10 Bei Einsendung der letzten zehn Kapitel schrieb Fontane am 2, 12. 1890 an Rodenberg: „Anbei nun der Rest; möge er hinter Ihren freundlichen Erwartungen nicht zu sehr Zurückbleiben ; die Schläge fallen ja eigentlich erst hier, das läßt mich hoffen. Aber mitunter irrt man sich auch und sucht seine Tugenden an falscher Stelle." Dichter über ihre Dichtungen. Bd 12/11., Richard Brinkmann, Waltraud Wiethölter (Hrsgg.) : Theodor Fontane. S. 421
11 ebd., S. 420. Brief an Rodenberg v. 19. 11. 1890. Rodenberg folgte dem ersten Vorschlag. Der Roman erschien in diesen sechs Teilen: Januar 1—6, Februar 7—12, März 13—18, April 19—24, Mai 25—30, Juni 31—34. Vgl. Deutsche Rundschau 1891. Bd 66 u. 67.
12 Das Motiv der Verfehlung eines Dritten kommt auch außerhalb der thematisch geordneten Handlungspunkte und sogar außerhalb des Mittelteils vor, es ist das Grundmotiv des Romans überhaupt, in seiner Funktion vielleicht vergleichbar dem Quartintervall in der 1. Symphonie von Gustav Mahler, das ja alle vier Sätze beherrscht und das gemeinsame Grundelement aller Themen der Symphonie ist. So ist z. B. das Tischgespräch im 4. Kapitel noch ganz bestimmt durch die herkömmliche schleswigsche Problemfrage, ob sich Schleswig, als Staatsgeblde sui generis, für den Deutschen Bund oder aber den dänischen Gesamtstaat zu entscheiden hätte. Die Geschichte freilich hat ein desillusionierendes Drittes in petto: Schleswig wrd als Staatsgebilde verschwinden und sich für gar nichts mehr zu entscheiden haben. Es kennzeichnet Holk, daß er gerade dies Dritte vehement ausschließt: „Aber schließlich, alles ist Wahrscheinlichkeitsrechnung, lind zu dem Unwahrscheinlichsten von der Welt gehört eine Gefahr von Berlin oder Potsdam her" (27),
13 Spielhagen, Friedrich: Der Ich-Roman. Leipzig 1883. — In: Klotz, Volker (Hrsg.): Zur Poetik des Romans. Darmstadt 1969, S. 67.
14 Dichter über ihre Dichtungen. Bd 12/11. Richard Brinkmann, Waltraud Wiethölter (Hrsgg.) : Theodor Fontane. S. 414. Brief an Rodenberg v. 21. 11. 1888, mit Beilage.
15 ebd., S. 415: „Ich ging sämtliche deutsche Höfe durch, nichts paßte mir, als ich aber Nordschleswig und Kopenhagen gefunden hatte, ,war ich raus'." Man beachte Fontanes eigene Anführungszeichen !
16 Demetz, Peter: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Ullstein 1973, S. 145.
Die Höllische Ehe, bei Fontane kaum mehr als das tragende Substrat der weit komplexeren Romanidee, in „a novel without a hero" eine Gesellschaft voll schnöder, desillusionierender Überraschungen darzustellen, wuchs sich unter der Autorität dieses richtungweisenden Urteils immer mehr zur Sache selbst aus. Beim Lesen neuerer Interpreten hat man oft das Gefühl, unter lauter Lebensberater und Ehetherapeuten gefallen zu sein, wenn nicht gar unter verspätete Adepten der deutschen Innerlichkeit, denen überhaupt erst diese ex cathedra verkündete Apolitizität des Buches als Gütesiegel seiner Meisterschaft gilt. Daß Demetz diese Folge lieb ist, wird man zu bezweifeln haben, hat doch gerade er in seinem jüngsten Nachwort zu „Stine" (it 899, 1986) den Formen Fontanescher Gesellschaftskritik eine besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Das manchmal voyeuristische Interesse seiner Gefolgschaft — wenn die Anhänger der Eheroman-Hypothese so genannt werden dürfen — an der Holkschen Ehe scheiterte immer wieder an Fontanes Diskretion, stieß immerzu auf verstopfte Schlüssellöcher; doch statt daraufhin zu fragen, ob die Erwartungen, die man hegte, je berechtigt gewesen waren, schloß man aus ihrer fortgesetzten Enttäuschung auf künstlerische Mängel des Romans. Diese wiederum galt es, je nach vorgefaßter Bewertungsperspektive, entweder zu rügen oder aber — was schwieriger war — nach Demetz' Vorbild aus der Welt zu reden. Während j 0 rgensen an den Schlußkapiteln rundheraus bemängelt, der Leser müsse „das Entscheidende erraten" (s. o. Anm. 1), fühlt Demetz, der ja für das „makelloseste Kunstwerk Fontanes" geradezustehen hat, sich „versucht", entschuldigend von einer „Wiederkehr balladesker Prinzipien" zu sprechen (S. 153). Unter dem Eindruck eines epischen Mangels stehen aber in Wirklichkeit beide. Ganz ähnlich dieses Beispiel: Von dem nach Demetzscher Gliederung zweiten Erzählblock meint Dagmar C. G. Lorenz (Fragmentierung und Unterbrechung als Struktur- und Gehaltsprinzipien in Fontanes Roman „Unwiederbringlich", German Quarterly 51/1978), daß besonders er „als Fragment" (S. 494) stehenbleibe: „Plötzlich und unmotiviert bricht Holks Beschäftigung mit Brigitte ab. Die Episode bleibt als Fragment im Erzählganzen stehen" (S. 500). Abermals muß Demetz eine glimpflichere Deutung anbieten: „Brigitte gerät, nicht zuletzt durch den Ortswechsel, in Vergessenheit* (S. 149). Ortswechsel! Welch eine Entschuldigung für etwas, was unter der gewählten Perspektive nur als epischer Mißgriff erscheinen durfte. Denn beide Interpreten unterstellen dem Autor stillschweigend, er habe Brigitte zum Zweck irgendeiner Romanze mit Holk in die Handlung einkomponiert, dann aber wie in beginnender seniler Zerstreutheit aus dem Blick verloren. All solche Dilemmata verschwinden, wenn man es aufgibt, in „Unwiederbringlich" einen Eheroman sehen zu wollen. Brigitte ist eben kein erotisches Drittangebot für Holk, sie nimmt aus ganz anderem Grund am Spiel teil. Und die zweite Ehe der Holks ist eine Nicht-Ehe. Muß man mehr wissen wollen? Die unalückliche Reduzierung dieses Gesellschaftsromans auf einen Eheroman machte auch die Frage nach dem Helden unabweisbar. Demetz wurde vom guten Genius seines Instinkts davor
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