39.
Deutschland.
Seite 645.
Mit der Kraft der Verzweiflung, der aufopfernden Liebe fchwingt sie sich hoch mit ihrer Last. Der Haken wankt in der Maner von dem Reißen daran.
Alle Adern schwellen an Gilas Körper. Die zarte Linke, die das Eisen umklammert hält, blutet. Kaum kann der rechte Arm den Körper des sich sträubenden Gilo halten. In Strömen perlt der Schweiß von der Stirn der Kleinen.
Zwei-, dreimal sinkt der belastete Arm nieder, die Kräfte wollen erlahmen. Da führt mit grellem Leuchten, unter einem stiebenden Fnnkenregen eine breite Flamme auf und wirft ein paar rotglühende Pünktchen auf Gilos lose wehendes Blondhaar.
Ein Angstschrei Gilas — noch ein Ruck — mit letzter Kraft, in Todesnot! Der Knabe liegt halb schwebend in der Luke. Der Kopf ist außen, die Beinchen hängen an der inneren Mauerseite herab. Noch ein angestrengtes Nachschieben Gilas und der kleine Körper fliegt unversehrt draußen auf den weichen Heideboden.
Für einen Augenblick liegt der Knabe wie betäubt da. Die Angst drinnen im Stall, der Ruck ---- der Fall — und nun plötzlich Freiheit, Erlösung!
Er richtet sich ans, er will schreien — er kann nicht mehr! Da steht er ans seinen Beinchen. Und humpelnd läuft er nach der Gegend von der alten Mascha Häuschen hin.
Er ist gerettet! — — —
Und drinnen? In gewaltigem Gegenstoß ist Gila von dem Stein in der Mauer herabgestürzt und schmetternd mit dem Hinterkopf ans den ziegelbelegten Fußboden aufgeschlagen.-
Und die Flammen reichen sich glühende Hände und wölben eine lodernde Gruft über dem Körper des „Teufelchens."
Brütend liegt Mittagsschweigen draußen und greller Sonnenschein.
Die finstere schwarze Wand am fernen Horizont ist wolkenschnell näher gerückt und über dem Grafenschloß zieht sich
ein Wetter zusammen, düster, drohend-— ein Wetter,
das Blitz und Schlag bringen wird - — — — -
Die jrartenbriefe.
Bon
M- A-
unerwartet günstige Schicksal, welches nach jahre- langem Kämpfen zwischen Publikum und Postver- waltung der Drucksachentarif durch Einschiebung der Gattung im Gewicht von fünfzig bis einhundert Gramm zum Portosatze von fünf Pfennigen endlich seit dem ersten Juni erfahren hat, läßt die Hoffnung neu aufleben, daß auch jener vielseitige und nicht mehr neue Wunsch nach Einführung der „Kartenbriefe," wie sie seit Jahren bereits in Österreich bestehen, und welche sich unseren Reichsangehörigen auf ihren Reisen durch Tirol, bei ihrem Aufenthalt in Karlsbad und anderen Orten des benachbarten Kaiserreiches so schnell unentbehrlich machen, seitens der deutschen Reichspostverwaltung nicht weiterhiir unerhört bleiben wird.
Über das Äußere des „Kartenbriefes" sei für diejenigen, welchen ein solcher noch nicht zu Gesicht gekommen sein sollte, gesagt, daß dasselbe ungefähr unseren „Postkarten mit bezahlter
Antwort" entspricht. Die beiden inneren Flächeil dienen zur Aufnahme des Textes und werden nach ihrer Benutzung mittels ihrer gummierten Randstreifen aneinander befestigt, so daß der geschriebene Inhalt jedem Unberufenen verschlossen bleibt. Der Empfänger einer solchen Sendling trennt die zusammengeklebteu Ränder, welche von durchlochten Linien begrenzt sind, mittels eben dieser Vorkehrung leicht ab und vermag nunmehr wieder die beiden Kartenflächen — ähnlich wie ein Buch — aufzuschlagen lllld von der Mitteilung Kenntnis zu nehmen. Der große Vorteil, welchen diese „Kartenbriese" sowohl vor den Postkarten als auch vor den Briefen dem Publikum bieten, liegt in ihrer Diskretion und ihrer bequemen Handhabung.
Wenn wir uns auch seit Einführung der Postkarten allmählich daran gewöhnt haben, diesem offenen Blatte manches Wort nnznvertrauen, welches wir unter Umstünden nur mit Beobachtung einer gewissen Vorsicht aussprcchen würden, so liegt diese Gewohnheit nicht in einem hohen Grade von Sorglosigkeit oder Rücksichtslosigkeit, sondern in dem äußeren Zwange, welcher z. B. dem reisenden Publikum unterwegs ein anderes, gleich bequemes Mittel zur Nachrichtenvermittelung nicht an die Hand giebt. Wie oft aber — und das werden die Beamten der Neichspost am besten bestätigen können — müssen dann, wenn selbst jener äußere Zwang ein gewisses Zartgefühl nicht zu verdrängen vermag, griechische Schriftzeichen, ein ungewohntes Französisch, oder ein unzureichendes Latein herhalten, um die Mitteilungen dem Verständnis Unberufener zu entziehen, während diese Schreibweise in den meisten Füllen thatsüchlich nur dazu geeignet ist, den Sinn der Worte auch dem Empfänger zu verdunkeln.
Neben dieser der Postkarte gänzlich ermangelnden, sehr wertvollen Eigenschaft der Diskretion besitzt der „Kartenbrief" aber auch gleichzeitig den der Postkarte eigentümlichen Vorzug der bequemen Handhabung. Briefbogen nebst den zugehörigen Briefumschlägen sind ganz wie ihre Bezeichnungen umständliche, und deshalb als Reisebegleiter oder für kurze schriftliche Mitteilungen unangemessene Gegenstände. Der förmliche Brief bedingt eben andere Formen, die Postkarte dagegen besitzt das Privilegium — ähnlich' wie das Telegramm — im Lapidarstil abgefaßt zu werden. Und in dieser trefflichen Eigenschaft ist der „Kartenbrief" der rechte Bruder seiner kurz angebundenen Schwester, der Postkarte, nur nicht — geschwätzig wie diese. Darum läßt sich auch erwarten, daß nach seiner Einführung der „Kartenbrief" sich alsbald — zum größten Teil auf Kosten der Postkarte — seinen Platz auf dem Schreibtische der Comptoirs und der Boudoirs, sowie in der Reisetasche als unentbehrlicher Nachrichtenträger erobern würde.
Als Gegengründe für diese Neuerung pflegt die Postverwaltung anznführen, daß es ja der Privatindustrie freistehe, diese „Kartenbriefe" in den Handel zu bringen, und daß alsdann ja das Publikum nur notwendig habe, die erforderliche Freimarke von zehn Pfennigen als Frankierung aufzn- kleben; denn sie, die Postverwaltnng, möchte es eben gern vermeiden, neue Arten von Postwertzeichen oder ähnlicher Ver- kanfsobjekte einznführen.
Gegen den ersten Einwand läßt sich erheben, daß ja dann mit demselben Recht auch die Postverwaltung die Herstellung und den Verkauf gestempelter d. h. frankierter Postkarten ablehnen und diese Produktions- und Handelsthütigkeit lediglich der Privatuuternehmnng überlassen könnte. Das liegt aber keineswegs weder in den Wünschen des Publikums, noch in den Interessen des Postdienstes; denn es wird keinem, selbst dem mit den technischen Einrichtungen und Arbeiten des Post- dienstes Unbekannten zweifelhaft sein können, daß die gesamte posttechnische Behandlung der Postsendungen von ihrer Auflieferung an bis zu ihrer Aushändigung an den Empfänger gerechnet, sich vorteilhafter, schneller und sicherer gestalten muß, je homogener die einzelnen Gattungen der Versendnngsgegen- stünde gestaltet sind, und daß dieses Ziel nur dann vollkommen erreicht werden kann, wenn die Herstellung jener Gegenstände in einer Hand liegt, nach einem Muster ansgeführt wird.