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Deutschland.
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der Arzt durch Studium uud Beobachtung zu entscheiden in der Lage ist. Diese Bemerkungen beziehen sich nicht etwa allein auf die Nervenleiden und die Anwendung der Elektricitüt, sondern ganz allgemein ans krankhafte Zustände und die zu ihrer Bekämpfung vorhandenen Verfahren und Mittel. Das Sprichwort „Eines paßt sich nicht für alle" dürfte fast nirgends besser als in der „Heilkunde zur Beachtung empfohlen fein. Da besonders Nervenkranke, deren Leiden hier vorzugsweise in Frage kommen, solche Beschreibungen ans ihren eigenen Zustand zu beziehen geneigt sind, habe ich diese Bemerkungen hier eingefügt.
Bei jener Anwendung des elektrostatischen Luftbades bei Kopfnenralgieen u. s. w. liegt wohl weniger eine allgemeine als lokale Wirkung hochgespannter Elektricitüt vor. Betreffs ihrer örtlichen Anwendung in Form hochgespannter Ströme als elektrischer Hauch, Büschel ist nach den bisher vorliegenden wenig zahlreichen Beobachtungen deutscher Forscher über diesen Gegenstand zu sagen, daß dieselbe bei Hantgefühlslosigkeit gut wirkt, überhaupt überall da, wo thermische Effekte erwünscht werden, ferner bei veralteten neuralgischen Leiden, Ischias, Zwischenrippennerven-Neuralgie u. s. w. Für elektro-diagnostische Zwecke scheint die elektrostatische Reizung dieselbe Wirkung ans Nerven und Muskeln anszuüben wie die faradische, so daß im allgemeinen für die Jnfluenzelektricitüt nur ein kleiner, wohl aber recht ansnutzbarer Wirkungskreis vorhanden ist.
Der indncierte Strom, welcher durch mit Leinwand oder Schwamm versehene und angefenchtete Elektrodenplatten auf die Haut des Kranken oder innerhalb der Körperhöhlen mit knöpf- oder olivenförmigen Elektroden, welche mit längeren metallischen in der Nähe der Spitze isolierten Einführungs- stüben versehen sind, appliciert wird, wirkt auf die willkürlichen Muskeln und aus die Nervenstämme und erzeugt kräftige Muskelzusammenziehungen. Die Elektroden werden zu diesem Behufe an ganz bestimmten Körperstellen aufgesetzt, die als „motorische Punkte" bezeichnet werden. An diesen motorischen Punkten findet eine Reizung der motorischen Nerven an deren Eintrittsstelle in den Muskel statt. Muskelkontraktionen kann man aber auch dann erzielen, wenn man die motorischen Nerven überall da, wo sie der Oberfläche nahetreten, reizt. Sehr- wichtig und interessant ist die Erregung der Kontraktionen eines Muskels, die besonders bei verschiedenen Vergiftungen, mit Chloroform, Leuchtgas u. s. w. sowie anderen „asphyktischen" Zuständen, bei denen die Atmung gehemmt wird, energische Wirkungen entfaltet, nämlich die Znsammenziehung des Zwerchfells durch die Reizung der dasselbe versorgenden Zwerchfellsnerven. Der motorische Punkt dieser liegt beiderseits ungefähr in der Mitte dicht oberhalb der Schlüsselbeine. Durch das Aufsetzen der beiden Elektroden an diesen Stellen wird das Zwerchfell kontrahiert und hierdurch künstlich die Bewegung des Brustkorbs und der Lungen erzeugt, welche dieselben bei normaler Atmung ausführen. Auf diese Weise kann wieder den Lungen und durch ihre Vermittelung dem Blute sauerstoff- reiche Luft zugeführt und der drohenden Kohlensünrevergiftung, der Erstickung, vorgebeugt werden.
Örtlich wird der faradische Strom bei Lähmungen angewendet, hat aber hier geringere Wirkung als der konstante. Stärkere Reizung der gesamten Muskeln und Nerven mit dem inducierten Strom ist nicht günstig, da dieselbe lähmend auf die motorischen Nerven wirkt. Mit gutem Erfolg wird der Strom bei manchen Gelenkneuralgieen und Migräne benutzt, hat aber seine hauptsächlichste Verwendung in Form des fara- dischen Pinsels bei den peripherischen und centralen Anüsthesieen, welche verschiedene Erkrankungen des Nervensystems begleiten. Der indncierte Strom wirkt von der Haut aus sicherlich nicht sehr weit in die Tiefe, z. B. ans das Gehirn oder Rückenmark vom Schädel oder Rücken aus, wie dies vom konstanten Strom als feststehend zu betrachten ist, welcher daher auch zur Behandlung der Erkrankungen dieser vornehmlich zur Anwendung gelangt. Die örtliche Behandlung innerer Organe mit dem inducierten Strom bei verschiedenen Krankheiten des Darms,
Magens und anderer Unterleibsorgane beruht meistens ebenfalls auf dem Einfluß desselben auf die Muskulatur, welche diese Organe enthalten und welche wichtige Teile ihrer Funktion versorgen, und geschieht nach den für die Applikation des faradischen Stromes überhaupt gültigen Regeln. Auch hier ist je nach den vorhandenen Umstünden bisweilen die Anwendung des konstanten Stromes am Platze.
Der galvanische oder konstante Strom unterscheidet sich in seiner Wirkungs- und Anwendnngsweise sehr wohl von den vorher genannten. Er äußert stets nur Einfluß auf unterhalb der Haut gelegene Organe, Muskeln, Sehnen, Nerven, Gelenke n. s. w.; von den Nerven ans weiter auch auf das Gehirn und Rückenmark. Die für den inducierten Strom bisweilen gebräuchlichen sondenförmigen Elektroden zur Benutzung des Stromes in Körperhöhlen werden für den galvanischen Strom am besten vermieden, da stärkere konstante Ströme ätzend auf die Schleimhäute wirken. Der erregende Einfluß des Stromes kommt besonders bei den peripherischen Nerven in Betracht. Bei verschiedener Anwendung der Elektroden hat der konstante Strom beruhigende und schmerzstillende Wirkung, empfiehlt sich also für manche Arten von Rheumatismen und Nenralgieen. Ferner ist für die Wirkung des galvanischen Stromes die anf- und absteigende Richtung desselben wichtig, sowie die verschiedene Anordnung der Pole. (Man bezeichnet die eine Elektrode als Anode, die andere als Kathode, da erstere am positiven, letztere am negativen Pole sich befindet, jene also dem zu behandelnden Objekt positive Elektricitüt znführt, diese dieselbe abführt.) Für viele Zustände fallen diese beiden Verhältnisse wenig ins Gewicht, so bei der zerteilenden oder resorbierenden Wirkung des galvanischen Stromes, welche bei Vorgängen von Entzündung, zu starkem Blntreichtum und Ausschwitzungen der Drüsen, Muskeln, Sehnen, Gelenke, Nerven u. s. w. eine wichtige Rolle spielt, wiewohl hier die Richtung des Stromes von einiger Bedeutung zu sein scheint. Die Wirkungen des galvanischen Stromes, welche hierbei in Frage kommen und welche man als katalytische zusammengefaßt hat, sind dreierlei: die elektrolytische, welche noch besprochen werden wird, die physikalische und die Wirkung auf die Blut- und Lymphgefäße.
Der konstante Strom wird auch in direkter Verbindung mit Medikamenten benutzt, Behandlung mittels Kataphorese. Besonders das Chloroform wird hierfür verwendet, indem man die mit demselben getränkte Anode auf die Körperoberflüche an der zu behandelnden, die Kathode an beliebiger Stelle aufsetzt. Der Strom führt die Flüssigkeit von der Oberfläche in das Hantgewebe, wo das Chloroform seine schmerzstillenden Eigenschaften entfalten kann. Der Nachweis, daß das Medikament wirklich in die Haut eingedrungen, ist chemisch leicht zu führen: das Verfahren eignet sich besonders für die Behandlung schmerzhafter Nenralgieen, welche noch nicht zu lange Zeit bestehen. Zu demselben Zweck ist die Diffusionselektrode angegeben, welche das betreffende Mittel in flüssigem Zustande enthält, welches dann durch Diffusion durch eine Membran in das Hantorgan Übertritt.
Der konstante und faradische Strom gelangen gesondert oder zusammen im hydroelektrischen Bade zur Verwendung, welches sehr wohl von dem oben geschilderten elektrostatischen Luftbade zu unterscheiden ist. Die Elektricitüt wird der Gesamtoberflüche oder einem größeren Teile derselben durch Vermittelung der leitenden Vadeflüssigkeit zugeführt. Es giebt elektrische Voll- und Lokalbüder, elektrische Donchen u. s. w. Je nach der benutzten Stromesart kann man galvanische, faradische und galvano-faradische Bäder unterscheiden. Tauchen beide Pole des zugeleiteten Stromes in die Badeflüssigkeit, so ist das Bad ein dipolares, befindet sich nur der eine darin und der andere steht mit dem Körper des Badenden in Verbindung, so ist das Bad monopolar. Das elektrische Bad ist wohl das beste Verfahren für allgemeine Elektrisation. Beim monopolaren geht ein größerer Strom als beim dipolaren durch den Körper des Badenden hindurch. Das elektrische Bad bewirkt nachweisbare Veränderungen der Hant, des Nervensystems,