34.
Deutschland.
Seite 573.
gehen zu sehen. Wieder nach anderthalb Jahren verlor der Bäckermeister sein Vermögen in einer Hüuserspekulation, zu welcher Erwin von Steinbach, ich glaube der Erbauer des Straßburger Münsters, aus dem Jenseits angeraten hatte. Abermals stand die „Rundschau über beide Welten" hart vor ihrem Ende, als wieder aus dem Kreise der Abonnenten der Retter hervortrat. Der Gesandte eines kleinen europäischen Königreichs bewilligte als bescheidenen Beitrag die Summe von fünfhundert Mark jährlich. Dafür konnte der Herausgeber mit einem hübschen Nutzen zwölf Bogen in hundert Exemplaren drucken. Der Redakteur, welcher den Gesandten herbeigeschleppt hatte, wollte aber ebenfalls von der Subvention Nutzen ziehen, er wollte überdies dieser und jener Laune der Exeellenz nicht gehorchen, und so kam es, daß mein Eduard zur Leitung berufen wurde, eben als von den übrig gebliebenen achtzehn Abonnenten wieder einer kündigte, und das in einem groben Brief.
Bevor ich auf unsere geistige und spiritistische Thütigkeit eingehe, möchte ich kurz unsere materielle Lage auseinander- setzeu. Als wir nach Berlin kamen, besaßen wir nichts. Der Herausgeber, der mir persönlich manche kleine Unterstützung zu teil werden ließ, bezahlte für die Leitung des Blattes ebenfalls nichts. Davon konnte Eduard nicht leben. Unter hitzigen Kümpfen setzte er es endlich durch, daß die Abonnementsgelder in seine Tasche flössen. Da aber nur zwölf von den siebzehn Abonnenten ordentliche Zahler waren, und der Preis fünfzig Pfennig für das Quartal betrug, so erhielt Eduard aus dieser Quelle fürs erste nur zwei Thaler vierteljährlich. Außerdem sollte er die Hälfte aller Beträge bekommen, welche für Annoncen eingingen. Doch das Blatt hatte vorläufig keine.
So starrten wir denn, dem Elend preisgegeben, beide in das unergründliche Meer einer leeren Kasse und mußten uns schlimmer als im Anfänge unserer Laufbahn durch Mittel über dem Wasser zu halten suchen, welche nicht immer die würdigsten waren. Ich muß da erwähnen, daß meine Reiseabenteuer in unserem alten spiritistischen Vereine und in befreundeten Kreisen böses Blut gemacht und uns in den Verdacht gebracht hatten, Verräter an der heiligen Sache zu sein. Das Hütte uns nun nicht abhalten können, unsere frühere Stellung wieder- zngewinnen. In solchen Fällen sagt das Medium vor den versammelten Gläubigen, es habe sich zwar aus Not oder Übermut zu einem Betrüge verleiten lassen, sei aber dennoch ein echtes Medium und gelobe für die Zukunft unentwegte Treue. Das hilft immer, wenn man das Medium braucht. Aber in unserem Falle hatte bereits ein anderes Medium von dem Vereine, von der Kassenverwaltung und von unserer alten, weit verbreiteten Spiritistenzeitschrift Besitz ergriffen, und uns blieb nichts übrig, als in unserer Rundschau die Betrügereien meiner Nachfolgerin (es war die berühmte Vermittlerin des mexikanischen Geistes Abila) anfzudecken. Natürlich gab nun die große Zeitschrift allerlei Scherze aus meinem Leben zum besten, und weil dieses sich nicht von Stürmen frei zu halten gewußt hatte, hingen die Zinnen unserer Burgen bald voll schmutziger Wäsche.
Es ging also mit uns bergab. Wir trennten wieder einmal unser äußerliches Leben, indem ich als Wirtschafterin und Kindererzieherin bei einem unserer zwölf zahlenden Abonnenten eintrat, und Eduard bei einem Feilenhauer in Schlafstelle zog. Mein K>err war natürlich Witwer, ein kleiner Beamter, bei dem ich eben nur satt zu essen hatte. Mein Eduard klagte hauptsächlich darüber, daß seine Schlafstelle kein würdiges Re- daktiouslokal darstcllte und die Geschäfte gerade infolge dieser Armseligkeit noch schlechter gingen als nötig war. Er hatte darauf verzichtet, neue Abonnenten zu gewinnen. Dafür war es ihm gelungen, dem Blatte auf eine sinnreiche Weise Inserenten zuzuführen. Wenn Eduard nämlich beim Bäcker, beim Butter- und Wursthündler, beim Bierverleger, im Cigarrenladen oder beim Losverkünfer eine größere Summe schuldete und sie selbstverständlich nicht bezahlen konnte, so ging er in seinen besten Kleidern zu dem Manne hin und bot ihm als Ausgleich ein Gratisinserat in der „Rundschau für beide Welten"
an. Mit Ausnahme eines ungebildeten Bäckers gingen alle Gläubiger Eduards darauf ein, und so fanden die siebzehn Abonnenten unserer Zeitung zu ihrer nicht geringen Überraschung hinter Aufsätzen über die höchsten Dinge Anzeigen von Wurst, Bücklingen und Cigarren. Im Winter gaben wir auch in den Häusern von Finanzleuten einige antispiritistische Vorstellungen; aber die Sache hatte keinen Zug in sich. In diesen Kreisen blickt man so verächtlich auf alles herab, was mit Religion und dem Jenseits und überhaupt mit höheren Gefühlen zu- sammeuhängt, daß inan nicht einmal für Antispiritismus Sinn hat. Sie nannten mich ganz vernehmlich bei meinen schönsten Kunststücken «passee;» man hat da eben für die ideale Sehnsucht eines reifen Frauenherzens kein Organ.
Gegen das Ende jedes Monats trat an einem Vormittag die Redaktion in Eduards Schlafstelle zusammeu. Außer meinem Gatten und mir erschienen da immer fünf bis sieben junge Leute, Studenten oder so etwas, welche unter großem Geschrei und Gelächter die nächste Nummer des Blattes zusammenstellten. Das ist ja gerade das Schöne am Spiritismus, daß man von keinem Menschen und von keiner Äußerung geradezu sagen kann, die Geister Hütten keinen Teil daran. Es können ja neckische Geister sein. So brachte der eine von den jungen Leuten eine Spukgeschichte von seiner alten Tante mit, der zweite beschäftigte sich mit Wahrsagen, der dritte übersetzte eine Geistergeschichte mit tödlichem Ausgange aus einer amerikanischen Zeitung. Ich selbst kehrte zu meinem alten Beruf als Schreibmedium zurück und verfaßte für unsere Rundschau Originalbeiträge der ersten Schriftsteller und Dichter der letzten Jahrtausende. Auch ich ließ mich von der Stimmung der Studenten beeinflussen, und so fürchte ich, daß es neckische Geister waren, welche mich einen Briefwechsel zwischen Homer und Dante verfassen ließen. Der Gegenstand dieser Briefe aus dem Jenseits war die Frage der Schädlichkeit des Tabakrauchens. Homer war für den Gebrauch der Cigarren, Dante war Gegner. Ich will aber hier ehrlich sein und gestehen, daß ich die Beiträge dieser großen Meister nicht im Traumschlafe schrieb und nicht einmal mit Hilfe des spiritistischen Tischchens, sondern ganz dumm so vor mich hin wie einen Liebesbrief. Äuch halfen die Studenten mitunter.
Der Gesandte, dessen Unterstützung von jährlich fünfhundert Mark das ganze Ünternehmcn aufrecht hielt, kehrte erst gegen Weihnachten nach Berlin zurück. Man kann sich denken, daß Eduard und ich uns schon lange vorher mit seiner Person beschäftigten. Denn das ist das Eigentümliche an unserem Beruf, daß einer den andern immer für ein Medium oder für einen Gläubigen hält, fiir einen Betrüger oder für einen Narren, daß man voreinander auf der Hut ist und einander gleichzeitig anszubeuten sucht. Der Gesandte hielt sich während des ersten Quartals unserer Redaktion im Südeil auf und sandte von dort aus regelmäßig Beitrüge, welche unbesehen abgedrnckt wurden, natürlich ohne seinen Namen. Er führte einen erbitterten Kampf gegen die Pariser Hersteller von Geisterphoto- graphieen. Ihm schien der Spiritismus eine so heilige Sache, daß er gegen jeden Betrug auf diesem Gebiete unerbittlich war. Für unsere jungen Leute waren seine Beitrüge sowohl durch deren heiligen Ernst, als durch ihreu entsetzlichen deutschen Stil eine Quelle ungetrübter Heiterkeit.
Unsere Studenten hatten so ihren Spaß mit der spiritistischen Leidenschaft des Gesandten. Mein Eduard aber dachte weiter. Er sah in dem Gesandten einer europäischen Macht, wenn es auch keine Großmacht war, doch einen Mann, der fiir so kleine Leute, wie wir waren, ein Schicksal werden konnte. Wie mein Gatte nun überhaupt viel auf eine Karte zu setzen pflegt, so opferte er nun seine ganze Zeit, um den politischen Aufgaben des Gesandten auf die Spur zu kommen und zu erfahren, wozu diesem seine Beschäftigung mit dem Spiritismus eigentlich diente. Denn mein Gatte wollte nicht glauben, daß der Marquis — der Gesandte hatte zu Hause einen ähnlichen Titel — einfach aus Dummheit Spiritist war, wie tausend andere; da mußte durchaus ein Staatsgeheimnis dahinter stecken.