Heft 
(1889) 34
Seite
571
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Deutschland.

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EinMusikdrama" wenigstens ist er nicht; dnzn fehlt ihm in erster Linie die Geschlossenheit der Handlung.

DerProlog im Himmel," sowie Fausts erster Monolog sind von Zöllner fast unverkürzt ausgenommen, wahrend die zweite Hälfte des Stückes ausschließlich von der Gretchenepisode ausgefüllt wird. Ganz abgesehen davon, daß das Werk von Rechts wegen nur den TitelMargarete" führen dürfte denn, wenn schon räumlich auf den dritten und vierten Akt beschränkt, bildet ja Gretchens Schicksal den Kern der Hand­lung das Vorspiel und der erste Akt (Monolog) bereiten doch auf eine viel umfassendere Handlung vor, als auf Fausts Liebesgeschichte mit Gretchen, sie exponieren wie ja auch Goethe angenommen zu haben scheint eine TragödieFaust," nicht aber ein bürgerliches TrauerspielMargarete."

Ich glaube also, daß vom musikalischen Standpunkt aus nichts gegen die BezeichnungOper" einzuwenden ist, während vom dramatischen aus die BezeichnungMusikdrama" unbe­dingt zu verwerfen ist, oder wenigstens abzuündern inmusika­lisch-dramatisches Fragment."

Denn selbst von der HandlungMargarete" liegt ja nur ein Fragment vor: Was Gretchen eigentlich verbrochen, erfahren wir bei Zöllner ganz nebenher in der Kerkerseene:Meine Mutter Hab' ich umgebracht, mein Kind Hab' ich ertränkt." Die Scene, wo Faust ihr das Fläschchen giebt, die am Brun­nen, und vor allen die im Dome fehlen ganz. Überhaupt fühlt man sich durch die Striche, die Zöllner in Goethes Dich­tung angebracht, wenngleich sie im allgemeinen von feinem Geschmack zeugen, doch hier und da etwas an unsere Durch­schnittsregisseure erinnert. Diese Herren handhaben den Rot­stift, solange sich kein grammatikalischer Unsinn ergiebt, küm­mern sich aber den Teufel darum, ob sie den Zusammenhang des Ganzen zerreißen oder unverständlich machen. Noch eins scheinen die Blätter, die nicht genug Lobesworte finden für Zöllners pietätvolle Behandlung des Originals, gänzlich über­sehen zu haben: daß nämlich der Bearbeiter gelegentlich auch keinen Anstand nimmt, den Sinn des Gedichtes zu entstellen. So bei den WortenSchau alle Wirkungskraft und Samen Und thn nicht mehr in Worten kramen," die bei Zöllner als Thatsache hinstellen, was im Original nur beabsichtigter Erfolg der Beschäftigung mit der Magie ist.

Einen der Vorwürfe, die man gegen Zöllners Werk er­hoben, glaube ich allerdings als völlig unberechtigt zurückweisen zu müssen. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, ist es Joseph Sittard, der sich darüber aufhält, daß der Komponist bei der StelleBlut ist ein ganz besondrer Saft," des hohlen Bühneneffekts wegen einen unsichtbaren Geisterchor nebst Hohn­gelächter der Hölle aufführt. Ich weiß nicht, ob Herr Sittard Autoritäten anerkennt. Goethe scheint gegen diese Vergewal­tigung seines Werkes nichts einzuwenden zu haben. Wenig­stens ist er es gewesen, der diese Worte des Mephisto eigens für die Komposition des Fürsten Radziwill zu einem Geister- chore erweitert hat und diesen sogar am Schlüsse der Scene fortsetzt.

Auch in der Gartenscene hat Zöllner einige Verse beibe­halten, die Goethe nachträglich für die Komposition Radziwills eingeschoben hat.

Als Drama ist, wie wir gesehen, Zöllners Faustbearbei­tung entschieden anfechtbar; in musikalischer Hinsicht darf man sein Werk wohl dreist zu den bedeutendsten zählen, die seit Wagner in Deutschland in Erscheinung getreten sind. Aller­dings ist es auch eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß an vielen Stellen der Einfluß dieses Meisters verblüffend deutlich hervorleuchtet.

Ich will damit keineswegs sagen, er habe Wagner abge- schrieben. Vielmehr glaube ich, daß selbst der leidenschaftlichste Reminiszenzenjüger außer einem kaum merkbar leisen Anklang an eine Stelle aus SchumannsManfred" nichts erbeuten wird.

Dian hört häufig, daß zwei sich gänzlich fernstehende Per­sonen einander ähnlich sehen und findet bei näherem Vergleich, daß auch nicht ein einziger Zug beiden Gesichtern gemeinsam

ist; dennoch muß man die Ähnlichkeit zugeben. Dieser Art sind auch die Ähnlichkeiten einer Reihe von Stellen desFaust" mit solchen aus verschiedenen Wagnerschen Dramen. So er­innert der Bauerntanz sehr lebhaft an den der Lehrbuben in denMeistersingern," undFausts Traum" ist ein allerdings vorzüglich gelungenes Seitenstück zum Chor der Blumenmädchen ausParsifal." Am frappantesten ist die Ähnlichkeit des Duetts in der Gartenscene mit dem Liebesduett im zweiten Akte desTristan." Sehr deutlich hervortretend ist auch die des Schicksalsmotives aus dem gleichen Werke und desjenigen, durch das Zöllner so charakteristisch das Hervorquellen des heißen Blutes bei Valentins Tode malt. Auch die hinge­hauchten Synkopen der Holzbläser beim Erscheinen des Spiegel­bildes finden sich ähnlich des öfteren bei Wagner.

Ein Fehler des Werkes, allerdings wohl auch der schwerste, liegt in einer gewissen Unbeholfenheit der thematischen Arbeit. DieLeitmotive" charakterisieren fast durchgängig sehr glücklich. Aber nur äußerst selten ist wirklich der Versuch gemacht, die­selben auszubeuten. Am drastischten tritt dieser Mangel bei dem zarten Thema hervor, durch das der Komponist Gretchen so entzückend kennzeichnet. Dieses Thema kommt im ganzen elfmal vor, und darunter neunmal in der ursprünglichen Ton­art D-äur; einmal wird es in K-nioll angedeutet und einmal erscheint es in O-moll. Die Harmonisation ist sogar nicht ein einziges Mal geändert. Daß sie selbst bei der Verwandlung in 0-inolI beibehalten ist, verstärkt noch den Eindruck von Schwerfälligkeit.

Auch Fausts Monolog in Gretchens Kammer krankt sehr in dieser Hinsicht. Ohne eine Spur vou Abwechselung wird da ein Sätzchen von zwei Takten durch alle möglichen Ton­arten durchgehetzt. Endlich scheint das Gretchenthema Erlösung zu bringen, aber o weh! schon nach wenigen Takten wird der ganze erste Teil unbarmherzig ohne eine einzige wesentliche Än­derung wiederholt. Die ganze Scene wirkt infolgedessen fast wie ein starkes Opiat. Noch schlimmer wird übrigens die Sache dadurch, daß Faust die Worteder große Hans, ach wie so klein, lüg hingeschmolzen ihr zu Füßen," für wichtig genug hält, um sie zweimal zu sagen. Solche Scherze dürften denn doch nach Wagner und gar in einem Werke, das die Bezeich­nungMusikdrama" für sich in Anspruch nimmt, nicht mehr Vorkommen. Das ist nicht einmal die einzige Stelle dieser Art. Zu wiederholten Malen noch findet sich dieses Stück Mittelalter, so im ersten Akt bei den Wortenin Deinem Tau gesund mich baden," eine Stelle, die auch ohnedies fast allzn sentimental und behütdichgotttrompeterlich ist.

Doch wozu weiter nörgeln, wo so viel des Schönen sich findet. Im folgenden soll eine andeutungsweise Charakteristik der Hauptschönheiten versucht werden.

DemProlog im Himmel" liegt ein sehr einfaches Thema zu Grunde; aber durch geistreiche Instrumentation und durch überraschende modulatorische Wendungen wird daraus ein inter­essantes und schönes Tonstück.

Bei den Themen, die den Mephisto charakterisieren, um­schifft Zöllner sehr geschickt die mich für den Darsteller der Rolle so gefährliche Klippe des Lächerlichen, wenngleich er vielleicht hier und da deklamatorisch in dem hämischen Dehnen der Schlußworte des Guten etwas zu viel thut. Eines der Mephistomotive kann übrigens eine gewisse rhythmische Ver­wandtschaft mit dem Merkermotiv aus denMeistersingern" nicht verleugnen.

Mit den WortenEs irrt der Mensch, so lang er strebt," wird zum erstenmal das Faustthema angedeutet. In seinem vollen Umfange tritt es erst auf bei den WortenEin guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt." Es wird sofort vorn Chore wiederholt, was wohl nicht nur des Bühneneffektes wegen geschieht, sondern ähnlich wie beimThorenmotiv" imParsifal" um das wich­tigste Thema des ganzen Kunstwerkes möglichst dem Ohre ver­traut zu machen.

Das Kunstthema beherrscht den ganzen ersten Aufzug, der