Außer der ersten Ehe der Holks gibt es also keine Ehe in diesem Roman, keine jedenfalls, die dieser Benennung würdig wäre. Nicht einmal jenseits und außerhalb der Romanhandlung kommt eine in Sicht. Ebba, nachdem sie den Blicken des Lesers schon entschwunden ist, verlobt sich mit einem Lord Ashingham, einem Krösus, über den Pentz mitteilt, er solle „schon mit vierzehn ein ausgebrannter Krater gewesen sein" (235); was man sich wohl als Impotenz infolge einer ungewöhnlich früh erlittenen Geschlechtskrankheit auszulegen hat. Mindestens ebenso anrüchig wie diese als Ehe verlarvte Verbindung ist freilich die des obersten Repräsentanten einer zur bloßen Lebewelt heruntergekommenen Aristokratie, des Königs, mit der Putzmutter Rasmussen. So hoch hat Fontane, in den vorgerückten Lebensjahren immer skeptischer über den Adel denkend, mit seiner Kritik nie gegriffen, und die Absicht, dies denn doch einmal zu tun, ist womöglich der Grund, weshalb er den Schauplatz der Handlung über die Reichsgrenze hinausverlegt hat, als „kluger Feldherr" der Fuchtel Bismarcks gewissermaßen vorsorglich ausweichend. Da „war ich raus", kommentierte er das recht vieldeutig 15 . „Unwiederbringlich" ist kein privatistischer, mit dem „Silberstift" geschriebener Eheroman „ohne historischen Ballast und politische Bürde", wie einst Peter Demetz meinte, einer der wenigen Fürsprecher, die das Werk bisher gefunden hat 15 , sondern ein realistischer Gesellschaftsroman wie „Irrungen, Wirrungen", wie „Frau Jenny Treibei", wie „Effi Briest", an gesellschaftskritischer Verve hinter diesen dreien durchaus nicht zurückbleibend. Es ist nur nie aufgefallen, und so dauerte das Rätselraten darüber an, worauf Fontane mit diesem Roman eigentlich hinausgewollt hatte. Man probierte alle nur möglichen Paradigmata des Interpretieren durch, psychologische, linguistische, kulturphilosophische, historischpolitische, sogar sprachtiefenanalytische, und die passionierten Symboldeuter, mit einer a priori erfolgreichen Forschungsmethode im Rücken, verübten ihre gewohnten Geniestreiche. Aber nichts befriedigte, nie kamen dabei die Umrisse eines Kunstwerks zum Vorschein, das zu Bewunderung nötigt und zu Begeisterung hinreißt.
Man werfe noch einmal, vom Ende des Mittelteils her, den Blick zurück auf diese nun freigelegten Umrisse. Die dritte und letzte der Nicht-Ehen ist auf eine geradezu dreiste Weise unversteckt geblieben, und es wird ein Mirakel bleiben, daß sie nicht längst gefunden wurde. Die zweite dagegen ist unter einem schwer zu entwirrenden Gewebe von Merkwürdigkeiten recht gut versteckt. Die erste ist quasi unauffindbar. — Die dritte verkörpert sich in zwei Personen, die beide in der Romanhandlung agierend auftreten. Die zweite verkörpert sich allein in Brigitte, in nur einer Person, was in der Beschaffenheit dieser Nicht-Ehe ganz realistisch und daher besonders elegant begründet ist. Die erste ist die Nicht-Ehe zweier Menschen, die beide nicht auftreten, ja die eine dieser beiden Personen wird nicht einmal erwähnt, wiewohl wir ihren Namen erfahren. — Die dritte Nicht-Ehe finden wir unmittelbar vor der Stätte des Verhängnisses, dem Frederiksborger Schloß, in Hilleröd. Die zweite im nur wenig entfernten Kopenhagen. Die erste muß man im weit abgelegenen Holkeby suchen, und selbst dort ist sie nur noch eine verblassende Erinnerung. Die allgemeine Armut zumindest der deutschsprachigen Literatur in der Schaffensperiode Fontanes macht es schwer, ein dichterisches Parallelbeispiel für die Realisation dieser aparten Kunstidee anzugeben, für dieses Empor-
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