Heft 
(1889) 37
Seite
617
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M 37.

Deutschland.

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nicht zum Vertrauten, so doch zum Förderer seiner ehrgeizigen Pläne.

Ich bemerke nebenbei, daß Volodja mich in seine kleinen Gewohnheiten nicht eingeweiht hat. Aber er machte die Sache so, daß er nur vor absolut gläubigen Spiritisten auftrat, welche die Fesselung ohne jedes Mißtrauen Vornahmen. Im Dun­keln löste er dann die Knoten, hüllte sich in Leintücher, die mit selbstlenchtender Masse bestrichen waren, und bekleidete ebenso sein Hilfspersonal. Nach der Sprache der Geister konnte ich genau unterscheiden, daß es im ganzen drei Per­sonen waren: Volodja selbst, der schlechtes Russisch-Deutsch sprach, eiu etwas kleinerer junger Mann, der nur französisch redete, und ein Kind von etwa acht Jahren. Das Kind sprach entschieden sächsisch. Die Geisterkammer wurde von den Teil­nehmern der Sitzung häufig untersucht. Es war das Seiten­kabinett eines gewöhnlichen Hotelzimmers und hatte keinen be­sonderen Ausgang. Wo Jwolzow während dieser Zeit seine Gehilfen versteckte und wohin er sie nach der Sitzung brachte, das war selbst mir einige Zeit ein Rätsel. Erst später ent­deckte ich, daß die beiden ganz einfach in dem Sitzungsraume selbst, also im Wohnzimmer Volodjas, im Kleiderschranke ver­borgen waren und von dort in der absoluten Dunkelheit in das Kabinett schlüpften, um als Geister wieder herauszukommen. Ich erfuhr das Geheimnis, als der Kleiderschrank einmal pol­ternd nmfiel und das Erscheinen der Geister sich darauf etwas verzögerte. Der Geist des Kindes behielt diesen Abend eine weinerliche Stimme, als ob er sich von Schlägen fürchtete. Dem Marquis machte das alles nichts. Ich kann immer nur wiederholen, wie nett der Spiritismus darin ist, daß der wirk­lich Gläubige durch nichts mehr irre gemacht werden kann. Der Marquis hörte so gut wie ich den Schrank poltern, Thüreu knarren, nackte Füße schleichen und einmal das arme Kind hinter uns aufschlucken: aber für ihn waren es immer Geister, die polterten, knarrten, schlichen und schluckten.

Diesem Jwolzow nun teilte der Marquis seinen Herzens­wunsch mit, mit dem Geiste Julius Cäsars in intime und per­sönliche Verbindung zu kommen. Das sollte unter meiner Kontrolle geschehen. Der Marquis hielt den Russen für das weitaus stärkere Medium, zu mir aber hatte er mehr Ver­trauen. Ich allein wußte auch darin Bescheid, was Julius Eüsar sollte. Der Russe erfuhr nichts, wenn er nicht etwa während der Sitzungen zuhörte. Der Marquis hoffte mit Hilfe des berühmten römischen Staatsmannes alle diplomati­schen Geheimnisse der Gegenwart und Zukunft zu erfahren und so als weltbeherrschender Minister irgend eines Kaiserstaates sich au seiner Regierung rächen zu können. Das klang mir anfangs ein bißchen verrückt, aber es ließ sich nichts dagegen einwenden. Wenn der Geist Julius Cäsars überhaupt er­scheinen konnte, so konnte er auch unbedingt gute Ratschläge erteilen.

Es war schon nach Ostern, und die Sonne des Mittel­meers brütete über Nizza so verschwenderisch, daß selbst einige von den leidenschaftlichsten Spielern die Fahrt nach Monte Carlo unterließen. Man hatte unaufhörlich Durst, aber der weiße Burgunder hitzte nur noch mehr. So sehr bleiben auch die vortrefflichsten menschlichen Einrichtungen von der Vollkommenheit entfernt.

An einem solchen Tage gewährte Jwolzow dem Marquis die erste intime Sitzung; natürlich erst nach Sonnenuntergang. Der Russe fühlte sich ungewöhnlich starkbeeindruckt" und hoffte bestimmt, daß Julius Cäsar erscheinen würde. Jwol- zows besonderer Protektor aus dem Jenseits, ein Indianer­häuptling, der von Fernando Cortez seiner Zeit gemartert und auf einem Pfahl hingerichtet worden war, hatte schon einige­mal den Namen Cäsars erwähnt und schien drüben mit dem alten Römer Freundschaft geschlossen zu haben.

Ich benutze diese Gelegenheit, um ein für allemal diese kluge Sitte der Medien abzuthun. Nach den Lehren des Spiritismus steht nämlich jedes Medium namentlich mit einem Geiste in enger sympathischer Beziehung. Dieser Seelenfreund

aus dem Jenseits stellt sich zuverlässig ein, sowie das Me­dium seine Zustände bekommt. Andere Geister müssen erst durch Vermittelung dieses speciellen Freundes herbeigerufen werden. Diese Einrichtung ist allgemein beliebt geworden, weil sie den Medien die größten Vorteile darbietet. Sie brauchen nur den Ton und den geistigen Horizont ihres guten Freundes genau zu kennen. Wird dann irgend ein Geist verlangt, von welchem das Medium absolut nichts weiß, und mit dessen Vor­führung es sich darum lächerlich machen könnte, so erklärt der Seelenfreund ganz einfach, er kenne die gewünschten Herrschaften nicht, oder sei ihnen nicht vorgestellt, oder gerade mit ihnen jenseitig verfeindet.

Als wir also, der Marquis und ich, in dem stockfinstern Zimmer Jwolzows beisammensaßen, erschien, aus dessen Ka­binett hervortretend, eine Gestalt in Jwolzows Größe; man sah weder Gesicht noch Hände, sondern nur das schimmernde Leintuch und darüber eine ebenso schimmernde Federkrone. Das war der Geist des vor mehr als 350 Jahren gepfählten In­dianerhäuptlings Wasserschlange. Wasserschlange sprach geläufig französisch, deutsch aber in russischer Aussprache, ganz wie Jwolzow. Mit Rücksicht auf meine Antipathie gegen eine zu schnelle Anwendung der Sprache des Erbfeindes, unterhielt sich Wasserschlange mit uns stets auf deutsch. Bei dieser ersten Sitzung war niemand im Kleiderkasten, und der Russe materia­lisierte darum nur diesen einen Geist. In späteren Sitzungen erschienen mitunter seine beiden Gehilfen: das sächselnde Kind als unschuldiges Töchterlein des Indianerhäuptlings, das be­sonders gern Mandarinen und die Früchte, welche der Mar­quis mitbrachte, jedesmal mit sich ins Jenseits nahm, indem es sie vergeistigte. Nur einmal gelang das Vergeistigen nicht vollständig. Die Mandarinenschale blieb materiell auf dem Boden des Kabinetts zu Füßen des Mediums liegen. Ich kann es nur als eine große Unverschämtheit Valodjas bezeich­nen, daß er meinen guten Marquis in meiner Gegenwart so rücksichtslos düpierte. Der junge Franzose, dessen ich erwähnte, erschien einigemal als Geist eines Galliers, der mit Cäsar ge­kämpft hatte, aber im Jenseits mit dem Römer im selben Hause wohnte und als sein Stubennachbar von einigem Ein­fluß war. Er hatte einen furchtbar schweren Namen.*

Ich will nur kurz erzählen, daß Jwolzow mit meinem Marquis ein Geschäft im großen Stil zu machen gedachte, und daß Julius Cäsars Erscheinen erst für später in Aussicht ge­stellt wurde, wenn der Marquis den Wunsch Wasserschlanges erfüllt und dem armen Jwolzow die Summe von 60000 Fr. bar ausgezahlt Hütte. Die angewandte Methode wird viel­leicht deutlicher werden, wenn ich ans den Gesprächen einige Bruchstücke wiedergebe. Ich mußte nach jeder Sitzung nieder­schreiben, was der Marquis für merkwürdig genug hielt, und so kann ich heute noch manchen Zug wortgetreu wiedergebeu. Die mitgeteilten Antworten wurden wie gesagt bei verschiedenen Sitzungen erteilt.

Marquis: Warum willst Du Dir die Vorführung von Julius Cäsar bezahlen lassen?

Wasserschlange: Ich brauche Dein Geld nicht, elendes Bleichgesicht. Aber ich liebe meinen Bruder Jwolzow. Und da Du die staatsmännischeu Ratschläge Cäsars auch mit Mil­lionen nicht zu teuer bezahlen würdest, so soll wenigstens mein Bruder Jwolzow einen Vorteil von der Sache haben.

Marquis: Hat Jwolzow Dich gebeten, ihm diesen Vor­teil zuzuwenden? Weiß er überhaupt von Deiner Bedingung?

Wasserschlange: Wenn Du geizig bist, Marquis, so hüte Dich vor unfern diebischen Geistern. Jwolzow ist ein Gentleman, hat mich niemals um Geld gebeten und weiß nie, was während einer mediumistischen Sitzung vorgeht . . .

Marquis: Kannst Du Julius Cäsar verhindern, mit mir in Verbindung zu treten?

Wasserschlange: Ich kann ihn nicht geradezu hindern;

* Wahrscheinlich Vereingetorix. Wir haben diesen Namen später eingefügt. D. Red.