Heft 
(1988) 45
Seite
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behütet, diesen im evidentiellen, aber nicht sonderlich eindrucksvollen Protagonisten Holk zu erblicken. So mußte Christine diese sie überfordernde Rolle auf sich nehmen und dafür, wie zur Entschädigung für ihren inferioren Platz in der Handlungskomposition, nunmehr die scheueste und bedeutendste aller Frauengestalten Fontanes" (S. 155) sein; wogegen schon ihre intransigente Humorlosigkeit spricht, die dem Autor wohl kaum als Vorzug gegolten hat. Sogar H. H. Reuter (Fontane. München 1968) scheint sich dieser Sicht weitgehend angeschlos­sen zu. haben, indem er die vermeintliche Ehegeschichte noch weiter zurGeschichte eines weiblichen Schicksals" reduzierte, um sie dann freilich, in allzu jähem Rückschlag ins Uber- individuelle, zumsozialen Paradigma" für diedominierende Rolle des sozialen Vorurteils" (S. 636) zu erheben; was leider unerklärt so stehenbleibt. Schon Stefan BlessinUnwieder­bringlich" ein historisch-politischer Roman? Bemerkungen zu Fontanes Symbolkunst. Dt. Vierteljahresschr. f. Literaturwiss. u. Geistesgesch. 48/1974) hat das Gekünstelte dieses Kults um einen vorgeblichen Eheroman richtig wahrgenommen, dieseTendenz . . . , an der hohen Wertschätzung von .Unwiederbringlich' festzuhalten" (S. 672). Im Gegensatz dazu sieht er inUnwiederbringlich" den Versuch,mit Hilfe einer psychologischen Ehegeschichte poli­tische Vorgänge internationalen Formats symbolisch ins Werk zu integrieren" (S. 701). Ob Fontane das wirklich vorhatte, bleibt zwar fraglich, doch zum Glück steht wenigstens fest, daß es mißlang:Meine These ist, daß Fontane die Integration der politischen Absicht nicht gelungen sei' (S. 690). Damit macht Blessin sich den von ihm Kritisierten gleich. Versuche wie der, in den Personen der Brandnachtsparty die Teile eines skandinavischen Großreichs symbo­lisch versammelt zu finden, scheitern nicht am erzählerischen Versagen Fontanes, sondern an ihrer eigenen Abwegigkeit. Solche Interpretationen stehen schon ganz im Vorschatten jenes Pansymbolismus, den Peter Klaus Schuster ein paar Jahre später in Mode brachte und den Karl S. Guthke so treffend einesymbolizistische Paranoia" genannt hat. Er ist die jüngste Ausprägung jener abgebrühten Professionalität, die das Kunstwerk in Dienst nimmt, statt ihm zu dienen, die an seinen wirklichen Wundern geistesabwesend vorüberläuft und es nur noch als Steinbruch und Materiallieferanten zur Untermauerung irgendeines selbstgezimmerten Theo­rems ausnutzt, ohne dessen Kenntnis die Welt der Literatur nicht ärmer wäre. Kam bei einem Interpretationsansatz wie dem Demetzschen nur der Gesellschaftskritiker Fontane außer Sicht, so verschwindet in den pansymbolistischen Deutungsexpeditionen der Realist überhaupt, ja der Künstler, und an seiner Stelle erscheint ein unberechenbarer obskurantistischer Schreibkauz ohne Humor und ohne jeden Geschmack. So liest man bei Christian Grawe (Führer durch die Romane Theodor Fontanes. Frankfurt/M. Berlin Wien, 1980), daß Schleppegrell auf Schloß Frederiksborg die historischen Gemäldeim wahrsten Sinne des Wortes mit einer Fackel ins .Grelle schleppt'" (S. 202). Man sollte den Manen des toten Dichters Abbitte leisten für die Unterstellung einer solchen Insulsität. Die von Grawe bevorzugte Form der Scheinerklärung ist das Arrangieren von Gegenpolpaaren, Brigitte z. B. ist der unpolitische Gegenpol zur .politischen' Ebba" (S. 104). Die Siamgeschichte, derentextliche Umwelt" (K. S. Guthke) ihn nicht kümmert, ist ihmein umgekehrtes Spiegelbild von Holks Entwicklung" (S. 105). Manch­mal steigern sich diese beherzten Deutungen zu Berichtigungen des Romans. Westergaards und Lundbyes Lobpreis auf die Wunder der Liebe legt Grawe der Pastorin Schleppegrcll in den Mund (S. 203), Hansens Rum kippt er Brigitte ins Glas (S. 105), die Prinzessin läßt er erzählen. Schleppegrell habe die Hand der drei Nichtenaus Loyalität* ausgeschtagen (S. 202). Von perspektivistischer Pedanterie ist Grawe frei. Bei ihm ist Schleppegrell wirklichein Charakter" (S. 202), heißt Elisabeth ira Ernsteigentlich Kruse" (S. 175) und strahlt die Pastorin Schleppegrellin ihrer festen Liebe zu ihrem Mann Gelassenheit und Heiterkeit aus" (S. 202), mag auch für nichts von alldem eine Bürgschaft des Erzählers vorliegen. Daß auch solche de-facto-Textanalysen sich als werkimmanente begreifen und in der Tat mühelos als solche ausweisen könnten, setzt hinter diese Methode nur noch ein weiteres Fragezeichen. In den pansymbolistischen Dunstkreis gehören auch jene okkultistischen Spielereien, in denen Dinge oder Personen meist weibliche irgendeinem Elementzugeordnet" werden, ln Unwiederbringlich" trifft dieses Pech meist Brigitte und Ebba, die mal dem Wasser, mal dem Feuerzugeordnet" werden, es geht ja entzückenderweise immer beides. Karla Müller (Schloßgeschichten. Eine Studie zum Romanwerk Theodor Fontanes. Diss. 1984, Münchner Germ. Beitr. Bd 36) meint, daß Ebba nicht nur sowohl dem Wasser wie dem Feuerbereich zuzuordnen sei, sondern unbedingt auch die Luft noch hinzumüsse:Es ist deshalb genauer, von .Elementarbereich' zu sprechen, verstanden als Bereich der drei genannten Elemente" (S. 64). Es ist vor allem genauer zu sehen, welchen Erkenntnisgewinn uns solche Kabbalistik beschert: keinen. Gerade das Rezeptionsschicksal vonUnwiederbringlich" lehrt beispielhaft, wie müßig derartige Subtextsuche ist, solange noch nicht einmal dem puren Text die gehörige Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Ich schließe mich den schönen Worten H. H. H. Remaks an, mit denen auch Gudrun Loster-Schneider den Hauptteil ihres jüngsterschienenen Buches (Der Erzähler Fontane. Seine politischen Positionen in den Jahren 18641898 und ihre ästhe­tische Vermittlung, Tübingen 1986) abschließt (S. 299) :Fontane ist kein verschlüsselter Schriftsteller, die Suche nach komplexen Symbolen ist bei ihm fehl am Platze, Geheimnis­krämerei liegt ihm fern : er trägt seine Intelligenz klar zur Schau, seine Leser brauchen nicht herumzuraten, die Auslegung Fontanes ist keine hermetische Kunst. Nur Geschichte muß man kennen."

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