Heft 
(1889) 39
Seite
650
Einzelbild herunterladen

Seite 650.

Deutschland.

39.

sammen. Auch hier berichte ich nur nach Hörensagen : denn einem unbesiegbaren Instinkte folgend, der mich jede Berührung mit den unsauberen italienischen Gefängnissen scheuen ließ, be­reitete ich mich gerade in diesen Tagen zu einer Reise vor. Ich wollte mit meinen kleinen Ersparnissen in die Arme meines Eduard zurückkehren und in Berlin an seiner Seite ein neues Leben beginnen.

In jener Versammlung soll es mehr als stürmisch zuge- gangen sein. Der Doktor wurde von den übrigen Komitee­mitgliedern auf dem Bahnhofe, wo er eben ein Billet nach Paris gelöst hatte, angetroffen und mit unfreundlichen Worten in das Sitzungslokal geführt. Dort wurde er am ganzen Leibe visitiert und, als man fast kein Geld bei ihm vorfand, in einer wahrhaft barbarischen Weise körperlich mißhandelt. Monsignore soll immer aufs neue gedroht haben, ihn totzustechen: aber man begütigte sich schließlich damit, ihn halb totzuschlagen.

Der internationale Kongreß zu Rom ist nicht zu stände gekommen. Und doch wäre bei einiger Ordnungsliebe ein großes Geschäft damit zu machen gewesen.

Viele Jahre später erhielt ich vom Doktor einen freund­schaftlichen Brief ans Amerika: er lud mich ein, hinüberzukom- men und wie einst wieder als medizinisches Medium zu arbei­ten. Die Sache scheiterte daran, daß er mir kein Geld für die Reise anvertrauen und ich ohne genügende Sicherheit nicht hinüberkommen wollte. Es ist schmerzlich, daß der Spiritis­mus so häufig Mißtrauen unter seine Bekenner säet.

Wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, war der Doktor damals sofort nach Paris gefahren, wo er einen großen Teil des Kongreßgeldes deponiert hatte. Er lag dort vier Wochen krank und hat sich niemals vollständig von der letzten Sitzung des vorbereitenden Komitees erholt. Eine Anzeige gegen ihn wurde nicht erstattet und auch er forderte den Monsignore nicht vor den Richter. Wie ich ans unseren Zeitschriften er­sehe, hat er drüben als ärztliches Medium eiue ausgedehnte

PrazW. (Fortsetzung folgt.)

Leven unü Vernichtung.

Von

vr. Lcrnöclri.

^^as Buch der Bücher erzählt uns mit zwingender Glaub- Würdigkeit und einer gewissen Anschaulichkeit, wie unser aller Vater Adam und seine liebe Eva zur Welt kamen, wie sie fortzeugend sich vermehrten; aber mit kurzen und die Neugier erweckendem Worten geht die heilige Schrift über die näheren Umstünde hinweg, unter denen der Originaladam aus diesem Jammerthal hinübergegangen ist. Ausfallen muß einem jeden, der sich in die spätere Mönchslitterntur vergrübt, die bald als philosophisches System, als naturwissenschaftliches Theo­rem, bald als religiöse Lehren und Versprechungen sich breit macht, wie ausführlich alle Dinge in Betracht gezogen werden, welche jenseits der Lebensgrenze liegen, und man verweilt beim Vorgänge des Todes so wenig, wie sich der Fuß beim Schwin­gen auf dein Sprungbrett aufhalt, das den Körper auf die andere Seite des Wassers hinüber führen soll. Indes scheint gerade bei diesem Punkt ein Verweilen aussichtsvoller für den forschenden Blick, als die Bemühung, in das Dunkel der Zu­kunft und der Vergangenheit zu schauen.

Ohne daß wir Methusalems Alter erreichen, sehen wir teils, teils schließen wir, daß alle Dinge ans der Welt ein Ende nehmen. Sehr platt als Gedanke, als Hoffnung sehr kräftig und furchtbar als Besorgnis. Der Felsblvck, seit Jahr­tausenden auf kecker Höh' gelagert, zerbröckelt in kleine Teile, die Wolken zerdampfen auf die Erde, genug, alles, was ist, löst sich wieder auf: aber doch geht nichts verloren. Weil wir,

alle anderen und alles andere eingesperrt sind in den großen Käfig, das Weltall, festgebannt durch die brutale Gravitation.

Wenn den Granit der Regenschauer zernagt, die Wolke der Sturm vernichtet, ein Sturm dem Gegeusturm unterliegt, und alles so zerstäubt, zerronnen dahin sinkt, da spricht der stolze Menschensinn das Wort von derErhaltung" der Kraft und Materie und meint die Veränderung d. h. aber die Vernichtung" der Form.

Die Form aber setzt bei ihrem Bestehen eine gewisse Dauer voraus; Zeiteinheiten sind bei uns Menschen Stunden, bei den Eintagsfliegen Sekunden, bei Institutionen Meuschenalter, bei Ideen, solange eine Mode dauert, und bei Monarchieen und Republiken, solange Ideen dauern können; der Rabe aber soll drei Jahrhunderte alt werden.

Der Mensch ist aber, so gut und so schlecht wie alles andere hienieden, auch nur ein Zeitgeschöpf, materiell gesprochen. Mit seinem Tode tauscht er ein gegebenes Etwas mit einer an­dern Inkonstanten ein vielleicht mit einer einzigen Aus­nahme, der Seele und was so je nach den Anschauungen des Einzelnen dazu gehört. Imponderabilien nennt ein lateinisch Wörtlein all solch Zeug, das nun einmal da ist, aber doch nicht gefaßt werden kann. Das sind die niederträchtigen, aal­glatten Atomlosigkeiten, die wir weder in die Grenzen des Na- turerkennens einfangen können, noch in irgend ein anderes Ge­fäß, und die darum nur von der reinen, der ganz reinen Phi­losophie kaptiviert werden. Philosophische Systeme sind aber wie die Imponderabilien weder im festen, flüssigen noch gas­förmigen Aggregatzustand, sondern einfach gesucht und lang­weilig. Ihr überluftiges Gebäude stützen sie auf dünne win­dige Hypothesen; frierend tritt der neugierige naive Schülersinn hinein und erfroren kommt er wieder heraus, oder noch schlim­mer, bleibt er drinnen das nennt inan reine Philosophie.

Diese Imponderabilien sind so fest in dem losen Besitz der Philosophie, daß eine objektive d. i. empirische Naturwissen­schaft bescheiden vor dem Rätsel stehen bleibt und Halt macht. Eine Naturwissenschaft freilich, die auch transcendeutal ist, eiue moderne, aber dogmatische, steckt auch hier ihre Nase vor, und doch hat schon vor vierzig Jahren Virchow ihr einen gewal­tigen Stüber gegeben, worauf diese ganze Schule freilich nur nieste. Virchow sagt irgendwo sehr schön:Es giebt einen materialistischen Dogmatismus so gut, wie einen kirchlichen und idealistischen, und der eine wie die anderen können reale Ob­jekte haben. Allein sicherlich ist der materialistische der gefähr­lichere, weil er seine dogmatische Natur verleugnet und in dem Kleide der Wissenschaft auftritt, weil er sich als empirisch dar­stellt, wo er nur spekulativ ist, und weil er die Grenzen der Naturforschung an Orten aufrichten will, wo die letztere offen­bar nicht kompetent ist." Das ist alles so wahr und einleuch­tend, daß man staunen muß, daß erst dreißig Jahre nachher Dubais dieAusschweifenden" in die Grenzen des Natnr- erkennens einfangen mußte.

Da wir also, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, beim menschlichen und tierischen Körper Imponderabilien sicher voraussetzen müssen, die der Pflanze fehlen mögen, aber, wie die Naturgeschichtsfvrscher lehren, den anorganischen zweifellos mangeln sollen, also Leben, Geist u. s. w., so werden wir gut thun, uns den Kreis der Dinge, die wir übersehen können, ge­nau abznstecken, und da finden wir zum großen Staunen, daß die zeitliche Dauer der einzelnen Formen eigentlich mit dem kleinen Einmaleins erledigt werden kann, also daß nichts beständig list als der Wechsel, wie Börne einmal sagt. Bei dieser Be­trachtung kommen wir von selbst dahin, den Tod gar nicht so schauderhaft nufzufassen, wie es von den meisten Leuten ge­schieht, Selbstmörder und Soldaten natürlich ausgenommen. Es tritt eben zu einer eben vorhergegangenen Änderung nur eine vielleicht eklatantere ein; aber mit dem Tode ist ja der Kreislauf der verbrauchten Materie noch gar nicht beendet, son­dern dann kommen oder bleiben noch andere chemische und phy­sikalische Prozesse in Gang, über die eine neuere Zeit auch stellen- und lückenweis Auskunft giebt. Die Natur geht ihren