Heft 
(1889) 37
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Deutschland.

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suchen und das von diesen in der Gefängnisarbeit verdiente Geld zu holen. Das Geld behielt die Gefüngnisverwaltung, die Frauen gerieten in Not und Elend die junge Frau eines gefangenen Offiziers erschoß sich. Khalturin verstand es, die Unglücklichen noch elender zu machen. Die Staatsverbrecher also immer jene, zun: großen Teil durch administrative Willkür nach Sibirien verbannten politischen Gefangenen wurden in das Gefängnis der niederen Goldwüscherei gebracht. Dort wurden je sieben bis acht in kleine Zellen gesteckt, die man dadurch gewonnen hatte, daß man ans einer Zelle ein­fach immer drei machte. Zwischen den Pritschen war kaum zum Stehen Raum außerdem wurden hier, nm die Lust noch mehr zu verpesten, Paraschas (Exkrementenkübel) aufgestellt. Die Gefangenen erhoben Einspruch, Khalturin drohte mit Prügeln und ließ vom Gefängnisarzt die einzelnen bereits untersuchen, wie viel Prügel sie ohne Lebensgefahr würden ertragen können. Da griffen die verzweifelten Männer zu dem letzten Mittel die Möglichkeit, sich auf andere Weise den Tod zu geben, war ihnen genommen, sie beschlossen, Hungers zu sterben. Dieses letzte verzweifelte Mittel ist in den russischen Gefängnissen als Golodofka" oderHungerstreik" bekannt. Dreizehn Tage lang setzten die Unglücklichen ihre heroische Entsagung durch dann aber ließ Khalturin die Frauen der Gefangenen kommen und sandte sie zum erstenmal seit zwei Monaten zu ihren Männern. Die flehentlichen Bitten der Frauen, die Ver­sprechungen Khalturins bestimmten endlich die Gefangenen, den Streik zu beenden. Die Gefangenen erhielten wieder Bücher und warme Kleidung, der sanitäre Zustand des Gefängnisses blieb jedoch sehr schlecht. Von bekannteren Gefangenen starben 1879/86 sechs an Gefängnisschwindsucht, vier wurden wahn­sinnig, drei starben durch Selbstmord.

Das elende, überfüllte.Gefängnis zu Kara wird an Trost­losigkeit .und Widerwärtigkeit noch übertroffen von dem in Algaschi. Es stammt aus dem zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, ein verfallener, verkommener Ban. In dem engen Lazarett zehn niedrige Betten, mit elenden, meist durch Dynamitexplosionen im Bergwerk verstümmelten, abgezehrten Kranken. Die Zellen, etwa zweinndzwanzig Quadratfuß groß, sieben bis acht Fuß hoch, ohne Ventilation, mit verpesteter Luft. An den Wänden über den Pritschen breite, schmutzigrote Streifen, von dem Blute des von den Händen der Sträflinge zerdrückten Ungeziefers herrührend. Das Gefängnis enthält hundertnennnndsechzig Sträflinge und war für etwa achtzig berechnet. Während aber der Leiter des Gefängnisses in Kara mit dem Zustande der Dinge zufrieden war und die Lage der Gefangenen noch unerträglicher machte, fand Kennan in Algaschi in dem Oberstlientenant Saltstein einen humanen Mann, der seit Jahren bemüht war, eine Verbesserung herbeizuführen. Er hat die Pläne des Neubaues nach Petersburg geschickt und sie nach anderthalb Jahren mit einer kleinen Abänderung zurück­erhalten. Dann sind sie wieder nach Petersburg gegangen; wenn dann nach weiteren zwei Jahren vom Ministerium des Innern die Genehmigung zum Bau erteilt wird, dann gehen die Pläne, wenn sie inzwischen nicht irgendwo liegen geblieben, ins Finanzministerium, und so geht's dann ein paar Jahre wieder hin und her. Beim Bergwerk Gorni Zerentui wurde vor zehn Jahren der Ban eines neuen Gefängnisses begonnen. Nach Ablauf des Jahrzehnts ist noch nicht einmal das Dach des Rohbaues aufgesetzt. Inzwischen werden die in dem Block­hause untergebrachten, zur Unthütigkeit verurteilten Sträflinge durch die verpestete Luft der überfüllten Zellen langsam ver­giftet. Die hier untergebrachten Sträflinge werden in schlecht ventilierten, durch die Nachlässigkeit des Betriebes gefähr­lichen Bergwerken beschäftigt; ihr Leben ist hoffnungslos und schrecklich den Tag über in den feuchten, schlammigen Galerieen des Pokerfski-Bergwerkes, die Nacht hindurch in dem schmutzigen, vom Ungeziefer wimmelnden Gefängnis von Algaschi. Aber doch würde Kennan die gefährliche Arbeit in den Bergwerken dem steten Aufenthalt in den sibirischen Ge­fängnissen vorziehen, in denen die Sterblichkeit übrigens auch

größer ist, als bei den Bergarbeits-Sträslingen. Übrigens steht das Elend der sibirischen Gefängnisse in Rußland nicht ganz allein da, es soll nach Kennans Andeutungen noch übertroffen werden durch die Zustände im Centralzuchthanse zu Charkow in der kurzen Zeit, da dieses Gefängnis für politische Ver­brecher benutzt wurde, sind dort sechs, Kennan den Namen nach bekannte Männer durch die ihnen auferlegten Leiden wahnsinnig geworden. . . .

Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit. Die ganze melancholische, entsagungsvolle Anschauung des russischen Vol­kes liegt in diesem Worte. Aber nun erreicht wirklich einmal ein Bericht über die unerträglichen Zustände Sibiriens den Zaren, den Selbstherrscher des ungeheuren Reiches und er verzichtet darauf, das Elend zu mildern. Während mehr als zehntausend unseliger, vernichteter und mißhandelter Existenzen von ihm nicht Erbarmen, sondern nur Gerechtigkeit verlangen, liest Alexander III. die sibirischen Berichte und erklärt mit einer, alle Hoffnungen auf Besserung wieder für viele Jahre ver­nichtenden Resigniertheit: (i>'U8timvu nono >u>vuvu üurtiim - ein melancholisches, aber nicht neues Bild!

Transport von Gasen.

Von

0r. Robert Henriques. (Fvrtschmlg.i

ou altersher sind wir gewohnt, alle Körper in die drei großen Gruppen der festen, flüssigen und gasförmigen Substanzen eiuzuteilen, obgleich wir uns voll bewußt sind, daß diese Klassen keine streng gesonderten Gebiete vorstellen, sondern daß es im allgemeinen gelingt, einen jeden festen Körper in den flüssigen, einen jeden flüssigen in den gasförmigen Zu­stand überzuführen. Erwärmt man Schwefel, so schmilzt er zur Flüssigkeit, um beim Erkalten wiederum zu erstarren; erhitzt man Wasser, so geht es in den gasförmigen Wasserdamps über, der sich seinerseits wieder verdichtet, sobald die Temperatur sinkt. Aber noch ein zweites Mittel giebt es, um Wasser in Dampf zu verwandeln. Hebt mau den Druck der auf allem Irdischen lastenden Atmosphäre auf, bringt man also Wasser in die Luftleere, so siedet es bereits bei niederer Temperatur und geht in den gasförmigen Zustand über; eine Druckvermin­derung wirkt also genau so, wie eine Temperaturerhöhung. Umgekehrt können wir auch jedes Gas dadurch zur Flüssigkeit verdichten, daß wir einerseits seine Temperatur erniedrigen, an­dererseits es unter einen erhöhten Druck setzen oder mit an­deren Worten, es zusammeudrücken. Diesen beiden Mitteln oder gar ihrer Bereinigung vermag auf die Dauer kein Gas zu widerstehen, selbst die hartnäckigsten, Sauerstoff und Stick­stoff, haben sich dem menschlichen Auge schließlich in Tropfen­form zeigen müssen. Gelang es nun auch spät, diese beiden letzten Vertreter der früher als permanente, d. h. unkondeusier- bare Gase unterschiedenen Körper zu verdichten, so ist doch die Überführbarkeit vieler anderer Gase in Flüssigkeiten schon seit lange erkannt; denn die hierfür grundlegenden Arbeiten Davys und Faradays datieren bereits aus dem Anfang unseres Jahr-' Hunderts. Etwas anderes aber ist eine wissenschaftliche Er­kenntnis, etwas anderes ihre Nutzbarmachung für das tägliche Leben. Die flüssige Kohlensäure, das verflüssigte Ammoniak, sie wurden zwar in winzigen Mengen in jedem Laboratorium einmal dargestellt, aber die Gewinnung größerer Quantitäten galt, und zwar unter den damaligen Bedingungen mit Recht, für eine recht gefährliche Operation, und an die Versendung der so gewonnenen Kostbarkeiten dachte vollends niemand. Da­zu mag in erster Linie der Mangel des Bedürfnisses jener Substanzen beigetragen haben, dann aber vermochte man auch noch nicht, die zu ihrer Herstellung nötigen kräftigen Pumpen, die zur Versendung unumgänglichen drucksicheren Gefäße her­zustellen. Das ist nun allerdings sehr rasch anders geworden.