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Deutschland.
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Bon
Hildegard Uiljorr.
VIII.
Der internationale Spiritisten-Kongreß zu Rom.
die heiße Jahreszeit die Pforten des Mittelmeer- gestades schloß und der letzte Pariser Nizza ver- lassen hatte, begab ich mich mit meinem Croupier in ein entzückendes Pyrenäenbad, wo er ein erfreuliches Sommer-Engagement gefunden hatte. Ich kann über diese schönen Monate ruhig hinweggehen, da in dem paradiesischen Gebirgsthnl endlich einmal kein Spiritismus getrieben wurde. Es waren lauter anständige Leute da und sehr viel Geld. Franzosen, Spanier, Italiener und Amerikaner. Ich hörte ein Vierteljahr lang kein deutsches Wort. Man interessierte sich für das Spiel, die Weiber und die bevorstehenden großen Rennen. Selbst ein Rnubanfall gegen einen glücklichen Gewinner nahm gewissermaßen einen fröhlichen Ausgang, da es sich herausstellte, daß der Bürgermeister des Ortes an der Operation beteiligt war und dieser den größten Teil des Geldes wieder herausgab. Ich nenne die Zeit ein Idyll, eine Oase in der Wüste meines Lebens.
Als wir znm 1. Oktober nach Nizza zurückkehren mußten und mein Croupier wegen kleiner Unregelmäßigkeiten den Posten in seinem Klub nicht wieder erhielt, gründete er ohne Zandern einen neuen, und mir fiel die Aufgabe zu, durch die Lockmittel meiner Weiblichkeit, vor allem aber durch meine Medinmschaft ehrbare junge Leute, die Geld hatten, heranzuziehen. Die Sache ging aber nicht nach Wunsch. Schon nach vier Wochen waren wir genötigt, unsere Zelte abzubrechen, d. h. mein Croupier folgte einem ehrenvollen Rufe nach Monaco, während ich als Schreibmedium einer großen spiritistischen Gesellschaft verlassen in Nizza zurückblieb. Ich kann nicht leugnen, daß ich in dieser Eigenschaft von der Spielbank Monte Carlo eine auskömmliche Pension bezog und dafür nichts zu thnn hatte, als daß ich den Gläubigen Ratschläge der Geister übermittelte, die einen sicheren Spielgewinn verhießen. Es war ein unglücklicher Zufall, daß unsere Gesellschaft nichts gewann und dadurch immer mehr herunterkam.
Um diese Zeit tauchte in Nizza plötzlich der Doktor auf, unter dessen Leitung ich vor Jahr und Tag als ärztliches Medium ausgetreten war. Er sah außerordentlich reduziert ans, am wenigsten in seiner Kleidung; aber er hatte Haare und Zähne verloren, und seine Körperpflege ließ so viel zu wünschen übrig, daß ich seine Versuche, unser altes herzliches Verhältnis wieder herzustellen, mit gerechter Entrüstung zurückwies. Ich war aber trotzdem genötigt, ihn von meinem Gelde zu unterstützen und ihn den Uneingeweihten als hervorragendes ärztliches Medium vorzustellen. Er drohte, mich sonst durch seine Enthüllungen zu kompromittieren. So kann ein sonst vorwurfsfreies Leben durch einen einzigen Makel immer wieder in Unruhe gebracht werden.
Ich führte den Doktor auch in die geschlossene Gesellschaft ein, welche wir Medien für uns allein gebildet hatten, und wo wir, ohne unsere Betrügereien offen einzugestehen, doch in einer gewissen frivolen Weise vom Spiritismus sprechen durften. Es waren eben nur wirkliche Medien zugelassen. Der Doktor gewann trotz seines abschreckenden Äußern rasch einiges Ansehen; denn die Spiritisten sind sehr für höhere Bildung. Es ist merkwürdig.
Die Geschäfte gingen schlecht. Es war lange keine unserer Ziffern herausgekommen und wir Medien bekamen keine Honorare. So rächt sich jede Schuld auf Erden.
Wir saßen wieder einmal gegen Mitternacht, als unsere Spieler, ausgeleert die Taschen, mit dem letzten Zuge von
Monte Carlo heimgekommen waren, in unserem Versammlungslokal, einer schmutzigen Weinkneipe der Altstadt Nizza. Wir waren in einer recht verzweifelten Stimmung und verwünschten das Schicksal, welches uns einen so schwierigen Beruf hatte ergreifen lassen. Ein Welschtiroler — er war fortgejagter Geistlicher und seine Specialitüt bestand darin, als Traum- Medium stm somnambulen Zustande) Kirchenväter und Apostel zu eitleren — dieser Mann also, den wir Monsignore nannten, warf ein anregendes Wort in die Unterhaltung, welche übrigens immer deutsch, französisch und englisch durcheinander geführt wurde. Monsignore hatte jüngst irgendwo gelesen, daß es auf der Erde über zwanzig Millionen gläubiger Spiritisten gäbe. Warum man noch nicht darauf gekommen sei, diese Schar als eine neue Kirche zu organisieren? Er Hütte nicht übel Lust, der Papst der Spiritisten zu werden? Wenn man jeden gläubigen Spiritisten nur zu einem Jahresbeitrag von zehn Kreuzern bewegen könnte, so verpflichtete sich Monsignore, alle tüchtigen Medien glänzend zu honorieren und binnen zwanzig Jahren ganz Europa zu dem neuen Glauben zu bekehren. Er knüpfte daran gotteslästerliche Flüche gegen die katholische Kirche, redete wie der Antichrist und wurde schließlich, da die Mehrzahl der Anwesenden katholisch war, durch persönliches Eingreifen der kräftigsten Medien deutlich zur Ruhe gewiesen. Die Gesellschaft behandelte den Stoff nicht ernsthaft genug. Die einen kritisierten die angegebene Zahl der Spiritisten, die andern schimpften ans die Gläubigen, die lauter Geizhälse wären, die dritten endlich brachten das Gespräch auf andere Dinge.
Mein Doktor aber ging in jener Nacht nicht zu Bett, sondern sann am Ufer des Meeres über die Möglichkeit nach, die gewaltige Idee des geistlichen Herrn zu verwirklichen. Schon vierundzwanzig Stunden später kam der Doktor mit dem völlig ausgearbeiteten Plane zu mir und ich konnte nicht umhin, ihm meine Bewunderung durch Zeichen von Sympathie auszudrücken.
Er brauchte für den Anfang eine kleine Summe, um Drnckkosten und Portoanslagen zu bestreiten. Deshalb wohl zog er mich in sein Vertrauen und auch darum, weil er zu meiner Menschenkenntnis und Anschlägigkeit großes Vertrauen besaß. Er setzte mir auseinander, daß noch so kleine Beitrüge aller gläubigen Spiritisten erst dann zu unserem Nutzen zn- sammenströmen könnten, wenn vorher eine feste Organisation geschaffen wäre und er an ihrer Spitze stände. Diese Organisation dürfte aber mit Rücksicht auf die Polizei keinen kirchlichen Charakter tragen. Das beste wäre in unserer Zeit ein internationaler Kongreß, auf welchem er zum Präsidenten aller Spiritistenvereine der Erde ernannt würde. Der Vorstand könnte dann Beitrüge ausschreiben und die unzähligen kleinen Spiritistenvereine zur Einsammlung uud Einsendung derselben veranlassen. Wenn er selbst den internationalen Kongreß ein- berief und der Erfolg nur so groß war, daß zur Deckung der Kosten ein paar tausend Francs einliefen, so hatte er alle Medien der Welt in der Tasche und konnte befehlen.
Etwa acht Tage lang, während welcher mein abenteuerlicher Geist mich schon als Stifterin einer netten Religion oder als die Gattin des Stifters in karrarischem Marmor ausgehauen sah, wurde der kühne Versuch von uns gründlich durchgesprochen, und endlich entschloß ich mich, die Kosten zu dem Unternehmen vorzustrecken. Dreihundert Francs waren nicht zu viel, um die Kirche der Zukunft zu gründen und uns ein unermeßliches Jahreseinkommen zu verschaffen. Gemeinsam verfaßten wir den Aufruf, gemeinsam saßen wir zwei Tage lang, falteten das Cirkular, schoben es in die Couverts, schrieben Adressen und frankierten die Briefe. Am 1. Januar trug ich die ganze Ladung auf die Post.
Das Cirkular trug ebenso wie die Couverts die Aufschrift „Internationaler Spiritistenkongreß zu Rom." Die Zuschrift selbst, welche wir an alle Spiritistenvereine, an alle spiritistischen Zeitschriften und an alle wohlhabenden Spiritisten abschickten, deren Adressen anfzutreiben waren, war französisch und deutsch abgesaßt und hatte folgenden Wortlaut: