Heft 
(1889) 43
Seite
703
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43.

Deutschland.

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So soll es sein. Und nnn will ich meine Sachen holen," entgegnete Berthold, froh, so bald diese für ihn so wichtige Frage erledigt zu haben. Er reichte Frau Dobeneck die.Hand, dann streckte er sie auch Christa entgegen. Diese hatte sich aber schon abgewandt und ging dem Nebenzimmer zu, um dort sofort alles für den neuen Mieter zu besorgen.

Angenehme Menschen," dachte Berthold, während er zur Bahn ging, um dort sein Handköfferchen in Empfang zu neh­men. «Oinnin men. Emun porto,» sagte er mitleidig, über sich selbst lächelnd, als er seinem neuen Heim wieder znschritt.

Nein, das geht nicht, Sie haben sich beraubt," wandte er sich an Christa, als er bei seiner Rückkehr den schönen Fuch­sienstock in seinem Zimmer fand.

Wieder trat die gewinnende Heiterkeit in Christas Augen. Haben Sie schon vergessen, daß Ihnen ein Viertel von dem, was wir haben, zu gute kommen soll? Oder wollen Sie lieber die Myrte haben?"

Die Myrte? Nein deren darf ich Sie nicht berau­ben?" Die Frage war ihm so ans die Lippen gekommen; aber jetzt, als er sah, wie Christa ein wenig errötete, färbte auch seine Wangen flüchtiges Rot.

Ah, deshalb," sagte Christa endlich und verschwand in der Küche, von woher statt des Milchgcruches jetzt Braunkohl­düfte die kleine Wohnung durchdrangen.

Ach deshalb," wiederholte Berthold, während er seine ganzen .Habseligkeiten, welche in ein wenig Leibwäsche, einem stark getragenen Anzüge und Büchern bestanden, anspackte. Es hatte so entsagend geklungen und deutlich hatte darin gelegen, daß sic nie daran denken konnte, ihr Haupt einst mit der Myrte zu zieren.

Es klopfte leise.Das Essen ist fertig, wenn Sie kornmen wollten?"

Gleich, gleich." Wenige Minuten später erschien Berthold in dem gemeinsamen Wohnzimmer, wo der Tisch sauber für drei Personen gedeckt war, und er bemerkte mit einer gewissen Beschämung, daß Christa doch wenigstens versucht hatte, sich zu schmücken, indem sie einen kleinen unechten Schildpattkamm in das geordnete Haar geschoben und eine bescheidene Brosche vorgestcckt hatte. Und er hatte gar nichts für sich gethan. Morgen wollte er besser für sich sorgen.

Jetzt beten Sie wohl, Herr Stein?" fragte Frau Dobeneck. Berthold faltete die Hände und sprach das Tischgebet. Wie ihn das anheimelte, daß er zur Familie gehörig betrachtet wurde. Wie lange hatte er dieses Gefühl nicht mehr gehabt? Zn Hanse sein Herz zog sich zusammen hatte er auch beten müssen. Und unter dieser Gemütsbewegung sprach er besonders ausdrucksvoll, und seine Stimme entwickelte ihren ganzen Wohlklang. Auch Christa empfand dies, und das Tischgebet, welches im sorgenden Drange der Geschäfte, unter dem abstumpsenden Einflüsse der langjährigen Gewohn­heit bei ihr fast zur leeren Form herabgesunken war, gewann wieder seine alte, stärkende Kraft. Sie freute sich schon auf den Abendsegen. Ob er ihn auch sprechen würde?

Berthold traf gerade einen Fleischtag, was Christa lieb war. Sie verzehrten ihr Mittagsessen fast schweigend, wie Menschen, welche angestrengt arbeiten und mit den Gedanken halb noch bei der Arbeit weilen, es meist zu thnn pflegen. Stein stellte nur einige Fragen, bezüglich seiner Immatrikulation,

welche jedoch weder Christa noch Frau Dobeneck beantworten konnten.

Mahlzeit!" Berthold wollte aufstehen, doch ein eigen­tümlicher Blick Christas, unter dem er errötete, belehrte ihn, daß er wohl so lange warten müsse, bis die Pastorin das Zeichen zum Aufstehen gebe. Er hatte während der langen Zeit seines Aufenthalts in der Schneiderfamilie die gesellschaft­lichen Formen, auf welche seine Eltern streng hielten, beinahe verlernt.

Am Nachmittage besorgte er verschiedene Gänge und kam erschöpft zurück. Da klopfte es wieder an seine Thür.Wollen Sie den Kaffee auf Ihrer Stube oder mit uns trinken?" fragte Christa jetzt.

Oh wenn es Sie nicht stört so"

Durchaus nicht." Christa verschwand und empfand mit leisem Schrecken, daß sie sich darüber freute, daß Berthold mit ihnen gemeinsam den Kaffee nehmen wollte. Bei kleinen Leuten Pflegt die nachmittägliche Kaffeestunde die geselligste des ganzen Tages zu sein, und so kam es, daß Berthold jetzt gesprächiger wurde und den beiden Frauen von seiner Vergangenheit und den Hoffnungen der Zukunft erzählte. Er wollte, wie sein Vater, Theologie studieren.

Frau Dobeneck nickte zustimmend mit dem Kopfe. Kein Beruf stand in ihren Augen höher, wie der eines Geistlichen. Ihre Jugend ist nicht reich an Freuden gewesen," bemerkte

Christa;möge sich die Zukunft desto froher gestalten!"-

Ihre Stimme klang noch leiser und sanfter wie gewöhnlich.

Berthold bewegte zustimmend den Kopf und ergriff, wie von einer plötzlichen Eingebung erfaßt, die magere, knochige Hand Christas.Ich danke Ihnen für den guten Wunsch, Fräulein" er stockte, er wollte «Christa» sagen, doch es siel ihm ein, daß dieses viel zu vertraut klänge-Fräu­

lein Dobeneck."

Christa lächelte. Sie wußte warum er inne gehalten hatte, ermutigte ihn aber nicht, vertraulicher zu ihr zu sprechen.

Nun trennten sie sich, Berthold ging wieder aus, um sich noch einige Bücher zu beschaffen. Das Abendessen wurde ge­meinsam eingenommen, dann folgte die Andacht, welche Berthold abhielt, und darauf schieden sie, um das Lager zu suchen. Am nächsten Morgen hörte Stein sein erstes Kolleg, seine übrige Zeit teilte sich zwischen den häuslichen Arbeiten und den mit den beiden Dobeuecks eingenommenen Mahlzeiten.

Als die Woche verstrichen war, stellte Christa die Rech­nung zusammen und legte sie ans Bertholds Zimmer. Er be­zahlte dieselbe, und wenige Worte des Dankes wurden aus­getauscht. Wochen, Monate vergingen, ohne daß eine größere Annäherung zwischen Berthold und Dobeuecks erfolgte. Nur daß er die Tochter jetzt ,Früulein Christw nud daß sie ihn zuweilen, auf seinen besonderen Wunsch, Herr Vertholcü an­redete, weil der Klang dieses Namens, den er so selten hörte, stets liebe Erinnerungen in ihm erweckte. Der Schneider hatte ihn nur «Stein» genannt und ihn zur Abwechslung höchstens mit Schimpfworten bedacht.

(Fortsetzung folgt.)