Heft 
(1889) 31
Seite
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Deutschland.

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als ob die Naturkrüfte, wie sie u. a. in der Kohle im Boden der Erde ruhen, nur für den Besitzenden vorhanden seien.

Es liegen eben in der Dampftechnik, welche die erste Epoche desJahrhunderts der Naturwissenschaft" erfüllt, gute und schädliche Eigenschaften eng aneinander. Schuf sie in wahr­haft großartiger Weise neue Kulturmittel, so gelang dies doch wiederum nur durch die Bildung einesvierten'Standes," welcher trübe Fernblicke für die wirtschaftliche Weiterentwicke­lung des Menschengeschlechts hervorruft. Glücklicherweise tragen die exakten Naturwissenschaften Mittel in sich, mit denen die genannten Schäden zu überwinden sein werden, und welche es hoffentlich ermöglichen, daß die Kraftschütze, welche unser Planet birgt, dereinst allen Individuen zu gute kommen. Es sind die verschiedenen Arten der Kraftübertragung, von denen wir solch ein Heil zu erwarten haben! Man versteht unter dieser Bezeichnung Methoden, mittels welcher die Energie, die ans irgend eine Weise in einer Centrale erhalten worden ist, durch ein Kanalisationssystem verteilt werden kann.

Da Krafterzeugung im großen, wie wir schon ansführten, höchst ökonomisch ist, so erhält durch solche Übertragung auch der kleinere Konsument dieselben Vorteile, welche einst nur dem Kapitalisten zukamen.

Man vermag zur Zeit Energie durch den elektrischen Strom und durch Preßluft zu überführen, und zwar ist die erste und ältere Methode die am meisten erprobte, während die zweite noch im Kampfe der Meinungen schwebt.

Zn ganz neuen Formen gelangte bekanntlich die Technik, seitdem sehr starke Ströme mittels der Dynamomaschine billig erzeugt werden können. Auch die Erfindung der elektrischen Kraftübertragung ist eng mit diesem Fortschritte verknüpft.

Ilm eine Anlage dieser Art nuszuführen, bedarf man im allgemeinen zweier Dynamos, welche durch ein Kabel mitein­ander in Verbindung stehen. Wird der Anker der ersten Ma­schine vermöge irgend einer Kraft bewegt, dann bilden sich Ströme, die der zweiten Maschine zusließen und dort wiederum den Anker zur Rotation zwingen. Ans diese Weise kann, je nach der Menge der überführten Energie, ans der empfangen­den Station größere oder geringere Arbeit geleistet werden. Die verbesserten Dynamos, sowie die neuen Schaltnngsweisen ergeben jetzt einen wirtschaftlichen Effekt von mehr als achtzig Prozent; also nochnicht ein Fünftel der ursprünglichen Kraft geht während der Übertragung verloren!

In Europa wurde bisher die elektrische Energie fast aus­schließlich zur Beleuchtung oder allenfalls zu chemischen Ar­beiten verwendet, und diesen Zwecken dienten denn auch allein die großen Centralen in den Weltstädten. Anders in den Bereinigten Staaten. Dort haben besonders die vielen Wasser­kräfte zur direkten Überführung in Form mechanischer Arbeit gereizt.

Es sind erst relativ wenige Jahre verflossen, seitdem William Siemens, der Bruder unseres Werner, in einem po­pulären Vortrage die Möglichkeit auseinandersetzte und den Nutzen schilderte, welchen bei elektrischer Kraftübertragung die Niagarafülle darbieten müßten. Diese Verkündigung, welche damals durch viele Zeitungen lief und manchen Zweifel er­weckte, ist nun verwirklicht worden. Die Niagara Hydraulie Electric Company beschäftigt sich nämlich damit, diese großen Krastmengen, welche etwa zwölf Millionen Pferdestärken ent­sprechen, den Amerikanern zu erschließen.

Schon jetzt werden eine Anzahl Städte in der Umgebung des Falles mit seiner Energie beschickt, so u. a. selbst Buffalo, welches 32 Kilometer voll demselben entfernt liegt. Im ganzeil wurden bisher 15000 Pferdestärken verwendet, und es war der Gesellschaft möglich, eine solche pro Jahr für 61,2 Mk. abzugeben. Aber wir haben nicht einmal nötig so weit zu gehen; sind doch ähnliche Einrichtungen am Rhein und am Neckar getroffen worden. Als eine Musteranlage solcher Art möchten wir auch die Centrale in Genf aufführen. Dieselbe verwandelt die Wasserkraft der Rhone in elektrische Energie und betreibt mit dieser im Umkreise von zwei Kilometer nicht

weniger als hundertsünfnndsiebzig Elektromotoren! Die Ma­schinell finden hauptsächlich in kleinen Werkstätten Aufstellung, wo Abnahmen von einer halben bis siebzig Pferdestärken er­folgen. Wir haben hier ein Beispiel, an dem sich deutlich zeigt, wie es möglich ist, den Handwerker dein Großindustriellen gegenüber konkurrenzfähig zu machen!

Eine.Hauptaufgabe der nächsten Zeit muß es also für die Elektrik sein, Centralen für die Überführung mechanischer Arbeit zu schaffen.

Der große Vorteil des elektrischen Kanalisationssystems liegt übrigens nicht allein in dem so ökonomischen Prozent- Verhältnisse bei der Energieverteilung. Kostet doch z. B. ein Elektromotor voll einer Pferdestärke nur etwa vierhundert Mark, während der Preis eines gleichkrüftigen Gasmotors zweitausend Mark betrügt; und ähnlich ist die Differenz bei der Beschik- kung beider Maschinen. Zur Aufstellung eines Dampfmotors bedarf man zudem eines Maschinenhanses, sowie der verschie­densten Sicherheitsvorrichtungen; abgesehen davon, daß Dampf, Rauch und Ruß bei solchen Anlagen die Nachbarschaft leicht belästigen. Alle diese Ünannehmlichkeiten fallen bei der Kraft- übermittelnng von der Centrale ans fort, und der Elektromotor ist daher überall aufzustellen.

Hat man in dieser Weise Arbeitskraft allerorten zur Dis­position, dann ist auch der Muskel des Handwerkers entlastet und er kann in seiner Specialitüt durch die Geschicklichkeit seiner Hand in bestimmter Richtung das leisten, was die Massen­fabrikation nicht vermag.

Auch an kleinen Orten, wo die Anlage voll Centralen nicht wohl möglich ist, dürfte die elektrische Technik in nächster Zukunft mittels der Accumulatoren Hilfe bieten. Bekanntlich sind das Apparate, in denen elektrische Energie gesammelt und aufbewahrt werden kann. Augenblicklich freilich ist der Betrieb mit denselben noch zu kostspielig.

Kürzlich entstand der elektrischen Kraftübertragung in der Preßluft" ein Konkurrent. Die neue Methode wurde bei ihrem ersten Hervortreten mit Enthusiasmus begrüßt, und die Blätter brachten Artikel, in denen ein Zeitalter der kompri­mierten Lust augekündigt wurde.

Das SystemVictor Papp" ist bisher in ausgedehnter Weise nur in Paris dnrchgeführt worden, wo ein weites Ka­nalisationsnetz gerade diese Art der Anlage wesentlich begünstigt.

In der Nähe der Stadt befindet sich die CentraleUsine de St. Fargeau," wo elf Dampfkessel und acht Dampfmaschi­nen Lnftkompresforen betreiben. DieVerdichter" wiederum drücken die Luft in acht Windkessel, welche hierdurch eine Spannung von sechs Atmosphären empfangen. Die so ver­dichtete Luft fließt hierauf in Röhren der Stadt zu. Das ganze Netz hat zur Zeit eine Länge von sechsnnddreißig Kilo­meter undlichte Weiten" von dreißig bis vierzig Centimeter. Am Platze der Konsumenten sind Dampfmaschinen ausgestellt, in welche" statt des Dampfes die komprimierte Luft Antritt und sie betreibt.

Auch bei dieser Methode wird also der Abnehmer nicht durch die lästigen Eigenschaften des älteren Verfahrens behin­dert, und die ökonomischen Vorteile sind nahezu die gleichen, wie sie die elektrische Kraftübertragung darbietet.

Die Kraftverteilung mittels komprimierter Luft hat aber den Nachteil, daß statt leicht verlegbarer Kabel relativ starke Röhren versenkt werden müssen, wodurch der Preis des neuen Systems bedeutend erhöht wird. In Paris waren die Vor­bedingungen, wie schon bemerkt, sehr günstige, da die Röhren nur in die Kanalisationskanäle, welche dort gleichsam eine unter­irdische Stadt bilden, eingebettet zu werden brauchten. Auch aus Gründen rein technischer Natur, die sich an diesem Orte nicht gut entwickeln lassen, ist der Schluß zu ziehen, daß das System Papp nicht im stände ist, mit der elektrischen Methode zu konkurrieren. Die Zeit wird darüber entscheiden! Jeden­falls haben wir uns eines jeden Fortschrittes auf dem Gebiete der Energieübertragung zu freuen, durch welchen die Kräfte, die unsere Erde birgt, mögen sie nun in Form aktueller oder