übertragen habe. Kaum ist es nötig, Ihr Wohlwollen dafür anzurufen, denn wo wir mit Liebe lesen, lesen wir auch mit Milde . — (157)
Wieso denn Liebe? wundert man sich. Ich wage es zwar kaum niederzuschreiben, aber es sieht so aus, als wäre Schleppegrell wirklich in Herluf Trolle ver liebt. Daß Holk seinem Vortrag so aufmerksam gelauscht hat, legt er sich als Anzeichen derselben Faszination aus — wer schlösse nicht von sich auf andere? — und beeilt sich, ihm seine Ballade zu schicken. Schleppegrell darf als starrgläubiger Christ seinen besonders verwerflichen Eros ja nie ausleben. Warum also sollte es undenkbar sein, daß er ihn vergeistigt hat durch Ablenkung auf Männergestalten aus der Geschichte, auf Tote, von denen keine Versuchungsgefahr mehr droht? Doch der Stoff der Ballade ist nicht ein lebender Herluf Trolle, sondern der tote. Die Schutzmauer vor sündiger Berührung mit solch einem „Freund" ist doppelt emporgerichtet und macht das Liebeseingeständnis statthaft. So wäre Ebbas beklemmend scharfem Blick nicht einmal diese bizarre, beinah nekrophil anmutende Triebsublimation entgangen: mit Bedacht zitiert sie nicht den Helden, der Holks harmlose Geschichtsbegeisterung, sondern jenen anderen, der Schleppegrells weniger harmlose Inbrunst erregt. Und wie in Anknüpfung an diese Malice beginnt sie am Tag danach das Gespräch so: „Ein gefährliches Paar, diese Schleppegrells; gestern er, heute sie." Holk spottet seiner selbst und weiß nicht wie, indem er, abermals heiter darüberstehend, der eigenen Rolle Don Juans Namen aufstempelt (vgl. 162). Duellieren mag ich mich für diese Vermutungen nicht, aber man erlaube mir den Hinweis, daß sie weit weniger waghalsig sind als die herkömmliche Annahme, das Gedicht sei ein Füllsel ohne rechten Bezug zur Romanhandlung, ein Intermezzo für Liebhaber des Balladesken oder der nordischen Geschichte. Der Leser ahnt längst, daß am Ende dieses Aufsatzes ein besonders formstrenges Romankunstwerk vor seinem Blick enthüllt sein wird. Fontane hätte von allen guten Geistern verlassen sein müssen, um die Aufnahme müßiger Einsprengel in eine solche Komposition auch nur zu erwägen.
Wie für die beiden früheren Hypothesen, so liegt auch für die von Schleppegrells Homosexualität ein epliziter Textbeleg nicht vor. Allmählich wird indes erkennbar, daß es Fontane darauf angelegt hat, diese Art von Spur nicht zu hinterlassen. 11 Dennoch lüftet er den Schleier des Verborgenen diesmal recht weit, ja man möchte fragen: Kann man denn verkennen, daß in den Mitteilungen der Prinzessin auf damenhaft verblümte, aber dennoch deutliche Weise das Profil eines jungen Homosexuellen entworfen wird? Leider verbietet sich diese Frage, hat es doch hundert Jahre niemand gegeben, der dies erkannt hätte. Wie konnte dies Unfaßliche passieren? Darauf möge nun eine Antwort versucht sein.
Die Mitteilungen der Prinzessin sind in gewissem Betracht ein Gegenbeispiel zum Herluf-Trolle-Gedicht. Dieses hat für sich allein keine Bedeutung, empfängt aber eine im Textzusammenhang. Jene haben, isoliert gelesen, eine unschwer zu ermittelnde Aussage, die sich jedoch im Romantextzusammenhang eigenartigerweise zur Unsichtbarkeit verflüchtigt. Man nehme einmal die raffinierte Suada in Augenschein, die Fontane diesen Mitteilungen vorausgehen läßt (145 ff), so z. B. ... stattlicher Fünfziger . .. Stattlichkeit .. . mit mehr Ritterlichkeit als Devotion . . . etwas Imponierendes in seiner Erscheinung . .. das Imponierende ... so ruhig und sicher mit einer Prinzessin
61