Heft 
(1889) 39
Seite
644
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Seite 644.

Deutschland.

39.

Sie wollte ihn fortziehen.

Aber flammendrot vor Wut, schlug er nach ihr.Du dumme Gila Dn! Nun ist der Zauber vorbei, nun hast Du gesprochen! Und das schöne Kleeblatt ist auch fort!"

Eine Rauchwolke wirbelte ihm ins Gesicht. Das Stroh begann zu brennen und loderte in Hellen Flammen ans, die gierig schon hinznngelten nach dem Holzwerk der Stallein­richtung.

Mit einem gellenden Angstschrei stürzte Gila hin zur Thür, sie zu öffnen. Vergeblich! Das Schloß war ziemlich hoch angebracht und trotz allen Hinanfspringens konnte Gila den alten, rostigen Schlüssel, der den Riegel von innen bewegte, nicht erreichen. Die Kinder waren eingeschlossen, der erbar­mungslosen, feindseligen Flamme überliefert. In Todesangst rüttelte Gila an der schweren Bohlenthür. Sie schlug sich die kleinen Hände wund du den rauhen, splittrigen Brettern nichts wollte helfen.

Gilo, der jetzt erkannte, was er angerichtet, und vor dein unbestimmte Bilder ans Erzählungen der alten Mascha auf- dümmerten, Bilder von Kindern, die durch eigene Unvorsichtig­keit verbrannt oder verhungert waren, erhob ein furchtbares, langanhalteudes Jammergeschrei. Es drang kaum hinaus ans dem geschlossenen Raum und verhallte in der Öde der Heide.

Kein menschlich Ohr war in der Nähe, als das durch Taubheit und Schlummer verschlossene der alten Mascha.

Mit rasender Schnelligkeit verbreitet sich das Feuer, wol­lüstig scheint es zu wühlen in der willkommenen, ausgedörrten Nahrung.

Funkengarben stieben auf und beängstigen die Kinder mit ihrer schaurig schönen Pracht.

Heulend, zitternd klammert sich Gilo an die Schwester, die sich ratlos umsteht.

Da erblickt sie einen Stalleimer, halb mit Wasser gefüllt. Sie schleppt ihn zur Thür. Vielleicht, wenn sie sich darauf stellt, kann sie den Schlüssel erreichen.

Sie schwingt sich ans den Rand. In ihrer kindlichen Einfalt hat sie nicht überlegt, daß das Gefäß durch die ein­seitige Belastung Umschlagen muß. Das Wasser fließt zur Erde. Schnell gefaßt kehrt Gila den Eimer um nun hinauf. Ach! noch immer kann das in Todesangst zitternde Kind den Schlüssel nicht erreichen.

Gila springt so hoch, als es ihre elastischen Muskeln ge­statten; aber nur mit den äußersten Spitzen der Finger rührt sie an das rostrote Eisen. Es gehört eine andere Kraft dazu, den Schlüssel zu bewegen, als das Vorüberstreifen der zarten Kinderhand.

Wenn sie sich nur in den Griff des Schlüssels einhängen tonnte! Vielleicht ließe er sich durch Schwingen des Körpers bewegen.

Wie ein Gummiball schnellt die kleine Gestalt auf und nieder. Der umgestülpte Eimer giebt einen hohlen Klang . . .

Alles vergeblich! Es gelingt dem Kinde nicht, bis an das Schloß hinzulangen.

Gilo hat sich inzwischen in seiner Angst auf den ziegel­belegten Fußboden des Stalles hingekniet, und mit gefalteten Hündchen betet er aus seiner kleinen, von dem ununterbrochenen Hilfeschreien verquollenen Kehle heraus sein Nachtgebetlein:

Lieber Gott! Aus Sterneuhöhen Wolle auf mich niedersehen

Laß mich werden gut und fromm,

Daß ich in den Himmel komm'!"

Sein Nachtgebetlein! Das er so oft schon vergessen, wenn die Mutter nicht mit ihm gebetet hat, und das er mm unauf­hörlich vor sich hinsagt, immer schneller immer schneller.-

Und die Schwester springt drüben ans dem Eimer ans und ab, bis die kindlichen Glieder erlahmen.

Immer drohender wird die Gefahr, immer gräßlicher die Not der Kinder.

Gila fiebert fast. Was soll sie thun?

Der Bruder muß gerettet werden. Gerettet um jeden Preis! Was würde die Mutter sagen, wenn sie heimkehrte und Gilo nicht fände?

Und der Vater? Er würde sie töten, wie er einst die arme, schuldlose Katze getötet!

Muschi! Die Erinnerung an das geliebte Tier kehrt mit solcher Macht zurück zu Gila, daß sie für Augenblicke Todes­gefahr vergißt und alles.

Laß mich werden gut und fromm,

Daß ich in den Himmel komm'."

Die Stimme des Brüderchens, heiser und mit ersticktem Schluchzen gemischt, reißt sie zur gräßlichen Wirklichkeit zurück.

Gilo! Gilo! Wie soll sie ihn retten?

Sie denkt gar nicht daran, daß auch sie verloren ist. Wie ein Schreckbild steht nur die Rückkehr der Eltern vor ihr sie werden sie fragen nach Gilo.

In ohnmächtiger Wut und namenloser Angst schlägt sie noch einmal gegen die Thür.-

Dann sieht sie sich um in dem qnalmerfüllten Raume die furchtbare Not schürft die kindlichen Sinne.

Ihr dunkles, weitoffenes Auge gleitet hin über die Wände. Sie, die mit der Gewandtheit und Sicherheit einer Katze klet­tert, vielleicht kann sie die Luken erreichen, die dem Stall Licht und Luft zuführen.

Aber die Luken sind ebenfalls hoch angebracht höher noch als das Thürschlvß. Und die Wände mit den eingelegten Balken und dem weißen Anstrich sind glatt und bieten keinen Vorsprung, sich daran zu klammern. -

Rastlos gleiten die suchenden Kinderaugen hin über die kahlen Mauern.

Halt! Dort unter der einen Wandöffnnng ist ein Haken und darunter, nicht unerreichbar, ist ein Stück Kalk und ein halber Stein ans der Mauer heransgebröckelt und hat so eine kleine Vertiefung gebildet.

Ein Gedanke durchzuckt Gila. Schon tritt sie mit einem Fuß auf den halb ansgebrochenen Stein, die Rechte faßt klam­mernd den Haken, mit der Linken reißt sie das Stroh, das die Luke zur Hälfte stillt, heraus und schleudert es zu Boden.

Die Öffnung ist schmal sie selber kommt wohl nicht hindurch, auch könnte sie den Körper so hoch nicht schwingen. Aber Gilo! Gilo! Ihn kann sie hinaufheben und hindurch- zwüngen! Eine dunkle Blutwelle färbt mit freudigem Rot das schreckensbleiche Kindergesicht. Ja, so muß es gehen!

Das Teufelchen springt herab. Noch einmal sieht Gila zweifelnd zu der Luke ans, durch die der blaue, lachende Som­merhimmel hereinschaut dann schlingt sie mit Gedanken­schnelle den Arm um das anfschreiende Brüderchen.