Deutschland.
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die gern einen Blick in die „Werkstatt" des einzelnen Schauspielers werfen möchte — findet noch schwerer Antwort auf ihre Fragen.
Im „Atelier für Seelenmalerei" kann man dem Maler nicht über die Schulter blicken, um das Kunstwerk aus groben Anfängen zur Vollendung heranwachsen zu sehen, und gerade diese stille, jeder Beobachtung entzogene Thütigkeit reizt doppelt die Wißbegierde des Laien. — Ich glaube kaum, daß es irgend einen namhaften Schauspieler giebt, an den nicht schon vielfach die Aufforderung ergangen wäre, ein wenig aus der Schule zu schwatzen und den Schleier zu lüften, der verhüllend über die Mysterien des künstlerischen Schaffens gebreitet ist.
Das ist eine schwere, sehr schwere und eine — undankbare, sehr undankbare Aufgabe.
Der Künstler weiß, daß er durch seine Antwort den Fragenden genußürmer macht — man empfindet nicht mehr das reine, ungestörte Wohlbehagen am fertigen Kunstwerk, wenn man zu tief in die Mechanik des Werkes geblickt hat und immer das Summen und Surren der treibenden Rüder und Rädchen zu hören vermeint — außerdem aber lerut und studiert eigentlich jeder Schallspieler auf audere Weise uud es ist schwer, aus den verschiedenen Methoden und Systemen das Allgemein- gültige herauszufinden und zu erläutern. —-
Dem nachstehenden kurzen Versuch schicke ich die Bemerkung voraus, daß in ihm nur von Künstlern die Rede ist, die es mit ihrer Sache ernst nehmen und denen ihre Stellung Gelegeilheit zu ruhigem, ersprießlichem Schaffen bietet — nicht voll bedauernswerten Kunsthandwerkern, die im Sklavendienste gewinnsüchtiger Spekulanten eine vierzehn Bogen starke Rolle über Nacht lernen und den „Lear" voll Mittag bis Abend „übernehmen" müssen.
Derartige Dinge kommen täglich an den kleinen, sehr oft auch an den sogenannten guten Bühnen vor und in der modernen Novitüten-Hetzjngd, wie im Fieber monatelang durch ein ewig wechselndes Sensations-Repertoire getrieben, ist schon manches große Talent rettungslos zu Grunde gegangen.
Noch mit dem Wortlaut der Rolle kämpfend, tritt in solchen Verhältnissen der Schauspieler vor das Publikum, er verflicht, „aus den Souffleur" zu spieleil, lind wenn er in dieser Kunst Meister geworden ist, hat er die Fähigkeit korrekt zu leimen für immer verloren.
Weil er nicht Zeit hat, sich irgendwie in den Charakter seiner Rolle zu versenken, macht er sich ein Schema zurecht, er hat seine Schablone für den Ernst sowohl, wie für die Komik, und da er ein paar Gewaltmittelchen besitzt, die ihre Wirkling aus die Lachmnskeln oder Thrüueudrüsen eines naiven Publikums niemals verfehlen, kommt ihm schließlich die Gabe des Jndividualisierens ganz abhanden.
Genug davon! Ich komme da auf eins der traurigsten Kapitel unserer modernen Theater-Korruption, dessen Besprechung mich weit von meinem Thema abführen würde; ich will hier auch keine.zornige Kapuzinade vom Stapel lassen, sondern nur einen Teil der neugierigen Frageil zu beantworten versuchen, die mir schon oft in so reicher Auswahl vorgelegt worden sind.
Wie lernt der Schauspieler?
Soll der Schauspieler in der Rolle anfgehen oder über derselben stehen?
Was ist mehr an seinem künstlerischen Schaffeil beteiligt — Kops oder Herz?
Ist es wahr, daß so oft die kleinstell Rollen die schwersten sind, daß der Episodist so häufig aus einem gefährlicheren Posten steht, als der Hauptdarsteller?
Wie kann der Schauspieler selbstthütig dem Dichter helfen, indem er die Trivialitäten seines Werkes verbirgt oder andererseits seine Jdealgestalten vermenschlicht und dadurch unserem Empfinden näher rückt?
Das sind vorläufig die Punkte, über welche ich nach bestem Wissen und Gewissen kurze, Auskunft erteilen will. - -
— — Oft höre ich Äußerungen des Staunens darüber,
welche Fülle von Rollen der Schauspieler nach und nach in seinem Gehirn aufspeichert, während man es ganz natürlich findet, daß sich ein noch weit größerer Schatz von Wissen hinter der Stirn des Forschers, des Gelehrten ansammelt. Das ist unlogisch. Ob Dichterworte oder z. B. historische Daten — das Material gilt dem Gedächtnis gleich und die Rollen werden das sichere geistige Besitztum des Darstellers, weil er sich dieselben nicht durch mechanisches Auswendiglernen, sondern durch zergliederndes Studium zu eigen macht.
Der Schauspieler studiert natürlich das Stück vor allem im ganzen, ohne besondere Rücksicht auf seine Rolle. Nachdem er mit dem Inhalt auf das innigste vertrant geworden ist, nachdem er sich über die Beziehungen seiner Rolle zu jeder anderen Person des Stückes völlig klar ist, sucht er in den Äußerungen dieser anderen Personen Aufklärung über den Charakter und das Aussehen der darzustellenden Figur.
Wenn er auf diese Art und dadurch, daß er den Wegen des Dichters von Motiv zu Motiv, von Ursache zu Wirkung liebevoll nachgewandelt ist, endlich fähig geworden, in der Sinnesart der Rolle zu denken, hält er im Kreise aller der Menschen, mit denen er je in nähere Beziehung gekommen ist, Umschau — um ein passendes, greifbares Modell zu finden.
Er will niemand kopieren — durchaus nicht — aber er bevölkert durch solche Umschau seine Phantasie mit lebenden Wesen von Fleisch und Bein.
Der Blick des einen, die Handbewegung des andern passen zu seinem Bilde, langsam füllen sich die schemenhaften Umrisse mit Blut und Leben, der Grundton der Rolle klingt ihm im Ohre und bald hat die Phantasie ihr Schöpfungswerk vollendet.
' Der Schauspieler sieht die bis in die kleinsten Einzelheiten fertige Figur klar vor sich, er ist vertraut mit ihr, wie mit einem alten Freunde, und weiß genau, wie sie sich in allen Lebenslagen — sollten sie dem Inhalte des Stückes auch noch so fremd sein — benehmen würde.
Nun geht er an die nähere technische Ausarbeitung. Er will zu lernen anfangen und merkt dabei in den meisten Fällen, daß auch der Wortlaut der Rolle — schon längst in seinem Gedächtnisse hängen geblieben ist.
Da er den geistigen Ursprung jeder Handlung, jedes Wortes kennt, da er genau weiß, iu welcher Art, in welchen Wendungen die Figur redet, da er außerdem während des Studiums das Stück sehr oft gelesen hat — ist er ganz unbewußt, ohne auch nur eine Stunde lang mechanisch gelernt zu haben -- Herr einer umfangreichen Rolle geworden.
Dieser eben geschilderte Werdeprozeß sollte immer zwischen der Arrangierprobe und der viel später anzusetzenden ersten Bühnenprobe vor sich gehen.
Vor der Arrangierprobe sollte sich der Schauspieler durchaus nicht eingehend mit seiner Rolle beschäftigen, damit er sich keine falschen Scenenbilder in den Kopf setzt und auch den äußeren Rahmen, in dem er sich zu bewegen hat, genau kennt.
Sonst kann es ihm leicht passieren, daß sich schließlich die Notwendigkeit scenischer Arrangements herausstellt, die alle seine Berechnungen umstoßen und ihn um seine besten Wirkungen bringen. ^
Die Vorstellung ist endlich da, wir lauschen begeistert der großen Interpretation einer großen Dichtung und — sehen uns vor eine neue schwierige Frage gestellt, über die in Künstlerkreisen schon heftige Fehden ansgefochten worden sind, die im Anprall entgegengesetzter Meinungen schon oft die Köpfe erhitzt hat.
Wir wollen wissen, ob unser Liebling da oben auf deu Bretteru nur seiue Hörer in so angenehmer Weise täuscht oder ob er in „holdem Wahnsinn" auch sich selbst momentan den Haß und die Liebe seiner Rolle vorlügt, ob er die Rolle oder ob die Rolle ihn beherrscht, kurz — ob der Schauspieler iu seiner Rolle aufgehen oder über derselben stehen soll.