Wäre ein Preis auszusetzen für das lebloseste, marionettenhafteste Ehepaar in der Weltliteratur, die Schleppegrells müßten ihn erhalten. Nie eine Umarmung, nie ein Kuß, kein Tauschen freundlicher Blicke, ja sie wechseln — ist das nie aufgefallen ? — im ganzen Roman miteinander nicht ein einziges Wort. Er bringt sie mit und führt sie wieder heim, damit hat sichs. Das braucht nicht zu bedeuten, daß sie miteinander unglücklich sind. Ein Mann, der mit dem weiblichen Körper nicht befaßt zu werden wünscht, und eine Frau, die es froh sein muß, wenn niemand sich mit ihrem Körper befaßt, können einander durchaus ein bestimmtes Glück gewähren, das der gegenseitigen Entlastung von Ansprüchen, die zu erfüllen man außerstande wäre. Sie war „von großer Unscheinbarkeit, aber nie darunter leidend, weil sie zu den Glücklichen gehörte, die sich gar nicht mit sich selbst und am wenigsten mit ihrer äußeren Erscheinung beschäftigen" (149); was sich keine Frau, auch die hübscheste nicht, leisten kann, deren Ehe eine ist. Das ist es, was Ebba gleich herausfühlt, ihre Vorliebe für die Pastorin ist aggressive Neugierde, beileibe nicht Sympathie. Am nächsten Tag wird sie sie als „Zerlinens Großtante" verhöhnen (162).
Was Schleppegrell von dieser Frau erwartet, läßt sich an ihrem Betragen ablesen. Vor allem soll sie ihn nicht in Verlegenheit bringen und die Karten immer brav schwarz halten. Aber im Eifer, dies zu beherzigen, unterlaufen ihr, einem schlichten Gemüt „von große(r) Einfachheit und Enge" (162), wie sogar Holk entdeckt, die gräßlichsten Übertreibungsfehler. Von Ebbas Lob für den heiratsdurstigen Bischof von Roeskilde ist sie „entzückt" und schickt sich an, ihr „eine kleine Liebeserklärung ins Ohr zu flüstern" (155); zum Glück kommt etwas dazwischen, das Peinliche unterbleibt. Ins Makabre spielt die Komik hinüber, wenn sich in der Abendgesellschaft der Brandnacht ausgerechnet sie „strahlenden Gesichts" auf die Seite derer schlägt, die „sich für ihre Person dafür verbürgen wollten, die Liebe schaffe noch dieselben Wunder wie früher" (196), der Kurtisanenkavaliere aus dem Dannerkreis.
Schleppegrell ist ein Mann der Verlegenheit und der Berührungsangst. Daß er sich weigert, Whistkarten anzurühren, sogar wenn er damit die Geselligkeit der ganzen Runde lahmlegt (vgl. 192), ist symptomatisch für die rigide Selbstentmündigung, die mit ekklesiogenen Neurosen so oft einhergeht. (Petersen spielt unverhohlen gern Whist, Schwarzkoppen, ganz Diplomat, denkt über Whist eher wie Schleppegrell, handelt aber aus Takt wie Petersen (vgl. 21], In seinen Geschichtsvorträgen spricht Schleppegrell ungern und mit einem Anflug von Degout über Frauen- und Eheaffären. Desto mehr macht Ebba sich einen boshaften Jux daraus, ihn wieder und wieder auf die Frauen zu bringen, und versteigt sich dabei einmal zu der Anzüglichkeit, „Preußen mit seinem großen Manko auf diesem Gebiet" ins Gespräch zu ziehen (170). Gleich zweimal versucht sich Schleppegrell um die Anekdote von Christine Munk herumzudrücken, aber Ebbas brillanter Geist hat im Handumdrehen heraus, daß die beiden Ausflüchte nicht zueinander passen, und der wehrlose Mann — denn auch die Prinzessin „weidete sich an Schleppegrells Verlegenheit" (167) — muß wohl oder übel beginnen. Das verdeckte Foppen eines Homosexuellen war ein zugelassenes Amüsement; und da Holk, der Bildungsphilister, am ersten Abend ganz Ohr für Schleppegrell ist, ja ihn und die Pastorin ein Stück heimwärts begleitet, so daß Ebba den kurzen Weg zü ihrem Turmzimmer am Arm
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