Heft 
(1889) 42
Seite
692
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Deutschland.

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deutschen Naturforscher-Versammlung zu Kassel im Jahre 1878 einen darauf bezüglichen Vortrag hielt. Er wählte sie zur sprachlichen Zusammenfassung einiger auffallender Anpassungs- khatsachen, die damals kurz vorher, zum Teil auf Grund seiner eigenen Untersuchungen, bekannt geworden waren und die besondere Aufmerksamkeit der Forscherwelt erregt hatten, seitdem aber bereits förmlich zu einem neuen Wissenschafts­gebiete herangewachsen sind. Da dasselbe der denkenden Be­trachtung außerordentlich viel verschiedene Seiten darbietet, so werde ich mich nicht ans die Hervorhebung einiger ausgeprägter Beispiele beschränken dürfen, sondern auch zahlreicher Über­gänge zwischen diesen gedenken müssen, um den tieferen Zu­sammenhang des Wesentlichen zu zeigen. Denn von dauern­dem Werte ist ja nur jene Erkenntnis, die, mag sie ihren Ausgangspunkt wo immer haben, stets wieder die Einheit in der Mannigfaltigkeit begründet, wie sie uns die Allherrscherin Natur bei jedem tieferen Einblick ans Schritt und Tritt er­kennen läßt.

Die Zum Betracht stehenden Vorkommnisse betreffen stets wechselseitige Beziehungen zwischen verschiedenartigen Lebe­wesen, und zwar solche, die sich von den allbekannten Füllen des Schmarotzer- und Ernährertums in einem Punkte wesent­lich entfernen. Der ernährende Obstbanm giebt, die schma­rotzende Mistel nimmt; und sind ihrer viele, so lassen sie dem Baume, der sie beherbergt und genährt, nicht das nackte Leben. Jedenfalls gedeiht er besser ohne die zudringlichen Gäste. Ebenso macht es die Sommerwurz mit dem Haselstranch, der Kartoffelpilz mit der Kartoffel. Im Falle der Symbiose aber halten zwei Genossen zusammen, die einander ans die verschie­denste Weise fördern: mindestens ist das Wirken des einen dem andern zweifellos unschädlich; in der Überzahl der Fälle aber zeigen sich beide Teile sogar fast völlig auseinander an­gewiesen. Man hat deshalb hier auch vonFreundschafts- Verhältnissen" in der Tier- und Pflanzenwelt gesprochen. Seiner allgemeineren und darum umfassenderen Bedeutung wegen ziehe ich selbst jedoch den in der Überschrift gebrauchten Ausdruck Lebensgemeinschaften vor; sind doch Übergänge selbst von ihnen zum wahren Schmarotzertums nachweisbar, so daß De Vary die Bezeichnung im weitesten Sinne schließlich auf dieses mit anwandte.

De Vary war mit der anatomischen Untersuchung einer eigentümlichen nordamerikanischen Pflanze, der Azolla oder des Wasserkrüusels beschäftigt, als ihm bei der genaueren Durchforschung ihrer Gewebe das ständige Vorkommen fremd­pflanzlicher Bestandteile auffiel. In eigentümlichen Höhlun­gen des Inneren, die aber eine nach außen führende Öff­nung besitzen, fand er als unvermeidliche Bewohner blau- grüne Algen einer Gattung angesiedelt, die die Wissenschaft mit dem Namen Mncbnonn oder Nostoo bezeichnet. Dabei stellte sich das von vornherein sehr merkwürdige Verhalten heraus, daß niemals eine Höhlung ohne Algenbewohner gefunden wurde.

Die Azolla ist ein in verwandtschaftlicher Hinsicht ziem­lich vereinsamt dastehendes schwimmendes Wasserpflänz- chen: ein äußerst zierliches, kleines Farngewächs, das in seiner Heimat stellenweise die Wasserflächen mit einer dichten, erst grünen, später rotbraunen Rasendecke überzieht; ähnlich, aber noch ausfallender, wie bei uns die Arten der Wasserlinse die unter dem Namen der Entengrütze oder des Enten­grüns so allgemein gekannt und bekannt sind. Gleich dieser vermehrt sich die Azolla nicht bloß durch besondere Fortpflan­zungskörper (bei der einen Samen, bei der anderen Sporen), sondern auch ungeschlechtlich, ans dem Wege bloßer Knospung; und sie ist durch die Raschheit und das augenfällige Auftreten dieser besonders ausgezeichnet. Man hat diese Erscheinung auch bei uns zu beobachten Gelegenheit, da neuerdings wohl jeder botanische Garten das Pflänzchen in der warmen Jahres­zeit auf seinen im Freien befindlichen Wasseranlagen zur Aus­setzung bringt; es braucht dann nur den nötigen Raum, um sich ansznbreiten. So besitzt der Breslauer botanische Garten

einen ziemlich geräumigen Teich; ans diesem waren anfangs der achtziger Jahre im Frühjahr unbeabsichtigt, durch einen Zu­fall, ans einem kleineren Steinbecken, das in der Nähe des Üfers stand, einige Azollen verstreut worden und hatten sich daselbst, anfangs unbeachtet, zwischen dem llferschilfe und an­deren Gewächsen vermehrt. Bald aber erregten sie die Auf­merksamkeit der Gartenbesncher in hohem Grade; sie wucherten vom Rande nach der Mitte des Teiches hinaus, und hatten ihn bereits im Spätsommer derart erfüllt, daß man buch­stäblich nichts mehr von dem Wasserspiegel sah; alles war ein einziger schwimmender Rasen. Im Herbst war dann die Ver­mehrung so stark geworden, daß sich die lebende Pflanzendecke an vielen Stellen hügelig über die Oberfläche erhob, und man wiederholt dazu schreiten mußte, unter Benutzung eines Kahnes große Mengen ausznschöpfen, um freies Wasser zn schaffen; bis die Lücken nach kurzer Zeit aufs neue ausgefüllt waren. Der Winterfrost richtete dann später allerdings die meisten Pflänzchen zn Grunde; aber der kleine Teil, der entweder in­folge günstigerer, geschützterer Lage, oder kräftigeren Baues verschont blieb, genügte, um im folgenden Sommer schnell die gleiche Erscheinung hervorznrnfen, die sich seitdem alljährlich dort wiederholt.* Auch in Berlin hat sich Ähnliches, in etwas geringerem Ümfange, zngetragen; und selbst in der Umgebung der Reichshauptstadt hat sich die Pflanze durch absichtliche oder unabsichtliche Verschleppung eingebürgert. Es ist Wohl möglich, daß sie sich mit der Zeit völlig in Deutschland hei­misch macht, was bei ihren: ungemein zierlichen Aussehen ge­wiß nicht zu bedauern sein würde.**

Ein ganz anderes Wesen ist die Minlmonn, die Perl- schnur- oder Rosenkranzalge. Sie bildet grüne, gallertige Klumpen, die sich erst unter dem Mikroskope als ebenfalls in ihrer Art zierliche Gebilde erweisen, nämlich als zusammen­hängende, in Gallert eingebettete, bogig hin und her gewundene Zellfüden, deren Einzelglieder von kugeliger Gestalt sind und daher gewissermaßen regelmäßige Einschnürungen zwischen sich er­kennen lassen, wodurch das Ganze eine auffallende Ähnlichkeit mit einer Perlschnur oder einem Rosenkränze erhält. Diese Ähn­lichkeit wird noch durch die sogenannten Grenz z ellen (Hetero- kysten) erhöht, welche erheblich größer als die übrigen sind und sich durch stärkeres Auswachsen einzelner Glieder in ziemlich gleichen Abständen zwischen den gewöhnlichen, kleiner bleiben­den entwickeln. Die Gallertmassen, in welche das Ganze ein­gebettet ist, stammen, wie die Entwickelnngsgeschichte lehrt, von den Zellwänden der Algenfüden her, indem diese miteinander verquellen und schließlich eine gleichartige Masse bilden, ähn­lich wie dies bei der Gum Unbildung höherer Pflanzen ge­schieht.

Die Rosenkranzalge ist auch noch dadurch merkwürdig, daß sie eine, wenn auch langsame, Eigenbewegnng besitzt. Nicht bloß einzelne Zellen sind, wie bei vielen anderen Algen, tierisch beweglich und dienen alsSporen" der Fortpflanzung, sondern ganze Fadenstücke, Kriechfäden oder Hormogonien genannt, nämlich die, welche sich zwischen je zwei Grenz­zellen befinden sind im stände sich loszntrennen und ans der gemeinsamen Gallerthülle heransznkriechen, um sich an einem anderen Platze anzusiedeln, woselbst sie sich durch Teilung ver-

* Da die Azolla, wenigstens die damals in Betracht kommende Art, aus den Sümpfen Karolinas stammt, so mögen allerdings die WiN terungsverhältnisse Breslaus mit ihren außerordentlich heißen Sommern der Verbreitung der Pflanze besonders günstig sein. In gleicher Aus­dehnung hat man ihr Wachstum meines Wissens kaum irgendwo in Deutschland beobachtet.

** Freilich hat man mit einem anderen nordamerikanischen Ge­wächse, der berüchtigten Wasserpest, weniger in Deutschland, wohl aber in England schlimme Erfahrungen gemacht, indem diese durch ihr un­aufhaltsames Wuchern vielfach schon der Flußschisfahrt hinderlich gewor­den ist. Diese Pflanze bildet jedoch weit verzweigte, in sich zusammen­hängende Stöcke, während sich die Azollen nach der Abknospung vonein­ander trennen und, gleich den Wasserlinsen, einzeln nebeneinander schwim­men; sv daß sie, ihre Würzelchen frei ins Wasser hineinragen lassend, stets nur die Oberfläche verdecken.