Heft 
(1889) 37
Seite
615
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Deutschland.

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Das erste Gas, das verdichtet in den Handel kam, war merkwürdigerweise unser Leuchtgas. Denn nicht sofort ver­fiel man auf die Idee, dasselbe durch lange Röhrenzüge von einer gemeinschaftlichen Fabrik aus den Konsumenten zuznführen, sondern man. versuchte vorerst, dasselbe in eiserne Cylinder ge­preßt den einzelnen Kunden zu liefern. Bei diesen wurden dann die Gefäße in den Keller gelegt und nun an die im Hans vorhandene Röhrenleitung angeschlossen, um dieser gas­förmig zu entströmen. Aber nicht lange blieb man bei dieser Form des Versands und zwar ans einem doppelten Grunde. Einmal war es denn doch mißlich, ein Gas, von dem man unbestimmte und oft recht bedeutende Mengen benötigte, in beschränkter Menge auf Lager halten zu müssen, immer der Gefahr ansgesetzt, daß der Vorrat eines schönen Tages denn doch nicht reichte und die ganze Beleuchtung plötzlich versagte, dann aber bemerkte man auch bald mit Schrecken, daß das komprimierte Gas sehr rasch in seiner Leuchtfähigkeit abnahm. Es sonderten sich nämlich ans dem Gemenge von gasförmigen Substanzen, die wir als Leuchtgas bezeichnen, in den eisernen Cylindern einzelne in flüssiger Form ab, die durchaus nicht geneigt waren, dadurch, daß man den äußeren Druck anfhvb, wieder in den gasförmigen Zustand znrückzngehen, sondern die ganz ruhig als Ole im Cylinder zurückblieben, und gerade auf ihrer Leuchtfähigkeit beruhte in der Hauptsache diejenige des ganzen Gasgemisches. Der berühmte Faraday war es, der zuerst diese Thatsache feststellte,, und der zugleich aus dem in den Cylindern angesammelten Ol einen Körper abschied, dem eine glänzende Zukunft beschieden war: das Benzol, die Mutter- snbstanz des Anilins und damit der ganzen Reihe unserer glänzenden Farbstoffe. So kam man bald es war im zweiten Jahrzent unseres Jahrhunderts von dieser Art des Lenchtgastransports ab, um zu dem noch üblichen, bereits be­sprochenen System überzngehen. Uns aber lehrt diese kurze Geschichte des tragbaren Leuchtgases, daß unter den verschiedenen Arten des Gastransports nicht eine einzige immer und unter allen Umstünden den Vorzug verdient, sondern daß es ganz ans die näheren Bedingungen eines jeden speciellen Falles ankommt.

Immerhin ist man kaum berechtigt, von diesem bald ver­lassenen Versuch ans die Industrie der verdichteten Gase her- zndatieren, denn einmal blieb der Vorgang des komprimierten Leuchtgases lange ohne Nachfolge und dann war doch der hier benötigte Druck nur ein minimaler und deshalb leicht zu er­reichender, im Gegensatz zu den später nötig werdenden Leistun­gen. Erst gegen Ende der siebziger Jahre kommen zwei Gase, die bereits unter stärkerem Druck verflüssigt waren, in den Handel. Bon großer Bedeutung ist aber auch ihr Er­scheinen nicht geworden. Es sind dies das Lachgas und das Ehlormethyl. Das Lachgas, chemisch Stickoxydul benannt, wird, wie bekannt, noch heute als betäubendes Mittel besonders bei Zahnoperationen vielfach verwandt, wenn auch, wie be­hauptet wird, der Verbrauch im Abnehmen begriffen ist. Es kommt in kleinen, schmiedeeisernen Bomben, die höchstens ein Kilo fassen, in den Handel. Eine noch beschränktere An­wendung findet das Ehlormethyl, das lediglich in Farben­fabriken zum Gebrauch kommt. Es ist ein chlorhaltiges Grubengas, das durch einen recht eigentümlichen Prozeß tech­nisch erhalten wird, nämlich durch Destillation von Rüben­melasse, einem Abfallprodukt der Rübenznckergewinnung. Die von dem Erfinder dieser Darstellungsweise, dem Franzosen Vineent, bei Paris gegründete Fabrik ist wohl noch heute die einzige, die größere Mengen Ehlormethyl darstellt.

Von einer ausgebreiteten Industrie der verflüssigten Gase zu sprechen hat man erst das Recht, seit die flüssige Kohlensäure im Handel erschien, seit dem Jahre 1883. Das Verdienst ihrer Einführung gebührt in erster Linie dem Ingenieur W. Raydt, daneben der Firma Knnheim u. Co., die sich mit ihm Zur Darstellung und zum Vertrieb des neuen Handelsartikels ver­band. Der Gedankengang, der Raydt zur ersten Darstellung größerer Mengen des verflüssigten Gases veranlaßt, ist inter­

essant genug, nur hier eine Erwähnung zu finden. Er zeigt, wie häufig die Durchführung einer verlockend erscheinenden Idee einen energischen Geist veranlaßt, über viele Schwierigkeiten hinweg die Gewinnung eines neuen Produkts oder die Her­stellung einer neuen Maschine zu erzwingen, wie dann aber, nachdem hierfür endlich der Weg geebnet ist, die ursprüngliche Idee als wenig ergiebig sich erweist. Jetzt gilt es umgekehrt, für die neue Erfindung einen anderweitigen, größeren Absatz zu finden, die ursprünglichen, hochsliegenden Gedankengänge werden verlassen, die kleinen Bedürfnisse des täglichen Lebens näher ins Auge gefaßt, und siehe da, hier winkt ein überreicher Ersatz: der ursprünglich ans das weite Feld gestreute Same, er wirkt befruchtend auf einem benachbarten bescheideneren Acker. Die ersten Versuche Raydts datieren aus dem Jahre 1878, aus jener Zeit, da der schwere Verlust desGroßen Kurfür­sten" alle unserer jungen Marine freundlichen Gemüter erregte und die Hebung des Wracks von vielen Seiten erhofft wurde. Da gedachte man denn in erster Linie der früheren von Wil­helm Bauer mit nur müßigem Erfolg eingestellten Versuche. Bauer hatte versucht, große Hohlränme durch Taucher an den gesunkenen Schiffsrumpf befestigen zu lassen und diese dann von der Oberfläche des Meeres aus durch Pumpen mit Luft an­zufüllen. In der That tauchten denn auch die versunkenen Kör­per bald ans dem Wasser ans; aber nun zerrissen die Wellen die Verbindnngsschläuche mit den Pumpen oder zerstörten die Lnftküsten,, und von neuem versanken die schon geborgen ge­wähnten Überreste ins Meer. Raydt verfiel nun auf den Gedanken, von einer Verbindung des zu hebenden Gegenstandes mit der Oberwelt überhaupt abzusehen und das zur Füllung der Hohlränme, als welche er wasserdichte Säcke anwendete, benötigte Gas ebenfalls an den Meeresboden zu transportieren. Er mußte also eine große Menge Gas in möglichst handlicher Form ins Meer versenken. Dazu schien ihm die zur Flüssig­keit verdichtete Kohlensäure am geeignetsten; entspricht doch ein Liter des verflüssigten nicht weniger als vierhnndertfünfnnd- vierzig Litern des nicht zusammengedrückten Gases. Er stellte deshalb etwa vierzig Kilo flüssiger Kohlensäure her, eine Menge, die vielleicht größer war, als alles bis dahin Erzeugte znsam- mengenommen, die heutigen Tages allerdings von einer einzigen Fabrik in etwa drei Viertelstunden fabriziert wird. Ein Taucher wurde der Versuch kam 1879 ans der Kieler Werft zu stände mit dem das verflüssigte Gas enthaltenden Behälter und dem nötigen Ballon ins Meer geschickt, um letz­teren an einem versenkten dreihnndertsechzehn Centner wiegen­den Ankerstein zu befestigen. Dann wurde das Ventil auf­gedreht, und schon nach acht Minuten erschien der schwere Stein an der Meeresoberfläche. War somit der Versuch auch glän­zend gelungen, so machte doch die Schiffshebung mit Kohlen­säure in der Folgezeit keine rechten Fortschritte. Da suchte man denn nach einer anderen, mehr ins große Publikum drin­genden Verwendnngsweise für das flüssige Gas, dessen Her­stellung zwar noch keineswegs mühelos war, doch aber von Tag zu Tag leichter gelang, denn die zu derselben nötigen Kompressionspnmpen erfuhren wesentliche Verbesserung und auch die Herstellung von sicheren Behältern und gasdichten Ventilen für das unter großem Druck stehende verflüssigte Gas wurde ermöglicht. So kam man denn zur Verwendung der Kohlen­säure für den Bierausschank und die Mineralwasserfabrikation, eine Verwendungsart, die heute alle anderen weit übertrifft; darf man doch den täglichen Verbrauch für diese beiden Zwecke allein auf 45000 Kilo schützen, was einer Gasmenge von zwei bis zweieinhalb Millionen Litern entspricht.

(Schluß fvlgt.)