Heft 
(1889) 42
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Deutschland.

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in einen Eisenbahnwagen steigt und sich darin von einem tschechischen Schaffner bedient sieht, der aus dem inneren Böhmen durchführt und eine gewisse Herrschermiene und Ge­bieterweise merken läßt, als sei eigentlich er hier der wahre Herr im Lande. Mitten im deutschesten Örtchen, wo der Mann aus dem Königreich Sachsen noch seine heimische Sprache ver­nimmt, kommt da plötzlich eine Schaffnerschar mit den: Zuge an, steigt auf dem Bahnhof ab, radebrecht einige deutsche Laute und erfüllt dann die Luft mit Flüchen und Verwünschungen in der Sprache Ziskas. Und was das Seltsamste ist: Viele von diesen Männern haben nicht das Ansehen slawischer, böh­mischer Leute, nicht das schlichte Blond der Tschechen, sondern der Kenner deutscher Eigenart sieht fränkische, thüringische Bürte, sieht deutschen Wuchs und Körperbau, von dem er weiß, daß er ganz wo anders zu Hause ist, als drinnen im eigent­lichen Tschechenlande. Mehrere dieser Schaffner gaben mir viel zu denken. Ans den ersten Blick hält man sie für Slawen, denn sie schlendern, statt zu gehen, vor ihren Wagen herum. Das. Schlendern ist nun zwar eine allgemeine Angewohnheit des Österreichers; auch der österreichische Offizier schlendert mit einer gewissen angenehmen Nachlässigkeit, sehr zum Unterschiede vom deutschen oder italienischen Offizier. Aber unsre böhmi­schen Schaffner schlendern noch ganz anders einher: sie suchen etwas darin, ihre Glieder möglichst nachlässig um sich herum­zuwerfen, und indem sie in der Sprache Ziskas zu reden und zu rufen beginnen, nehmen sie ein Gebürdenspiel fremdartiger Menschen an, das aufgeregter, lässiger und schneller erscheint, als das der deutschen Männer. Mehrere dieser Männer habe ich lange beobachtet. Frankenbürte in slawischer Vermummung! Thüringische Gesichter und tschechisches Gebärdenspiel! Jede Sprache nötigt den Menschen unwillkürlich auch zum land­läufigen Gebürdenspiel. Jetzt aber trennt man sich, man sieht sich nicht mehr von den Männern mit den echten Slawenge­sichtern beobachtet. Und siehe da, selbst der Gang wird auf einmal ein anderer; eine ruhigere Gebärde kennzeichnet für einige Augenblicke unfern Mann; es ist ein Rückfall, deutsche Art wagt sich verstohlen hervor, und der Beobachter aus dem Reiche kennt sie genau, diese deutsche Art. Der Zugführer pfeift; die Schaffner steigen auf und nehmen von neuem eine Gebärde an, die nach deutschen Begriffen linkisch und liederlich ist: tschechische Rufe ertönen und der Zug führt weiter. War das ein Maskenzug? Waren das verkleidete Gestalten? War mir's doch, als Hütten sie sich in eine Sprache und Gebärde vermummt, die sie unkenntlich machen sollte! Wie ein Traum ist dieser Maskenzug vorüber; der Bahnhofsinspektor, der ein ruhiger Deutscher ist mit dem voigtlündischen, altfränkischen Gesicht, das einem Jean Paul und Schumann ähnelt, geht in sein Haus zurück in der gesetzten und stillen Weise deutscher Urväter und Hausherren.

Aber nicht nur in den böhmischen Grenzlanden kann man solcherlei tägliche und vielsagende Abenteuer erleben; die Sprache Ziskas hört man neuerdings auch in Salzburg öfters, als daß man nicht auch hier zu anziehenden Beobachtungen Anlaß Hütte. Hier sind es sehr oft Offiziere, welche in einem Gast­haus am buntgedeckten Tische beim Schoppen Rotwein sich in böhmischer Sprache vernehmen lassen, aber, wie es scheint, grundsätzlich damit nicht beachtet werden. Es liegt im bajuwa- rischen Wesen, daß man sich nicht so leicht ans seiner Ruhe schrecken läßt, aber man wird sich auch nicht so leicht dem fremdländisch redenden Manne anpasfen, wie das im Norden leicht geschieht. Wenn ein Mann aus dem Königreich Sachsen ins Böhmische hinüberkommt, so fängt er meist sofort an mit dem Kellnerweanerisch" zu reden. Er braucht nur über die sächsische Grenze auf den hohen Schneeberg zu steigen, den er von Dresden aus ziemlich nahe vor sich liegen sieht, so fühlt er sich plötzlich als Österreicher und wechselt sein deutsches Gold gegen Gulden ein, unter allerhand Anstrengungen, sich dem Kellner aufwienerisch" verständlich zu machen. In dieser Anschmieg­samkeit der obersächsischen Bevölkerung, zu der ein Teil der Nordböhmen gehört, würde eine gewisse Gefahr für das Deutsch­

tum auch gegenüber den Tschechen liegen, und sicherlich verliert die Arbeiterbevölkerung, welche sich sehr wesentlich vom Bauern­stand und Bürgerstand unterscheidet, hierin wechselseitig nur zu leicht ihr Volkstum in Sachsen und Böhmen. Nach der bayrischen Grenze zu dürfte diese Gefahr geringer sein, weil der Mann aus bajnwarischem Stamme nur sehr wenig diese Anpassungsfähigkeit und eine gewisse Gleichgültigkeit hat im Verkehr mit fremdländischem Wesen, die ihn mehr auf sich selber stellt.

Es wäre hochanziehend in Handel und Wandel, Arbeiter- Verkehr und sonstigem Bevölkerungsaustausch, den tiefen inneren Zusammenhang der deutschen Länder in Österreich und Deutsch­land einer genaueren Betrachtung zu nuterziehen, wie er sich an den Grenzen darstellt. Da triffst Du oben im böhmischen Erzgebirge den Viehhändler, der jede Woche einmal nach Dres­den hinunterkommt und mehr zu Deutschland als zu Österreich zu gehören scheint; auf der Landstraße aber im Angesichte des Riesengebirges kannst Dn den österreichischen Veteranen sprechen, der über Land geht nnd in der Mundart der Erzgebirgler Dir erzählt, daß er in Italien und bei Königgrätz, in Schleswig und in der Herzegowina mitgefochten hat. Von den Russen spricht er, und wie wohl bald der Krieg beginnen würde, den er nicht mehr mitmachen könne, und dann gesteht er Dir, daß Österreich da ganz allein dastehen würde, denn Deutschland würde wohl so sagen die Tschechen doch nicht mitschlagen. Wie oft hat der Reichsdeutsche in Böhmen ebenso gut wie in den Erzherzogtümern und Tirol, wenn er mit Männern aus dem Volke spricht, diese Besorgnis zu zerstreuen, daß das deutsche Bruderreich, im ausschlaggebenden Augenblicke doch nicht auf der Seite Österreichs stehen werde. Was mein alter böhmi­scher Veteran fürchtete, wie oft habe ich es auch von anderen gehört! Und eine gewisse Traurigkeit habe ich uicht nur an ihm dabei bemerkt! Und wie kommt dann, wenn das wechsel­seitige Zutrauen gewachsen ist, allmählich der Herzenswunsch zur Aussprache, daß den deutschen Brüdern in beiden Reichen, Seite an Seite, in alter Treue vergönnt sein möchte, den Verteidigungskampf zu schlagen. Du wunderst weiter im Eger- thale, Du trittst in den Gasthof, wo die Küche gleich mit in der Gaststube ist, und hörst von den Bauern mancherlei, was die Bürgschaft unverfälschter deutscher Gesinnung ist nnd lernst in Handel und Wandel den lebhaften Austausch kennen, da­zwischen den diesseitigen und jenseitigen Völkern herrscht.

Eine andere Gegend des Böhmerlandes, die zu den schönsten gehört und massenhaft von Deutschen aus dem Reiche fort­während besucht wird, ist die Gegend zwischen Zittau nnd Bodenbach, wo die böhmische Grenze ein beträchtliches Stück zwischen sächsische Gebiete hineinlüuft. Hier und weiter hinein ins Böhmerland ist das Eldorado jener schönen und leider auch allzu liebenswürdigen Mädchen, welchen mancher Dresdener Radfahrer seinen Besuch abstattet. Man streitet sich, ob die Deutschböhminnen oder die Tschechinnen die schöneren und gastfreieren sind. Große Dörfer giebt es hier, wo beinahe in jedem vierten Hause jenes ungebundenere Leben herrscht, das manche Dresdener Hausfrau mit Sorge erfüllt, wenn der Mann nach Böhmen" geht. Der Radfahrsport hat die Entfernun­gen dermaßen abgekürzt, zumal viele der herrlichsten Land­straßen ins Land der Granaten führen, daß diese böhmischen Fahrten zum dauernden Vergnügen der Dresdener Junggesellen, Fußwanderer und Radfahrer gehören, und diegemütlichen Sachsen" Pflegen da erst so recht aufzutauen, und die Leicht­lebigkeit, die sie vor norddeutschen Stämmen auszeichnet, auf das heiterste mit der Leichtlebigkeit deutscher und slawischer Böhminnen znm anmutigsten Bunde zu vermählen. Wenn nun auch an der Donau, z. B...vom schönen Passan ans, so manche Vergnügungsfahrt ins Österreichische gemacht werden soll, wie Eingeweihte in Bayern erzählen, so dürfte es doch eine besondere Eigentümlichkeit einer Anzahl von Orten im Böhmerlande sein, welche wir hier meinen. Und zwar scheint dieser Grenzverkehr schon von alters her zu herrschen; manches deutsche Volkslied spielt darauf an. Es ist kein Wunder, denn

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