Seite 616.
Deutschland.
M 37.
Von
Hildegard Mllorr.
VII.
-Geheimnisse öer Axiritißen.
Nizza. — Der Geist Julius Casars.
elbst ein Medium könnte an das Vorhandensein guter Geister auf Erden glauben, wenn es in Gesellschaft eines so freigebigen und anspruchslosen alten Kavaliers in Nizza weilen dürfte. Ich lebte als Hausgenossin des Marquis in einer Villa der ^«mmmcks des Vitium und brauchte mir keinen erlaubten Genuß zu versagen. Der Marquis zwang mir förmlich elegante Gesellschaftskleider auf, die nur für meine jugendlichen Gefühle zu dunkel in der Farbe und zu hoch im Sitz aussielen; wir speisten vorzüglich und in meinem Wäscheschrank hatte ich immer etwas weißen Burgunder und alten Cognac, wie sie die seligen Geister gewiß vorher noch keinem Medium so gut hatten zukommen lassen. Zarte Bande inniger Freundschaft fesselten mich übrigens bald, wie das nun einmal mein Stern verlangte, an den Croupier eines geheimen Spielklubs von Nizza. Es war ein edler und schöner Mann, den ungerechte Schicksale lange umhergeworfen hatten, bis er da eine so geachtete Vertrauensstellung fand.
Die Bekanntschaft meines interessanten Croupiers machte ich dadurch, daß der Marquis sogleich nach seiner Ankunft seine Pariser spiritistischen Beziehungen wieder anknüpfte, in eine geschlossene Spiritistengesellschaft eintrat, und daß dieser Cercle eigentlich aus lauter Spielern bestand. Der gute Marquis merkte es nur nicht; aber die Herren und Damen unseres kleinen Kreises, übrigens aus Frankreich, Amerika, Rußland und Ungarn zusammengeschneit, waren entweder sehr reiche Leute, welche das hohe Spiel über alles liebten, oder verunglückte Existenzen, welche nur noch vom Spieltisch etwas erhofften. Kein einziges Gesicht dabei, das mir nicht zu seltsamen Träumen Veranlassung gegeben Hütte. Alle Herren sahen sehr vielversprechend aus, und alle Damen, sagte mein Croupier, so, als ob sie viel gehalten Hütten.
Die feinsten Formen wurden innegehalten, was einein gebildeten Müdchenherzen nur wohlthun konnte. Auch die heruntergekommenen Mitglieder hatten sich so oder so viel in guter Gesellschaft bewegt und Hütten eher auf ihre Ehre verzichtet, als auf reine Wüsche und tadellose Kleidung. Es war entweder Vornehmheit oder Mißtrauen, was diesen Cercle veranlaßt^, gewerbsmäßige Medien unter keinen Umständen zu seinen Sitzungen zuzulassen. Der Marquis stellte mich natürlich als seine Freundin vor, allerdings unter einem schönen, falschen Namen, und da ich während dieses ganzen Aufenthaltes glänzend sitnirt war und niemals ein Geschenk irgend welcher Art annahm, so wurde ich mit Hochachtung ausgenommen.
In den Sitzungen, welche täglich kurz vor dem Diner stattsanden, kam alles darauf an, durch die Geister Anweisungen geben zu lassen, wie man abends auf Monte Carlo zuverlässig gewinnen konnte. Ich fungierte dabei bald fast allein als das zuverlässigste Schreibmedium. Meine alten Künste mit dem spiritistischen Tischchen durfte ich freilich nicht wieder hervorholen. Denn mit diesen Tischchen befaßten sich professionelle Medien, und überdies galt das Tischchen in diesem Kreise als ein Schwindel. Ich arbeitete als unmittelbares Schreibmedium. Sobald ich nämlich in den erforderlichen Traumzustand geraten war, manchmal auch früher, geriet meine rechte Hand in nervöse Zuckungen, malte allerlei Fratzen und Schnörkel und Charaktere einer vorsintflutlichen Schrift auf das Papier, schrieb aber endlich, bald in fliegender Hast, bald langsam und zierlich in kalligraphischer Druckschrift Antworten auf die Fragen der Spieler hin. Ob schwarz oder rot heute besonders glücklich sein würde, darüber gab ich am liebsten
Auskunft, weil dabei mitunter das Richtige getrosten wurde. Verlangten die Spieler eine bestimmte Ziffer von mir zu wissen, so weigerte ich mich nicht; da die genannte Zahl aber nicht ein einziges Mal während meines dortigen Aufenthaltes gewann, was allerdings ein ganz besonderes Pech war, bekam ich lange Gesichter zu sehen. Die Fachgelehrten des Klubs halfen aber mit der üblichen Erklärung aus, daß wir von einem neckischen Geiste gefoppt worden seien.
Nach dem Diner eilten fast alle Mitglieder des Cercles ans Spiel. Die einen, namentlich die besitzenden, nach dem geheimen Klub, wo mein Croupier so elegant am Tische saß, die andern nach Monaco, um nach Anweisung der Geister die Bank zu plündern. Ich selbst nahm nur selten am grünen Tische Platz, aber ein und das anderemal ging ich doch in den Klub, um meinem Croupier anfeuernd in die dunklen Augen zu blicken, und in einzelnen Fällen mußte ich die kurze Eisenbahnfahrt nach Monaco mitmachen, um einer telegraphischen Anweisung meines Eduard zu folgen und meine eigenen Geisternummern für ihn zu spielen. Unberechenbar ist das menschliche Herz! So tief in die Geheimnisse des Spiritismus eingeweiht, wie Eduard war, traute er mir doch an besonders stimmungsvollen Tagen geheime Kräfte zu, und pflanzte in Monaco, an dem großen Grabe so vieler Hoffnungen, immer noch die seinige auf. Und ich selbst war immer wieder geneigt, seinen Glauben zu teilen, denn im Grunde war es doch nur die mystische Sympathie zwischen uns beiden, welche ihn trotz aller Ereignisse an das Höhere in mir glauben ließ. Im Herzen war ich ihm auch eigentlich treu.
Für gewöhnlich verbrachte ich den Abend bei meinem Marquis, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, sich das Geisterreich vollends unterwürfig zu machen, L>eit der unglückseligen Geisterphotographie seiner seligen Mutter glaubte er an den Spiritismus blindlings und brütete jetzt über verschiedenen Plänen, bei denen ich ihn nach Kräften zu unterstützen suchte. Aber schon in der dritten Woche unseres Aufenthaltes drängte sich ein Dritter in unfern Bund, ein Russe, der dem Marquis und mir Unglück bringen sollte.
Bolodja Jwolzow erschien mir anfangs so verführerisch mit seiner hohen Stirn, die freilich unmittelbar an einen kahlen Kopf grenzte, und mit seinem mächtigen braunen Barte, daß ich fürchtete, er würde meinen Lebensweg verhängnisvoll kreuzen; er aber erwies sich als ein Verächter des ewig Weiblichen und wurde mein Feind. Als ich ihn kennen lernte, war er in unserm spiritistischen Cercle trotz seiner bedeutenden Mediumschaft beinahe unmöglich geworden. Er leugnete zwar immer, jemals professionelles Medium gewesen zu sein, nahm auch jetzt noch für seine Geistermaterialisntionen kein Honorar, aber er hatte alle Mitglieder nach der Reihe schon angepumpt wenu ich das vulgäre Wort brauchen darf — und zahlte die Betrüge auch dann nicht zurück, wenn er in Monaco zufällig einmal Glück gehabt hatte. In Nizza blieb er des Abends nur dann, wenn er nicht zwei Franken für die Eisenbahnfahrt und nicht ein silbernes Hundert-Sousstück für den ersten Ein satz am Roulettetisch anfbringen konnte. Saß er aber so voll kommen auf dem Trockenen, dann stellte er sich dem Marquis wohl für eine abendliche Geistersitzung zur Verfügung, um ihn darnach wieder zu einem größeren Darlehen bewegen zu können. Bei alledem gab es Tage, an denen Bolodja trsuts st <p>^- i-Mts mit Taufendfrankscheinen spielte.
Als Medium war er wirklich außerordentlich. Aus der Kammer, in welcher er sich fesseln ließ, trat er nicht nur selbst phosphorleuchtend in allerlei Verkleidungen hervor, sondern ließ sich, wenn er sich ganz sicher fühlte, auch noch von einem oder zwei materialisierten Geistern begleiten. Der Marquis hatte zu meiner Sachkenntnis unbegrenztes Vertrauen und gab mir den Auftrag, die Manipulationen des Russen zu überwachen. Als ich den Marquis, von Vokodjas verführerischem Barte fasziniert, beruhigt und den Elenden für ein echtes Medium erklärt hatte, glaubte mein guter Marquis auch ihm alles und machte ihn nach kurzer Bekanntschaft, wenn auch