Heft 
(1889) 29
Seite
491
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29. Deutschland. Seite 491.

Stellung eiuzuuehmeu brauchen. Zur Erkennung der Strom­richtung dient das Galvanometer, auf dessen Skala die Strom­stärke-Einheit nach Milliamperes (N. ^.) aufgetragen ist. Die beiden Leitungsschnüre werden an dem positiven beziehungs­weise negativen Pole des ersten und letzten Elementes befestigt: sie bestehen aus dünnem, zwecks Isolierung mit Seide begon­nenen Kupferdraht und werden in Metallstücke, welche an Holzhandgriffen befestigt sind, eingefügt. Diese Metallansätze enden mit einer Schraube zur Aufnahme der verschiedenen me­tallenen Ansatzteile, welche viereckig, rund, knöpf-, platten-, pinsel­förmig für die verschiedenen Körpergegenden und Wirkungs­weisen zur Verwendung gelangen.

Ein indncierter Strom entsteht in einer dünnen, auf einer Holzrolle aufgewickelten, begonnenen primären Kupferdraht- girate, wenn in einer benachbarten sekundären Spirale, welche aus dickerem Draht gefertigt ist und daher weniger Windungen besitzt und welche in die erste hineingeschoben werden kann, ein galvanischer Strom unterbrochen oder geschlossen wird, außer­dem wenn ihr schnell der Pol eines Magneten genähert oder von ihr entfernt wird. Zur Erzeugung des Stromes dienen ein bis zwei Elemente (meistens die in der Haustelegraphie gebräuchlichen Leclanchö-Elemeute). Jeder einzelne Jnduktions- strom hat geringe Stromstärke, erfolgt aber schnell. Durch geeignete Vorrichtungen werden die einzelnen Jnduktionsströme in rhythmischer Aufeinanderfolge als unterbrochener oder Jn- duktionsstrom verwendet, und zwar jetzt gewöhnlich als gal­vano-elektrischer Strom, welcher durch Einschaltung des Wag­il ersehen Hammers selbstthätig wirkt. In der Lichtung der primären Spirale befindet sich ein Eisenkern, welcher aus einer Anzahl dünner Eisenstübe besteht und durch dessen Ein- und Ausziehen aus der Rolle eine verschiedene Stärke des Stromes entsteht. Der primäre Jnduktionsstrom entsteht in der pri­mären, der sekundäre in der sekundären Rolle. Die Stärke des Stromes richtet sich nach der Stärke des inducierenden galvanischen Stromes und nach dem Ball des Apparates. Der sekundäre Strom ist am stärksten, wenn der Eiseilkern völlig in der primären und diese vollkommen in der sekundären Rolle steckt; er wird schwächer durch Herausziehen des Eisen­kerns und Entfernung der primären von der sekundären Rolle, was durch den Du Vois-Reymondscheu Schlittenapparat ermöglicht wird. Der Primäre Strom ist am stärksten, wenn das Eiseubündel völlig in ihm steckt und die sekundäre Rolle entfernt ist; seine Stärke wird verringert durch Entfernung des Eisenkerns, ferner durch Einschaltung künstlicher Widerstände.

Der dritte Apparat zur Erzeugung von Elektricitüt und deren Anwendung in der Therapie ist die Influenzmaschine, welche in ihrer einfachsten Gestalt wohl allgemein bekannt sein dürfte (zwei Glasscheiben, von denen die eine rotierende mit ihrem Staniolbelag und Metallspitzen auf einem Metnllpinsel aufschleift. Hierdurch wird die elektrische Ladung bewirkt und durch Metallbügel auf Papierstreifeil an der Hinterwand der feststehenden Scheibe übertragen). In Deutschland ist der Ge­brauch dieser Elektricitüt, welche mit hochgespannten Strömen arbeitet und als Franklinisation bezeichnet wird, erst in den allerletzten Jahren mehr in Aufnahme gekommen. Sie wurde besonders in Amerika bisher in Anwendung gezogen. Die Drehung der Scheibe kann durch einen besonderen Motor be­wirkt werden. Für Behandlungszwecke befindet sich die In­fluenzmaschine in einem großen Glasgehäuse, in welchem sich noch zwei Leidener Flaschen, ein Hygrometer und ein Quadraut- elektrometer befinden. Durch das Glasdach gehen zwei mit den beiden Auslader-Endeu fest verbundene Messiugstaugen hindurch, welche einen drehbaren mit Kngelenden versehenen Messingarm tragen, au welchem die zu den Nebenapparaten führenden Mes­singketten aufgehüngt werden. Zu den Nebenapparaten gehört ein Fußschemel mit Staniolbelag und zwei größere Stand­apparate als Glocken- und Spitzenvorrichtung, sowie die anderen Werkzeuge zur örtlichen Anwendung.

Mittels dieser drei Apparate, welche in ihrer Art und Weise und Stärke sehr verschiedenartige Ströme erzeugen, ge­

schieht die elektrische Behandlung. Ihre vornehmste Anwen­dung findet dieselbe bei den nervösen und rheumatischen Afsek- tionen. Die ersteren sind entweder organischer oder funktioneller Natur, über deren Unterschied ich bereits einige Auseinander­setzungen in der Skizze: Über Neurasthenie machte, auf welche ich hiermit zur Vermeidung von Wiederholungen verweise. Je nach dein Sitze der Ursache in den Centren, Gehirn und Rückenmark, oder der peripherischen Ausbreitung im Körper teilt man die Nervenleiden in centrale und peripherische ein. Der Ort, die Veranlassung, die Stärke der einzelnen Affek­tionen, sowie der Zustand des betreffenden Patienten indicieren die Anwendung der beschriebenen Vorrichtungen für den indi­viduellen Fall. Die leider der Mehrzahl der Menschen aus eigener Erfahrung bekannten rheumatischen Leiden sind der Muskel- und Gelenkrheumatismus, deren chronische Formen vorzüglich ein Angriffspunkt für die elektrische Therapie bilden. Der in Laienkreisen vielfach genannteNerveurheumatismus" ist in der ärztlichen Welt nicht bekannt.

Die Franklinisation, um mit der letzterwähnten Elektrici- tütsform zu beginnen, wird bei verschiedenen nervösen Stö­rungen, deren Ursachen im Gehirn liegen, z. B. der Migräne, sowie bei einigen hysterischen Asfektionen des Gesichts mit Erfolg in Form des elektrostatischen Luftbades verwendet. Der Patient befindet sich auf dem Jsolierschemel, dessen Staniol- belegung mit dem die positive Elektricitüt zusührenden Elek- troden-Ende in Verbindung gesetzt wird, während die über ihm angebrachte Glockenvorrichtung negative Elektricitüt erhält. Es entsteht sofort, wenn die Kette geschlossen, ein Emporstrüuben der Haare, welches durch die elektrische Verteilung und Spitzen­wirkung bedingt ist. Ferner äußern sich eigentümliche Gefühle in der Kopfhaut, Ziehen, Knebeln u. s. w., welche sich nach der entsprechenden Stellung der Glocke nach verschiedenen -veilen des Kopfes und Gesichtes hin verlegen lassen und dadurch bei den oben genannten Leiden von Wirksamkeit sein können. Die Stellen, auf welche die Elektricitüt wirkt, werden mehr oder- weniger bei den einzelnen Individuen durch die Einwirkung des Stromes auf die Hautgefäße rot und heiß. Nach der Sitzung ist das Gefühl für Berührung, Schmerz, Temperatur in den behandelten Stellen deutlich herabgesetzt. Die Folge­wirkungen sind erregende und zweitens beruhigende, was sich ebenfalls nach der Reaktionsweise der verschiedenen Personen richtet. Erstere bestehen in Aufregung, Unruhe, Angstgefühl, Schlaflosigkeit; letztere äußern sich durch Gefühl von Freier­und Leichterwerden z. B. bei Kopfdruck und den mit Hirn- erscheinnngen einhergehenden Formen von Neurasthenie, Herbei­führung von Schlaf, Ermüdung u. s. w.

Ich kann es mir nicht versagen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die bei den verschiedenartigen krankhaften Zu stünden des Nervensystems u. s. w. zur Verwendung gelangen­den Arten der Elektricitüt nur bei manchen Patienten mit diesen Leiden Wirksamkeit haben, während bei anderen ganz abweichende Maßnahmen notwendig sind, was natürlich nur der Beurteilung des behandelnden Arztes unterliegen kann, welcher die der ganzen Individualität des Kranken augepaßte Therapie für jeden einzelnen Fall aufzustellen hat. Wenn auch einem Patienten eine Behaudlungsweisegeholfen," so braucht sie darum nicht auch für ein anscheinend an derselben Krank­heit leidendes Individuum von Vorteil zu sein. Wenn ich sage anscheinend, so bezieht sich dies aus die laienhafte Be­urteilung von einzelnen Krankheitserscheinungen, welche so oft Veranlassung giebt, daß Kranke ohne ärztlichen Rat ein Heilverfahren, welches ein Arzt dem Leidensgefährten verord­net, für sich selbst benutzen, während doch der Kranke selbst sich gar kein Urteil über sein Leiden bilden kann und aus den Erzählungen anderer in den ineisten Fällen zu unrichtigen Schlüssen über seinen Zustand gelangen wird, da ganz ver­schiedene Grundleiden mit ganz analogen Symptomen verlaufen können, während andererseits ein und dieselbe Krankheit bei verschiedenen Personen sich durch die verschiedene Beschaffen heit des Körpers u. s. w. ganz verschieden gestaltet, was allein