Müßige Betrachtungen. Holk kommt schon wieder mal nicht auf das Dritte. Am ersten Abend auf Fredericksborg bringt Schleppegrell zum Geplauder am Kamin seine Gattin mit. Sofort hat Ebba es in den Fingerspitzen, hat es gleich „herausgefühlt", was mit dieser Frau los ist, und verifiziert ihre Vermutung mit einer einzigen, ihrer ersten, einer wahrhaft genialen Frage:
„Wird es Ihnen nicht schwer, liebe Frau Pastorin", so wandte sie sich an diese, „sich einen ganzen Abend lang von Ihren Kindern zu trennen?" „Ich habe keine", sagte diese und lachte dabei so herzlich, daß die Prinzessin fragte, was es eigentlich sei. Da gab es denn eine allgemeine Heiterkeit, in die schließlich auch Schleppegrell mit einstimmen mußte, trotzdem er sich, weil ihn die Komik in erster Reihe mittraf, ein wenig unbehaglich dabei fühlte. Holk, dies wahrnehmend, hielt es für seine Pflicht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben ..(149 f). Gewöhnlich bedeutet es für Eheleute ein schlimmes Leid, wenn ihre Versuche, ein Kind zu zeugen, mit langandauerndem oder endgültigem Mißerfolg gestraft sind. Die Pastorin aber lacht. Warum? Weil es in ihrer Ehe solche Versuche nicht gibt und nie gegeben hat. Der indirekte Anstoß, sich welche vorzustellen, preßt ihr ein Jungfernlachen ab. „Man muß sich untereinander helfen, das ist eigentlich das Beste von der Ehe" (161), wird sie anderntags zu Holk sagen, die kleine dicke Kugel, die das Bessere und Wesentliche von der Ehe, die Liebe, nie erlebt hat. Nun liest sich freilich auch der Schluß des 19. Kapitels anders, wo die Prinzessin Holk noch auf der Anfahrt im Reisewagen gewisse Eröffnungen macht, die bestürzenderweise kein Fontaneleser jemals richtig verstanden zu haben scheint:
„(. . .) Er kam mit zwanzig Jahren an den Hof, als Lehrer, sogar als Religionslehrer, verschiedener junger Prinzessinnen, und das andre können Sie sich denken. Er hat zu viel junge Prinzessinnen gesehen, um sich durch alte noch imponieren zu lassen. Übrigens sind wir ihm und seiner klugen Zurückhaltung zu großem Danke verpflichtet, denn es lag dreimal so, daß er, wenn er gewollt hätte, jetzt mit zur Familie zählen würde. Schleppegrell war immer sehr verständig. Nebenher habe ich nicht den Mut, den Prinzessinnen von damals einen besonderen Vorwurf zu machen. Er war wirklich ein sehr schöner Mann und dabei christlich und ablehnend zugleich. Da widerstehe, wer mag."
Holk erheiterte sich, Ebba mit ihm, und selbst über die Züge der Schimmelmann ging ein Lächeln." (147)
Dreierlei Heiterkeit! Die Schimmelmann weiß, Ebba ahnt, Holk lacht. Sicherlich wäre Schleppegrell am liebsten genauso ehelos geblieben wie Pentz, der andere Homosexuelle der Runde (Erichsen weiß, daß Pentz „trotz seines Glaubens, er kenne sie", die Frauen „sicherlich nicht kannte" (75)), aber die lutherische Kirche schreibt ihren Pfarrern die Führung einer christlichen Ehe zwingend vor. Eine Frau, die ihn vollen Ernstes liebte, konnte er sich nicht nehmen, eben deswegen ja nicht, mochte es auch gleich eine Prinzessin sein. So blieb nichts übrig als die Erwählung einer lieben, von der Natur ungnädig inkarnierten Seele, die es zufrieden war, die äußeren Standesmerkmale einer Ehefrau zu erlangen, ohne das Recht einer solchen geltend zu machen. „Denn was ist Recht? Es schwankt eigentlich immer. Aber Nachgiebigkeit einem guten Menschen gegenüber ist immer recht" (161).
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