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Deutschland.
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der Atmung, der Körpertemperatur, des Allgemeinbefindens, aus denen sich die Indikationen für seinen Gebrauch bei verschiedenen Leiden des Nerven- und Bewegungsapparates, Neu- ralgieeu, manchen Formen des Zitterns, herleiten. Bon allgemeinen Erkrankungen des Nervensystems sind zu nennen Hysterie, Neurasthenie, Veitstanz, außerdem der chronische Gelenk- und Muskelrheumatismus. Erwähnt zu werden verdienen auch die noch nicht vollkommen abgeschlossenen Versuche, mit hydroelektrischen galvanischen Bädern die Ausscheidung verschiedener Metalle, z. B. des Quecksilbers, aus dem Organismus zu begünstigen, sowie auf kataphorischem Wege in der Badeflüssigkeit gelöste Stoffe, z. B. Eisen, mit Hilfe des Bades in den Körper überzuführen.
Die hydroelektrischen Bäder werden in Holzwannen verabfolgt. Beim mouopolaren Bade besteht die Flüssigkeit aus einfachem oder salzigem Wasser. Ein paar große Elektroden zur Strvmznleitung werden am Fußende in die Wanne eingehängt, quer über der Wanne eine mit feuchtem Leiter umgebene röhrenförmige Elektrode, die vom Badenden erfaßt wird, angebracht, oder man benutzt eine große Metallplatte, die den Zuleitungsdraht aufnimmt und von einem passend gestalteten Gummiluftkissen umgeben ist, auf welches sich, wenn das Kissen mit Wasser gefüllt ist, der Kranke mit dem Rücken lagert. Als Stromquelle dient die sekundäre Rolle eines gewöhnlichen Induktionsapparates oder eine konstante Batterie. Beim dipolaren Bade besteht die Badeflüssigkeit aus Wasser ohne Salzgehalt. Die Pole endigen in großen Metallplatteu, gewöhnlich acht, welche durch besondere Vorrichtungen beliebig ein- und ausgeschaltet werden können. Ilm ein recht starkes Durchströmeu des Körpers mit dem elektrischen Strom zu ermöglichen, ist noch eine Reihe anderer Vorrichtungen vorhanden. Die Stromquelle ist die mit Eisenkern versehene primäre Rolle eines Induktionsapparates für das faradische, eine konstante Batterie mit möglichst geringem inneren Widerstande fiir das galvanische Bad.
Die Dauer eines elektrischen Bades schwankt von etwa fünf bis etwa fünfzehn Minuten, die Temperatur beträgt füuf- uuddreißig bis siebenunddreißig Grad Celsius. Die elektrischen Bäder müssen nach ärztlicher Vorschrift angefertigt und unter stetiger Kontrolle des Arztes benutzt werden.
Alle hier genannten Methoden haben den Zweck, den elektrischen Strom in seiner verschiedenen Entstehung und Gestaltung für die Behandlung der mehrfach erwähnten Erkrankungen zur Anwendung zu bringen. Die eingangs geschilderte streng notwendige Individualisierung für den Gebrauch der einzelnen Stromesarteu wird aus den obwohl nur ganz oberflächlich augedeuteten Indikationen deutlich geworden sein. Die übrigen Formen, in denen die Elektrieität in der Medizin zur Verwendung gelaugt, sollen demnächst besprochen werden.
Laute Ztrump als Erzieher.
Buir einem Berliner.
«Frei nach: „Rembrandt als Erzieher.")
nutzt nichts, auf Prinzipien zu verweisen, aber eine be- deutende historische Gestalt, aus die man zeigen kann, die fördert, bildet und erzieht, und wenn ich Umschau halte, wen ich wohl in dieser Zeit des Niederganges der deutschen Nation als Bildner und Erzieher empfehlen könnte, so finde ich nur eiuen, der solcher Aufgabe gewachsen ist: Nante Strümp.
* Wir haben in Nr. 27 dieses Blattes den wertvvllen Aufsatz „Reinbrandtismus" gebracht, in welchem vr. Servaes seiner Bewunderung für „Rembrandt als Erzieher" Ausdruck gab. Das Buch macht immer mehr von sich reden: wie aber die hier abgedruckte Parodie beweist, welche lins von einem unserer ersten Schriftsteller zugeht, regt sich bereits die Opposition gegen die neue Rembrandtvergötterung.
Über die Reinheit seines Germanentums kann kein Zweifel walteu. Schon sein Name giebt die Gewähr. Weun einst „Nachtmütze" (nach Heine) das deutscheste Wort war, jetzt ist es „Strümp." Ein sinniges Spiel des Zufalls, Gegensätze, die sich berühren, Nordpol, Südpol. Das antipodische Wort ist jetzt an der Reihe. Macnulays Neuseeländer auf der Londonbrücke. So vollziehen sich allerorten die ewigen Gesetze. Der Volksgeist ahnt es, aber die Wisseuschast geht daran vorüber.
In Nante Strümp haben wir den vollendetsten Ausdruck des Berlinertums und dadurch, in natürlicher Entwickelung der Dinge, des gesamten Deutschtums. Denn Berlin ist nicht länger mehr oder richtiger war niemals der „große Wasserkopf des Landes," wie der eiserne Kanzler zu versichern liebte sie größer der Mann, je größer der Irrtum). Berlin, wenn auch seinem Ursprünge nach mit dem wendischen Makel und was schlimmer als das, mit der Goethevernachlüssigung behaftet, Berlin ist das große Prinzip, das alles Deutsche fördert, leitet, führt. Wohin? Das ruht in der Zukunft Schoße. Berlin ist der „Geist" im Hamlet, Deutschland ist bloß Hamlet. Vergleiche Freiligrath. Wer Fortinbras ist, niemand weiß es, am wenigsten die Wissenschaft; aber wer Fortinbras auch sein möge, wir können es hindern, daß er klirrend einrückt, denn wir haben ein Allheilmittel. Nicht Krupp, nicht das rauchlose Pulver, nicht das Repetiergewehr, nein — Nante Strümp.
Warum ist unser Nante so groß? Worin wurzelt seine Macht als Erzieher. Einfach in der Thatsnche, daß in ihm die für Deutschland maßgebende Vollkraft, die Berlinische, zum vollendetsten Ansdruck kam. Vordem hieß es, in jedem Ber liner stecke was vom alten Fritzen; seit dem Zeitalter Glas- breuners aber, dessen Anstreten dem Berlinertum Gelegenheit gab, die früher kontrahierte Schuld der Gleichgültigkeit gegen Goethe durch Glasbrenuer-Enthusiasmus zu tilgen, hat der Spruch von ehedem eine Wandlung erfahren und muß jetzt heißen: „in jedem Berliner steckt ein Nante Strümp."
Noch einmal, was bedeutet uns dieser Name? Zunächst ein Besinnen auf uns selbst, Individualismus, Kunst, Adel. Nichts Individuelleres als der „richtige Berliner;" seiner Eigenart entspricht nur eines in der Geschichte: seine große Beliebtheit.
Zudem wer unseren Weihnachtsmarkt kennt, der kennt nusere Kunst, nnd wer unseren Wedding kennt, der weiß, daß wir von Adel sind. Alles ist da, nur vergraben; heben wir es, schaffen wir es zu Tage; Nante Strümp bedeutet uns einfach nationale Wiedergeburt. Je mehr wir mit dem Fremden brechen, je größerer Kraftentwickelung werden wir fähig sein.
Das Unberliuische hatte durch Jahrzehnte hin zu viel Macht über uns gewonnen, und es wird sich mit Fug und Recht sagen lassen,' daß wir, in einer nun hoffentlich abgeschlossenen Verfallzeit, körperlich und geistig falsch ernährt worden seien. Hegel war ein Unglück, Schopenhauer ein Malheur, und schlimmer als beide waren die Quellen, an denen wir gleichzeitig unseren leiblichen Durst zu stillen hatten. Erst hatten wir den Thee, der das Berlin der Hegelzeit beherrschte, dann kam das, was, von Varzin aus, als das „natürliche Getränk des norddeutschen Menschen" bezeichnet wurde sie größer der Mann, je größer der Irrtum), und endlich kamen uns Augustiner- und Franziskanerbräu. Darin lag vorgezeichnet, daß wir nach Kanossa mußten. Auf der ganzen Linie Rückgang. Und warum das alles? Weil wir des rechten Vorbildes vergessen hatten, jenes einen, dessen Berlinische Bedeutung in seiner echt Berlinischen Verpflegung wurzelte: die „Weiße," der „Gilka." Nie kann ihm, unserem Vorbild und Erzieher, die Schuld der Dankbarkeit für die historischen Worte „Nein, Rieke, alleweile keinen Thee nich" in gebührendem Maße abgetragen werden, Worte, neben denen Aussprüche wie „mehr Licht" oder „ich bin es müde über Sklaven zu herrschen" zu bloßen Simpeleien zusammenschrumpfen. Ihn vorbildlich vor Augen, etwa wie die Bilder Theodor Hosemanns ihn uns aufbewahrt haben, in der Linken den Kümmel und in der Rechten noch einen, so werden auch wir zu wirklicher