Heft 
(1889) 31
Seite
522
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Seite 522.

Potentieller Energie sich vorsinden, in den Dienst des Men­schengeschlechts gestellt werden. Denn wir können hierin wirt­schaftliche Erfolge sehen, welche für die Entwickelung, ja viel­leicht für die Erhaltung der modernen Kultur von entscheiden­der Bedeutung sind und sein werden.

Ser Uoö öes MnöeS.

Eine Skizze aus Rumänien.

Von

Leo Sit'berstem.

die junge, blonde Frau des kleinen Gemeinde- beamten Dinu Petrake, richtete die weißen Polster, in denen sie ihr Kind gewickelt hatte, und besah es mit der vollen Zärtlichkeit, deren ihr weiches, schmiegsames Ge­müt nur fähig war, und in ihrem hübschen Gesichte lag ein tiefes Angstgefühl. Warum hatte der Arzt heute den Kopf geschüttelt?Nein, nein! es wird gesund werden, es muß gesund werden!" Sie murmelte es verzweifelt vor sich hin und küßte die Hündchen heiß, gewaltsam. Hatte doch dies kleine Wesen in den acht Wochen seines Daseins ihren egoistischen, leichtsinnigen Mann zum Ernst und zur Vaterpflicht bekehrt; war nicht Dinn nach einer fünfjährigen Ehe voll beleidigen­der Gleichgültigkeit ans einmal ein liebender Gatte geworden? Sie hatte diese Wandlung ersehnt und erwartet und nun sollte der herzige Urheber ihres Glückes durch eine frühe Krankheit entrissen werden! Nein! es durfte nicht sein! Sie blickte

traurig ans das Kind: wie winzig es war, das Köpfchen gar nicht wie andere Kinder ... so winzig und dabei so reif, so süß und niedlich ausgebildet wie eine Erwachsene! Das konnte doch nichts Gutes bedeuten. . . . Und grau, das Gesichtchen grau wie Asche!

Erst heute früh schien es noch so rosig. Es lag zwar schon seit einer Woche krank, aber heute früh, sie hatte am Bett ihres Mannes gestanden und ihm das schneeige Bündel lächelnd hinabgereicht:Es schläft." Und Dinu hatte sich hastig umgewandt und gefragt:Schläft es?" Es lag so etwas Zweifelndes in seinem Tone; oder war es nur ein Zittern des Mitleids. Er hatte das Kind geküßt und da die Stirne der Frau über ihm geneigt war, seine Lippen auf ihre blonden Haarflocken gedrückt. Und sie hatte sich glücklich ge­fühlt, eine Idylle, eine kleine Ehe-Idylle, wie sie solche lange Jahre vergebens ersehnt. Ein Nichts und doch in ihren Augen ein Glück.

Das Kind schlug die traumleeren Augen auf und schloß sie wieder. Der jungen Mutter schnitt es ins Herz; sie hob cs zu sich empor. Auf einmal erschütterte ein Fieberschauer den kleinen Körper. Er krümmte sich in den Kissen zusammen und dann wieder auseinander. Der Krampf hatte diesen Rosen­blättern von Muskeln Kraft gegeben. Anika blickte es bestürzt an und begann heftig zu zittern. Was sollte sie thun? Nach dem Arzt rufen? Es war niemand da! Um Hilfe schreien? Was es leidet! Mein armer Wurm, was es leidet!" Sie wiegte es und suchte ihm etwas Arznei einzuflößen, dann nahm sie es in die Arme und trat auf die zerfallene Veranda des kleinen Häuschens hinaus, nach einem Nachbar zu späheu.

Zoitza! Zoitza! Da läuft sie; sie hört nicht! Zoitza, komme doch, Zoitza!"

31.

Ein barfüßiges Mädchen von etwa zwölf Jahren steckte den Kopf zum Hofthore herein, und die strammen Zöpfchen schlenkernd, rief es mit lachenden Zähnen:Was beliebt Frau Anika?"

Bitte Dich, lauf zu Russandra! Sie soll gleich Herkommen, aber gleich! - Bitte sehr; willst Du?"

Zoitza nickte, noch immer grinsend, und verschwand im Trabe.

Zoitza! Zoitza!" Sie hörte nicht mehr. Frau Anika war es eingefallen, daß sie nach dem Arzte Hütte schicken kön­nen und nicht nach Russandra, der Waschfrau, welche neben ihrem eigentlichen Geschäft im Bekanntenkreise als Beschwörerin Wunderkuren auszuüben pflegte. Aber der Arzt hatte ja heute die Achseln gezuckt und nichts mehr verschrieben, und gestern abend hatte er Dinu beiseite genommen und ihm etwas zuge­flüstert. Jetzt erriet sie's. Es überlief sie kalt. Darum hatte Dinu heute früh so zweifelnd gefragt:Schläft es?" Sie sah das Kind traurig an. Von Furcht ergriffen schaute sie um sich und fand sich allein.Dinu? Wo ist Dinu?" Die alte Wanduhr schlug sieben. Seit einer Stunde ist sein Bureau geschlossen. Warum kommt er nicht? Da plötzlich durchschoß ein Gedanke ihr Hirn: heute war ja Zahltag! Leise schluch­zend drückte sie das Gesicht in das Polster des Kindes. Es war ihr nur zu klar: er hatte das Kind aufgegeben, für ihn war es schon so gut wie tot, und er sing wieder an zu trin­ken, wie vor zwei Monaten, wie die ganzen fünf Jahre der Ehe lang. Was war ihm das Weib? Das nachgiebige, ar­beitsame, dumme Weib! Und jetzt, wo sie ihr Einziges verlor, hatte er sie allein gelassen, er, ihr Mann, ihre Stütze! Ver­zweifelt rannen die Thrünen über ihre Wangen. Nein, es mußte leben! Gott, Gott, es mußte leben! Sie sank auf die Kniee und betete, bald laut, bald leise, wie es ihr der Schmerz eiugab:Laß es mir, Erbarmer, laß es mir!"

Du hast mich gerufen," sprach eine tiefe Frauenstimme.

Anika wandte sich um: in der Thür, den niederen Rah­men ansfüllend, stand die Beschwörerin, ein großes, kräftiges Weib; die dunkeln, warmen Augen unter der starkknochigen Stirne waren überlegen ans sie gerichtet. Anika preßte müh­sam und verlegen hervor:Es stirbt, Russandra, es stirbt!"

Die Beschwörerin trat an das Bett heran und beugte sich über das Kind. Ihre Bewegungen waren kurz und ent­schieden. Die dicken, schwarzen Haarflechten waren nachlässig auf den breiten Nacken herabgefallen; die alternden Augen, in denen noch immer ein wildes Feuer glänzte, hefteten sich auf das kranke Gesichtchen; mit den Fingern öffnete sie vorsichtig die kleinen Lippen, um das Zahnfleisch zu erkennen; dann schüttelte sie ernst den Kopf.

Liebe, teure Russandra, was Du willst, gebe ich Dir, nur rette es, laß es nicht sterben!"

Russandra hatte sich zu Füßen des Bettes gesetzt; die Geschichte war ihr zu langweilig. Diese Menschen kamen ihr wie Kinder vor, die sich in nichts finden wollen.Tot ist tot und so gut als nie gewesen," dachte sie,wie viele habe ich gehen sehen! Das schüttelt sich wie Glasperlen von einer Schnur, die zerrissen ist!"

Teure Russandra!" schluchzte es vor ihr und erfaßte leidenschaftlich ihre Hände.

Russandra sah mitleidig hinab und sagte:Gott kann Dir noch helfen, liebe Frau; weine nicht!"

Deutschland.