Wissenschaftler abgegeben hätte. Christines verzweifelte, ultimative Warnung vor der geahnten Trennung verdreht sich so zu einer verkappten Kundgabe des Einverständnisses. Wohl indes ist ihm nicht bei dieser Spekulation. „Denn während er sich alles bewiesen zu haben glaubte, war er doch im letzten Winkel seines Herzens von der Nichtstichhaltigkeit seiner Beweise durchdrungen (. ..)" (206).
Mußte er bei solchem Mutmaßen über Christine noch ein paar Zweifel nie- derkämpfen, so kommen ihm bei dem über Ebba gar nicht erst welche. Er eilt ins Palais zu ihr, wird aber nicht vorgelassen, sie sei eben eingeschlafen (vgl. 207). Da beschließt er, die Prinzessin aufzusuchen. Will der unselige Mensch etwa seine Verlobung publik machen, bevor er Ebba um ihre Hand gebeten hat? Genau dies hat er vor. Indes die Umstände retten ihn, auch Königliche Hoheit hütet das Bett. Doch was den mitfühlenden Leser aufatmen läßt, eben das verdrießt ihn mehr als die Abweisung an Ebbas Tür. „Ebbas war er in seinem Gemüte sicher, Ebba also — das mochte gehen; aber die Prinzessin!" (208) Noch zweimal wird ihn Zufallsfügung davor bewahren, seinem privaten Mißgeschick die Krone des öffentlichen Ridiküls aufzusetzen, hätte doch die geschwätzige alte Dame, jeder „Diskretion à tout prix" erklärtermaßen (vgl. 94) abhold, den köstlichen Skandal schwerlich für sich behalten. Am Tag danach erhält er bei ihr Audienz, aber sie sieht mitgenommen aus, er spürt, daß der Augenblick nicht günstig ist für sein Vorbringen; und nach der Rückkehr von Holkenäs ist es für jenen Tag zu spät, im Palais anzuklopfen. Nebel hatte das Schiff aufgehalten.
Von Ebba dagegen wird Holk nicht nur einmal, sondern immer wieder abgewiesen. Das hätte ihm zu denken geben, hätte ihm die Augen öffnen müssen. Es ist gewöhnlich der ungeliebte Mann, den eine Frau in leicht derangiertem Zustand nicht um sich haben mag, während sie den geliebten desto sehnlicher herbeiwünscht. Dies ist das vierte Motiv des Themas. So wie Asta nichts dabei fand, daß auf jenen beiden Gräbern verschiedene Namen standen; so wie Holk zu Rosenberg nichts Jüdisches in den Sinn kam; so wie ihm das Verschwinden der siamesischen Perlenkette weit verdächtiger vorkam als das groteske Entzücken eines Schiffskapitäns über die Aussicht, den Entbehrungen der Seefahrt noch eine hinzufügen zu können; so wie er an dem herzlichen Lachen der Pastorin nichts Auffälliges bemerkte und sich lieber mit dem famosen Takt des Bildungsphilisters um den verlegenen Schleppegrell kümmerte; — so also gibt er jetzt zuwenig acht auf das Merkwürdige, das Informative dieser fortgesetzten Abweisung. Nie vollzieht sich in „Unwiederbringlich" die Verfehlung des Dritten mit der Unentrinnbarkeit des Tragischen, immer übersieht der Protagonist irgendwelche unauffällig warnenden Begleitumstände. Unvorbereitet, aber nicht unverschuldet stolpert Holk in sein Unglück, holt sich von Ebba einen Korb und erleidet eine schwere seelische Erschütterung. Dies ist nun das langvorbereitete Fortissimo, aber man ist davon eher ein wenig enttäuscht. Es zeigt sich auch in diesem Werk wieder einmal, daß Fontane ein Meister der leisen, nicht der lauten Töne ist, was ihm auch bewußt war 10. Das 30. Kapitel ist das schwächste des ganzen Buches. Billigerweise muß man freilich an die unausmerzbare Kontradiktion denken, die im Stoff selber angelegt ist: „Unwiederbringlich" ist ja auch eine Tragödie der bestraften Mittelmäßigkeit. Ein solches Sujet läßt keinen Helden
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