Heft 
(1889) 29
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Deutschland.

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der Atmung, der Körpertemperatur, des Allgemeinbefindens, aus denen sich die Indikationen für seinen Gebrauch bei ver­schiedenen Leiden des Nerven- und Bewegungsapparates, Neu- ralgieeu, manchen Formen des Zitterns, herleiten. Bon allge­meinen Erkrankungen des Nervensystems sind zu nennen Hysterie, Neurasthenie, Veitstanz, außerdem der chronische Gelenk- und Muskelrheumatismus. Erwähnt zu werden verdienen auch die noch nicht vollkommen abgeschlossenen Versuche, mit hydro­elektrischen galvanischen Bädern die Ausscheidung verschiedener Metalle, z. B. des Quecksilbers, aus dem Organismus zu be­günstigen, sowie auf kataphorischem Wege in der Badeflüssig­keit gelöste Stoffe, z. B. Eisen, mit Hilfe des Bades in den Körper überzuführen.

Die hydroelektrischen Bäder werden in Holzwannen verab­folgt. Beim mouopolaren Bade besteht die Flüssigkeit aus einfachem oder salzigem Wasser. Ein paar große Elektroden zur Strvmznleitung werden am Fußende in die Wanne ein­gehängt, quer über der Wanne eine mit feuchtem Leiter um­gebene röhrenförmige Elektrode, die vom Badenden erfaßt wird, angebracht, oder man benutzt eine große Metallplatte, die den Zuleitungsdraht aufnimmt und von einem passend gestalteten Gummiluftkissen umgeben ist, auf welches sich, wenn das Kissen mit Wasser gefüllt ist, der Kranke mit dem Rücken lagert. Als Stromquelle dient die sekundäre Rolle eines gewöhnlichen In­duktionsapparates oder eine konstante Batterie. Beim dipolaren Bade besteht die Badeflüssigkeit aus Wasser ohne Salzgehalt. Die Pole endigen in großen Metallplatteu, gewöhnlich acht, welche durch besondere Vorrichtungen beliebig ein- und aus­geschaltet werden können. Ilm ein recht starkes Durchströmeu des Körpers mit dem elektrischen Strom zu ermöglichen, ist noch eine Reihe anderer Vorrichtungen vorhanden. Die Strom­quelle ist die mit Eisenkern versehene primäre Rolle eines In­duktionsapparates für das faradische, eine konstante Batterie mit möglichst geringem inneren Widerstande fiir das galva­nische Bad.

Die Dauer eines elektrischen Bades schwankt von etwa fünf bis etwa fünfzehn Minuten, die Temperatur beträgt füuf- uuddreißig bis siebenunddreißig Grad Celsius. Die elektrischen Bäder müssen nach ärztlicher Vorschrift angefertigt und unter stetiger Kontrolle des Arztes benutzt werden.

Alle hier genannten Methoden haben den Zweck, den elek­trischen Strom in seiner verschiedenen Entstehung und Gestal­tung für die Behandlung der mehrfach erwähnten Erkrankungen zur Anwendung zu bringen. Die eingangs geschilderte streng notwendige Individualisierung für den Gebrauch der einzelnen Stromesarteu wird aus den obwohl nur ganz oberflächlich augedeuteten Indikationen deutlich geworden sein. Die übrigen Formen, in denen die Elektrieität in der Medizin zur Ver­wendung gelaugt, sollen demnächst besprochen werden.

Laute Ztrump als Erzieher.

Buir einem Berliner.

«Frei nach:Rembrandt als Erzieher.")

nutzt nichts, auf Prinzipien zu verweisen, aber eine be- deutende historische Gestalt, aus die man zeigen kann, die fördert, bildet und erzieht, und wenn ich Umschau halte, wen ich wohl in dieser Zeit des Niederganges der deutschen Nation als Bildner und Erzieher empfehlen könnte, so finde ich nur eiuen, der solcher Aufgabe gewachsen ist: Nante Strümp.

* Wir haben in Nr. 27 dieses Blattes den wertvvllen Aufsatz Reinbrandtismus" gebracht, in welchem vr. Servaes seiner Be­wunderung fürRembrandt als Erzieher" Ausdruck gab. Das Buch macht immer mehr von sich reden: wie aber die hier abgedruckte Parodie beweist, welche lins von einem unserer ersten Schriftsteller zugeht, regt sich bereits die Opposition gegen die neue Rembrandtvergötterung.

Über die Reinheit seines Germanentums kann kein Zweifel walteu. Schon sein Name giebt die Gewähr. Weun einst Nachtmütze" (nach Heine) das deutscheste Wort war, jetzt ist esStrümp." Ein sinniges Spiel des Zufalls, Gegensätze, die sich berühren, Nordpol, Südpol. Das antipodische Wort ist jetzt an der Reihe. Macnulays Neuseeländer auf der London­brücke. So vollziehen sich allerorten die ewigen Gesetze. Der Volksgeist ahnt es, aber die Wisseuschast geht daran vorüber.

In Nante Strümp haben wir den vollendetsten Ausdruck des Berlinertums und dadurch, in natürlicher Entwickelung der Dinge, des gesamten Deutschtums. Denn Berlin ist nicht länger mehr oder richtiger war niemals dergroße Wasser­kopf des Landes," wie der eiserne Kanzler zu versichern liebte sie größer der Mann, je größer der Irrtum). Berlin, wenn auch seinem Ursprünge nach mit dem wendischen Makel und was schlimmer als das, mit der Goethevernachlüssigung be­haftet, Berlin ist das große Prinzip, das alles Deutsche fördert, leitet, führt. Wohin? Das ruht in der Zukunft Schoße. Berlin ist derGeist" im Hamlet, Deutschland ist bloß Hamlet. Vergleiche Freiligrath. Wer Fortinbras ist, niemand weiß es, am wenigsten die Wissenschaft; aber wer Fortinbras auch sein möge, wir können es hindern, daß er klirrend einrückt, denn wir haben ein Allheilmittel. Nicht Krupp, nicht das rauchlose Pulver, nicht das Repetiergewehr, nein Nante Strümp.

Warum ist unser Nante so groß? Worin wurzelt seine Macht als Erzieher. Einfach in der Thatsnche, daß in ihm die für Deutschland maßgebende Vollkraft, die Berlinische, zum vollendetsten Ansdruck kam. Vordem hieß es, in jedem Ber liner stecke was vom alten Fritzen; seit dem Zeitalter Glas- breuners aber, dessen Anstreten dem Berlinertum Gelegenheit gab, die früher kontrahierte Schuld der Gleichgültigkeit gegen Goethe durch Glasbrenuer-Enthusiasmus zu tilgen, hat der Spruch von ehedem eine Wandlung erfahren und muß jetzt heißen:in jedem Berliner steckt ein Nante Strümp."

Noch einmal, was bedeutet uns dieser Name? Zunächst ein Besinnen auf uns selbst, Individualismus, Kunst, Adel. Nichts Individuelleres als derrichtige Berliner;" seiner Eigen­art entspricht nur eines in der Geschichte: seine große Be­liebtheit.

Zudem wer unseren Weihnachtsmarkt kennt, der kennt nusere Kunst, nnd wer unseren Wedding kennt, der weiß, daß wir von Adel sind. Alles ist da, nur vergraben; heben wir es, schaffen wir es zu Tage; Nante Strümp bedeutet uns einfach nationale Wiedergeburt. Je mehr wir mit dem Frem­den brechen, je größerer Kraftentwickelung werden wir fähig sein.

Das Unberliuische hatte durch Jahrzehnte hin zu viel Macht über uns gewonnen, und es wird sich mit Fug und Recht sagen lassen,' daß wir, in einer nun hoffentlich abge­schlossenen Verfallzeit, körperlich und geistig falsch ernährt wor­den seien. Hegel war ein Unglück, Schopenhauer ein Malheur, und schlimmer als beide waren die Quellen, an denen wir gleichzeitig unseren leiblichen Durst zu stillen hatten. Erst hatten wir den Thee, der das Berlin der Hegelzeit beherrschte, dann kam das, was, von Varzin aus, als dasnatürliche Getränk des norddeutschen Menschen" bezeichnet wurde sie größer der Mann, je größer der Irrtum), und endlich kamen uns Augustiner- und Franziskanerbräu. Darin lag vorgezeich­net, daß wir nach Kanossa mußten. Auf der ganzen Linie Rückgang. Und warum das alles? Weil wir des rechten Vorbildes vergessen hatten, jenes einen, dessen Berlinische Be­deutung in seiner echt Berlinischen Verpflegung wurzelte: die Weiße," derGilka." Nie kann ihm, unserem Vorbild und Erzieher, die Schuld der Dankbarkeit für die historischen Worte Nein, Rieke, alleweile keinen Thee nich" in gebührendem Maße abgetragen werden, Worte, neben denen Aussprüche wie mehr Licht" oderich bin es müde über Sklaven zu herr­schen" zu bloßen Simpeleien zusammenschrumpfen. Ihn vor­bildlich vor Augen, etwa wie die Bilder Theodor Hosemanns ihn uns aufbewahrt haben, in der Linken den Kümmel und in der Rechten noch einen, so werden auch wir zu wirklicher