sprechen ... Demokrat (!) ... Dissentergeneral ... Bruder eines wirklichen Generals. Der Leser hat gewiß begriffen, was für ein Kalkül diese Wortwahl lenkt. Schleppegrell soll mit dem Flair jener markanten Maskulinität umwoben werden, die das allgemeine Bewußtsein schon immer mit Heterosexualität gleichzusetzen geneigt war, also schon immer mit ihr — verwechselte. Das allgemeine Begriffsklischee von einem Homosexuellen ist das eines Mannes mit effeminierter Gestik und Intonation. Davon freilich ist Schleppegrell das Gegenteil. Es ist ein beim Publikum tief eingenisteter Fehler der Begriffsbildung, was Fontane sich hier ebenso unauffällig wie geistreich zunutze macht. Unmerklich tropfen die so suggestiv in eine falsche Richtung weisenden Wörter in unsere Seele, und wenn dann die Textstelle kommt, wo die Prinzessin Holk reinen Wein einschenkt, ist die Behexung geglückt. Sehenden Auges lesen wir blind über das hinweg, was in aller nur wünschbaren Klarheit auf dem Papier steht. Schleppegrells Standhaftigkeit gegenüber drei verliebten Prinzessinnen halten wir dann in einer Art von oktroyierter Treuherzigkeit seinem Charakter zugute; denn daß er ein Charakter sei, ist die allererste Aussage, die das Buch — bei Lichte besehen: die Pentz (!) — über ihn macht (141). Gleich an der Eingangsschwelle sind wir hypnotisiert worden, mit einem günstigen Vorurteil geimpft, ehe wir ihn erstmals zu Gesicht bekommen. Wie um sicherzugehen, daß unsere Trance stabil ist, zwickt uns der Autor ein letztes Mal in den Zeh mit jenem „und das andre können Sie sich denken" der Prinzessin. Dies ist ein hermeneutischer Blankoscheck. Fontane rechnet darauf, daß wir beim Ausfüllen nach der konventionellsten Verstehensmöglichkeit zuerst tappen: aha, Liebeleien, aha, Romanzen. Hinterher war es ein bißchen anders gemeint gewesen, kann er dafür?
V
Noch einmal begegnen wir dem vollen, sechsgliedrigen Motivspiel im Kern der Romanhandlung, ja es ist ihr Kern, wie sich nun auf einmal herausstellt, ihr dramatischer Höhepunkt und Abschluß. Holk wähnt sich nach den Wirrnissen der Brandnacht vor die Aufgabe gestellt, zwischen Christine und Ebba zu wählen. Er meint, seine halb zur Illusion verblaßte Ehe drangeben zu müssen, um einer, wie sich zeigen wird, ganz illusionären willen. Daß es noch ein Drittes gäbe, daß die bewußte Stunde im Turmzimmer vielleicht nicht mehr war als ein dekadenter Ausrutscher, der ihn die eine Ehe kosten wird, ohne die andere zu stiften, liegt jenseits des Horizontes seiner Phantasie. Diese geht nur der Frage nach, ob Christine in die Scheidung, Ebba in die Verlobung einwilligen werde, und kommt — ohne daß irgendwelche Auskünfte eingeholt werden müßten — zu einem doppelten Ja.
Christine hatte am Schluß ihres letzten Briefes geschrieben: „Laß die diesmaligen Kopenhagener Tage Deine letzten in der Hauptstadt sein, wenigstens in der Stellung, die Du jetzt darin einnimmst. Wozu diese Dienstlichkeiten, wenn man frei sein kann?" (1838) — und aus Stellung liest er nun die eines Ehemannes, aus Dienstlichkeiten die erstarrten Beziehungen zwischen ihm und ihr heraus; eine Umdeutung von verwegenem Eigensinn, die fast darüber nachdenken läßt, ob er nicht unter anderen Sternen einen patenten Literatur-
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