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Deutschland.
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Denn auch das Gleichnis, .mit dem er die Sache zu verdeutlichen sucht, spricht doch gegen ihn. „Wird mau ein Pferd deshalb belohnen," sagt er, „weil es eine größere Last zieht als eine Ziege?" Nein, man belohnt es nicht; aber um so viel mehr leisten zu können, muß es um so viel mehr zu fressen haben als eine Ziege.
Doch die Neuordnung der Dinge hat die Menschheit so reich gemacht, daß der „Fntterneid" keine Rolle mehr spielt. Auch wenn alle das Gleiche erhalten, erhält noch jeder einzelne mehr, als er überhaupt verwenden kann. Da Geld überhaupt nicht mehr existiert, so erhält ein jeder seine Kreditkarte, die in zahlreiche, einen bestimmten Wert repräsentierende Abschnitte ein geteilt ist. Dafür kauft er sich in den großen Staatsmagazinen, so viel sein Herz begehrt. Dort ist alles zu haben, nur „frische Fische" sind manchmal knapp. Ferner hat jede Familie ihr hübsches Haus, das auf das kostbarste und opulenteste eingerichtet ist. Da ist ein Bibliothekzimmer, in welchem sich die Schriften der alten Zeit und der neuen Ära zusammenfinden. Da ist weiter ein Musikzimmer, das mit einer Reihe von Telephonen ausgestattet ist. Man dreht eine Schraube, und sogleich ist der Raum von wunderbarer Musik erfüllt. Denn beständig, Tag und Nacht, konzertieren zahlreiche Musikchöre in gut akustisch gebauten Sälen und übermitteln so die Musik allen, die sie hören wollen. Da ist alles zu haben, von einem Orgelkonzert des Altmeisters Bach bis zum neuesten Walzer des Strauß des zweiten Jahrtausends. Auch Vortrüge und Predigten läßt man sich „auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege" übermitteln, da es nicht mehr üblich ist, um solcher Kleinigkeiten willen das Haus zu verlassen. Das thut man nur noch, um Mittag zu essen. Denn es bedarf wohl nicht erst der Erwähnung, daß das Kochbuch ans der Bibliothek der Damen verschwunden ist, und daß in großen Speisehüusern das Essen für alle zubereitet wird. Auch braucht man sich vor dem Spazierengehen bei Regen und schlechtem Wetter nicht zu fürchten. Denn fürsorglich spannt die Stadtverwaltung ein Schutzdach über die Straßen aus, gleich einem riesigen Regenschirm, der alle schützt.
Wie glücklich müssen hiernach die Menschen des Jahres zweitausend sein! Bis zum einnndzwanzigsten Jahre erzogen und schon als Schulkinder mit einer Rente ausgestattet, die nicht einmal ein erwachsener Mann anfzehren kann, treten sie wohl vorbereitet in das große Arbeiterheer ein, in welchem sie bei einiger Strebsamkeit sich ihren Beruf wühlen können. Sie dienen hier ihre vierundzwanzig Jahre ab, nicht ohne daß dann und wann eine Beförderung oder eine Dekoration ihren Mut neu belebte. Häufiger Urlaub giebt ihnen außerdem bequeme Gelegenheit, sich zu erholen und Reisen zu unternehmen. Vom fünfundvierzigsten Jahre an genießen sie sodann eine freie Muße, die sie nach Belieben ansfüllen können, indem sie sich ihrer Familie widmen oder ans Reisen gehen oder Künste und Wissenschaften Pflegen, bis ein später Tod sie ans einem glücklichen Leben abrnft.
Das ist Herrn Bellamys Traum. Im Grunde nicht einmal ein schöner Traum. Dem: man darf doch nicht übersehen, daß diese scheinbare Glückseligkeit aller erkauft wird durch eine allgemeine Knechtschaft. Denn Knechtschaft bleibt es, wo Offiziere über den Gemeinen stehen, wo der einzelne von Anfang seines Lebens an beständig kontrolliert und eensiert wird, wo der Ehrgeiz durch Belohnungen und Strafen angestachelt wird. Der Zustand ist vielleicht erträglich, aber ideal ist er eben nicht. So gewiß es ist, daß in Zukunft die Produktion sich immer mehr konzentrieren wird, daß wenigen Unternehmern, vielleicht einem einzigen, die ganze Masse der Arbeiter gegenüberstehcn wird, so ist das große volkswirtschaftliche Problem, diesen sozialen Zustand zu verwirklichen, ohne das Recht und die individuelle Freiheit des einzelnen anzntasten. Dieses Problem ist von Bellamy nicht gelöst, ja er hat kaum den Versuch dazu gemacht. Was ferner die Ausführungen des Verfassers noch mehr entwertet, das ist das Fehlen aller wissenschaftlichen Begründung, soweit es sich nicht um große Allgemeinheiten
handelt. Wir erfahren hier und da kleine Einzelheiten, die aber ganz oberflächlich und mehr scherzhaft zu nehmen sind. Über die Möglichkeit des von ihm Gewollten bleibt er den eingehenderen Nachweis schuldig. Allerdings gewinnt dadurch die Behandlung des Stoffes an Leichtigkeit, und vielen Lesern ist zweifellos dieser „Rückblick" nicht mehr gewesen als ein origineller Roman. Aber zur Lösung großer volkswirtschaftlicher Fragen trägt er nur wenig bei.
Ich erlaube mir dabei, nochmals auf das in diesem Blatte schon erwähnte Hertzkasche Buch „Freiland" hinzuweisen, in welchem die Frage nach der zukünftigen Entwickelung der Dinge in einer viel umfassenderen und gründlicheren Weise beantwortet ist. Denn hier ist wirklich der Versuch gemacht, nachzuweisen, daß ein Zustand denkbar sei, in welchem Freiheit und Zusammenwirken möglich ist, in welchem alle fiir alle arbeiten und doch jeder sein eigener Herr bleibt. Und in welchem auch die kulturellen Aufgaben einer viel gründlicheren Untersuchung unterzogen werden, als es bei Bellamy geschieht, der gerade hier durchweg bei einer oberflächlichen Betrachtung der Dinge stehen bleibt.
Äplioripmen.
Im Alter nicht ausschweifend zu leben, ist ebenso schwer, wie beim Nachtisch Vegetarier zu sein.
Der berühmte „rechte Steck," auf dem man sein tserz haben soll, ist jedenfalls nicht die Zunge.
In seinen Luftschlössern bewohnt man selbst stets die Bel-Ltage.
Ivenn die Weiber keine schlimmeren Seinde hätten wie die Weiberfeinde, könnten sie froh sein.
Bei allen Dissonanzen des Lebens kann uns eines trösten: die Auflösung ist unausbleiblich.
-i-
Den Kopf kann man mit fänden greifen; nicht das Aerz.
Man lasst sich von denjenigen einen Tadel gefallen, bei welchen man Wohlwollen voraussetzt, und man setzt bei denen Wohlwollen voraus, die einen nie tadeln. v. 0.
Die Methoden der Kraftübertragung
und ihr Wert für die Volkswirtschaft.
Voll
Kran? Kendt.
ch^^ie sozialen Fragen, welche durch die jüngsten Kaisererlasse, sowie durch das Anwachsen der Sozialdemokratie in den letzten Wahlen zum deutschen Reichstage womöglich noch an Gewicht und Interesse gewonnen haben, sind seiner Zeit erst ernsthaft hervvrgetreten, als der gewaltige Fortschritt der Technik die Großindustrie und damit zugleich ein Arbeiterproletariat schuf. Der Ankauf und die Installation von Maschinen erfordert eben Kapital, und eine umfangreichere Fabrikation, bei welcher Einkauf im großen Vorbedingung ist, verlangt bedeutendere Mittel, als sie dem Handwerker im Durchschnitt zur Verfügung stehen. Anderseits wiederum sind die Dar- stellnngsarten in Masse vorteilhafter als im kleinen! So wird es dem Handwerker, welcher nur über die Kraft menschlicher Muskeln verfügt, deren Ernährung teurer ist als die Beschickung einer Maschine, unmöglich, mit dem Kapitalisten zu konkurrieren.
Begleitet man in diesem Sinne die Entwickelung der Technik während der letzten fünfzig Jahre, so erscheint es thatsüchlich,