Der oben erwähnte Etat läßt sich jedoch noch wesentlich herabsetzen, wenn der Offizier den ihm vom Staat gehaltenen Bedienten den Burschen entsprechend zu Besorgungen des Abendbrotes u. s. w. benutzt. Leider aber hat sich in dieser Beziehung eben wie nach'zahllosen anderen Richtungen hin ein gefährlicher Luxus eingeschlichen. Daß der junge Lieutenant zu TischBier" trinkt, erscheint ihm kaum standesgemäß, und daß er nun gar zu Hause ein nahrhaftes Abendessen Annahme, zu dem ihm der Bursche mit geringem Aufwandc verhelfen kann, das gehört zu denjenigen Traditionen, welche man nur noch vom Hörensagen kennt.

Im Verein mit dem durch solche Neigungen znm Wirts­hausbesuch stehen aber noch zwei weitere Mängel höchst

bedenklicher Natur: der Mangel an wissenschaftlicher Fort­bildung und das Abhandenkommen des Sinnes für eine ein­fache Häuslichkeit. Die unseligen Geldheiraten, die in den Offiziercorps gäng und gäbe sind, wirken geradezu demoralisie­rend auf manchen jungen Mann ein. In der Gesellschaft meist in wohlhabendsten Häusern als Schoßkinder verwöhnt, übertragen die Herren den in reichen Häusern gesehenen Luxus als Bedürfnis auch ans ihren Standard ob lite, namentlich für das spätere Stadium eben der Ehe, und die inneren Ver­hältnisse dieser meist aus selbstsüchtigsteu Juteressen geschlossenen Heiraten sind denn auch nur zu oft durch und durch traurige, und zwar um so mehr, als sie meist von beiden Parteien im frühesten Alter geschlossen werden: die kaum den Mädchenjahreu entwachsene Brant ist durch den Glanz der Uniform und das chevalereske Wesen des Bewerbers, der Bräutigam durch den Glanz des Goldes geblendet, und wenn der Rausch verflogen, ist die Disharmonie eine vollendete, die nur zu oft einen sei es offenen, sei es versteckten tragischen Verlauf nimmt.

Die kaiserliche Kundgebung ist aber noch nach anderer Richtung hin um so erfreulicher, als sie auch die Besorgnisse zerstreut, daß seitens der Militärverwaltung etwa mit Gehalts­erhöhungen für die Offiziere hervorgetreteu werden könne.

Wir sehen somit in jeder Weise den kaiserlichen Erlaß als eine Saat, von der die schönsten Früchte zu erhoffen sind. Von alsbaldigster und nachhaltigster Wirkung aber wird der­selbe sein, wenn seitens der maßgebenden Kreise den Kasinos ein noch wachsameres Auge geschenkt wird, als es bisher ge­schieht. Die Kasinos sind in ihrer jetzigen Gestalt zweifellos nicht nur unwirtschaftlich für den Offizier, sondern durch das Kreditiere sogar geradezu gefährlich. Hier müßte dadurch Waudel geschaffen werden, daß einmal ein Kreditieren über­haupt ausgeschlossen wird, so daß dem jungen Lieutenant jede Verführung, auf Borg Champagner zu trinken, genommen wird, oder mindestens eine Beschränkung des Kredits stattfünde auf ein Minimum mit allwöchentlicher Regelung.

Zum Schlüsse aber sei noch erwähnt, daß thatsächlich uns eine große Anzahl der tüchtigsten Offiziere bekannt sind, welche noch mit geringeren als den vorerwähnten Zulagen auskommen und in dienstlicher Beziehung zu den schönsten Hoffnungen be­rechtigen. Und so ist denn zu hoffen, daß das alte Wort von der Einfachheit der deutschen Sitten, von maßgebendster Stelle dem ganzen Laude zugerufen, gute Früchte tragen möge zum Segen für Volk. Vaterland und Heer.

Unwillkürlich aber fordert diese Betrachtung auch noch zu einein Exkurse auf: zu einer Erwähnung des geradezu unver­antwortlichen Luxus und der tief beklagenswerten Verschwen­dungssucht, wie solche leider eingerissen sind bei zwei noch fast wichtigeren Faktoren des öffentlichen Lebens: auf den Universi­täten im Leben der Corps und bei den Veranstaltungen von öffentlichen Festlichkeiten namentlich patriotischen Charakters.

Welch außerordentliche Gefahr in der Heranbildung eines akademischen Bürgertums liegt, das später die führenden Stellen einnehmend in einer Weise verschwenderisch lebt, wie die deutschen Corps solche jetzt alsschneidig und feudal" eingeführt haben, bedarf wohl keiner weiteren Darlegung. Die täglich lauter werdenden Klagen aus den höchsten Beamten­kreisen über Oberflächlichkeit anstatt Gediegenheit und tüchtiger Leistungen sind die besten Beweise für die schon beginnende Wirkung des Hyper-Kultus des Wortesnational," und der Mangel an tüchtigen Kräften für andere als simple Provinzial- posten ist ein nur zu fühlbarer: hat man sich doch sogar in allerjüugster Zeit genötigt gesehen, selbst für die Verwaltung des Landratamts noch andere Garantieen zu schaffen, als einzig die Ablegung des Assessor-Examens, weil die Regieruugs- asfesforen als solche sogar den Anforderungen selbst nur dieses Amtes nicht gerecht werden können, und vielmehr zum Schaden des Allgemeinen glaubten, die Stelle voll und ganz durch Autorität, Feudalitüt und Schneidigkeit" ansfüllen zu kön­nen. Und leider hat sich diesen leeren Schlagworten gemäß unser Volksleben bereits zu einem nur zu großen Teile umzu-