Heft 
(1889) 43
Seite
704
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Seite 704.

Deutschland.

43.

Helgoland und Sansibar.

Bon

W. Asrnrissen.

Berichterstattung der Tagespresse über den Vertrag zwischen Deutschland und England in Bezug auf Afrika gipfelt gewöhnlich in dem Satz, daß Deutschland Helgo­land gegen Sansibar eingetauscht habe. Daß Deutschland hier­bei einen schlechten Handel gemacht habe, wird dabei meistens direkt oder indirekt konstatiert. Kolonialfreunde erfüllt der Tausch mit Besorgnis, die Gegner der Kolonialpolitik mit geheimer oder offener Schadenfreude; glauben sie doch daraus schließen zu dürfen, daß die Reichsregierung überhaupt auf die Kolonieen nicht viel giebt.

Rein äußerlich betrachtet, macht Deutschland freilich einen schlechten Tausch, denn Helgoland ist kaum einen halben Quadrat­kilometer groß und wird nur von reichlich 2000 Menschen be­wohnt, während die Hauptinsel Sansibar allein ans 1590 Qua­dratkilometern an 150000 Bewohner zählt. Helgoland hat eine durchweg arme Bevölkerung, die an Steuern kaum soviel aufbringt, als die Regierung an Ausgaben aufzuwenden hat, ist also in wirtschaftlicher Beziehung wertlos, um so mehr, da auch keiue Aussicht ist, daß die Jufel jemals als Handelsort eine Rolle spielen wird, nur das Seebad kann sich heben, wenn etwas dafür gethan wird; aber von den jetzigen znm Teil etwas primitiven Verhältnissen lebt ein großer Teil der Insulaner, eine Veränderung des Betriebes durch zeitgemäße Verbesserung der Einrichtungen hat nicht notwendig eine Aufbesserung der materiellen Lage der Insulaner zur Folge, es kann auch das Gegenteil eintreten. Unter keinen Umständen, weder in der Gegenwart noch in der Zukunft, kann die Abtretung Helgolands als materieller Gewinn für Deutschland aufgefaßt werden. Ganz anders Sansibar! Die Stadt hat nicht nur eine Zukunft, sie ist schon heute der bedeutendste Handelsplatz in Ostafrika. Die Bewohner sind wenigstens zum Teil reiche Händler, und das Geld von Sansibar beherrscht die ostafrikanischen Handelsplätze bis zu den großen Seen, ja bis ins Kongobecken hinein. Hier unterliegt es keinen, Zweifel, daß die Besetzung der Insel und ihrer Hauptstadt ein materieller Gewinn ist!

Aber die Sache hat noch einen anderen Haken. In dem Maße, in dem unsere europäische Politik wichtiger und älter ist, als unsere Kolonialpolitik, in demselben Maße muß Afrika zurücksteheu, wenn es sich um Lebensfragen in Europa han­delt. Reichskommissar von Wißmann macht gar kein Hehl daraus, daß England bei der Sache den besten Handel ge­macht hat; aber nach den Eröffnungen, die ihm von aller­höchster Seite gemacht wurden, erkennt er rückhaltlos an, daß Deutschland richtig gehandelt hat und nicht anders handeln konnte. Auch wir Hütten es mit Freuden begrüßt, wenn Deutsch­land bei dem Abkommen ein wenig mehr Hütte retten können. Auch wir Hütten gerne Sansibar eine deutsche Stadt genannt, wenn auch Witu und das entlegene Uganda in fremde Hände geraten wären. Aber wir vergleichen darum das deutsch-eng­lische Abkommen noch nicht mit dem Tage von Olmütz. So viel uns auch au unseren Kolonieen gelegen ist, so wenig wir auch mit denen übereinstimmen, die die Kolonialpolitik einen dummen Streich nennen: so können wir uns doch nicht mit denen befreunden, die, wie es scheint, alles Heil der Zukunft von den Kolonieen erwarten.

Sansibar war denn doch noch nicht unser Eigentum, wenn wir auch darauf gerechnet hatten, daß es uns als reife Frucht über kurz oder lang in den Schoß fallen würde. Jedenfalls Hütte es langwieriger Verhandlungen bedurft, ehe man uns Insel und Stadt ungestört gelassen Hütte. Ja auch der Küsten­streifen, der nun unser Eigentum wird, war und ist bis jetzt nur Pachtgut. Betrügt auch die Pachtzeit fünfzig Jahre, so könnten doch nach Ablauf der Pachtjahre die Verhältnisse so ungünstig liegen, daß eine Wiederverpachtnng an Deutsche nicht erfolgen würde. Dann wäre unser Kolonialbesitz vom Meere

abgeschnitten und entweder ganz wertlos oder doch um ein Be­deutendes entwertet. Die Abtretung des Küstenstreifens ist in unseren Augen mehr wert, als Uganda und Witu. Immerhin wäre es schön gewesen, hätten wir die vorgelagerten Inseln und namentlich Sansibar dazu gehabt. Man sagt ja auch, England hätte an Witu und Uganda genug gehabt und Hütte uns Sansibar um so eher überlassen können, weil es doch Haupthandelsplatz unserer Interessensphäre ist und weil in der That heute der Handel Sansibars weit mehr in deutschen als in englischen Händen sich befindet. Daß unsere Diplomatie das Ihrige gethan hat, um Sansibar an Deutschland zu ketten, ist für Einsichtige selbstverständlich; aber auch England hat bei der Teilung des Sultanats nicht leer nusgehen mögen. So hat Deutschland denn einen Besitz preisgegeben, den es freilich noch nicht formell sein eigen nennen durfte, ans den es aber doch gleichsam die nächste Anwartschaft hatte, vielleicht be­gleitet von dem Gedanken, daß England den Wert der Insel überschätze.

In der That sind es zumeist Kolonialpolitiker vom grünen Tisch, die da meinen, nach der Preisgabe von Sansibar seien unsere Kolonieen wertlos, oder es sind Leute, die die Verhält­nisse in unseren Schutzgebieten nur oberflächlich kennen. Daß die Sache so ganz schlimm nicht sein kann, geht schon daraus hervor, daß wir bislang ohne den Besitz von Sansibar fertig geworden sind und nur den Zugang vom Meere her zu un­seren Kolonieen gepachtet hatten. Ja, es ist überhaupt noch keinem Kolonialpolitiker eingefallen, zu erklären, daß der Besitz von Sansibar uns unumgänglich notwendig sei. Erst nachdem es in andere Hände gekommen ist, sind bei uns Stimmen laut geworden, daß wir es Hütten nehmen müssen. Freilich liegt ja auch die Sache etwas ungünstiger für uns, wenn Stadt und Insel Eigentum unserer Handelskonkurreuten sind, als wenn sie einer Macht gehören, die beiden konkurrierenden Mächten gleich freundschaftlich gegenübersteht, oder, um es gerade heraus zu sagen, die es mit keiner verderben darf.

Jedenfalls fällt es doch stark ins Gewicht, daß,, Kenner der Gegend und der Verhältnisse erklärt haben, die Übergabe Sansibars an England sei im Interesse der deutschen Kolonial­politik bisher unterblieben; aber deshalb seien unsere Kolonieen doch noch nicht wertlos. Ja, es fehlen auch die nicht, welche meinen, daß die Preisgabe Sansibars überhaupt unseren Ko­lonieen keinen Schaden thnn würde. Sie alle gehen dabei von einem Punkt aus, daß nämlich Sansibar ohne die gegen­überliegende Küste, also ohne das deutsche Schutzgebiet, seine Rolle als Handelsstadt zum großen Teil einbüßen müsse. Und jedenfalls hat die Sache Hand und Fuß. Eine Insel von dreißig Qnadratmeilen Größe kann weder viele Handelswaren erzeugen, noch, auch bei denkbar stärkster Bevölkerungsdichtig­keit, verbrauchen. Sansibar lebt als Handelsstadt fast aus­schließlich vom Zwischenhandel zwischen Europa und Indien einerseits und Afrika andererseits. Von Afrika kommt hier zu­nächst das deutsche Interessengebiet an der Ostküste und daran sich anschließend das Seengebiet und das Kongobecken in Be­tracht. Wird nun Sansibar von der Küste politisch getrennt, so wird sich naturgemäß der Handel mehr nach den Küsten- stüdten hinziehen, von denen einige dazu noch weit bessere Häfen haben als Sansibar. Daß die deutschen Dampfer künftig nicht mehr Sansibar allein anlaufen, sondern einen oder mehrere Häfen an der deutsch-ostafrikanischen Küste, und daß die deut­schen Handelsschiffe in Zukunft auch diese letzteren aufsuchen werden, unterliegt keinem Zweifel. Dann aber müssen sich schon die Händler von Sansibar auch dorthin ziehen, wenn sie etwas verdienen wollen. So werden zunächst die deutschen Küsten­häfen Sansibar Konkurrenz machen und es nach und nach um so sicherer überflügeln, als sie dem produzierenden Hinterlande näher und bequemer liegen. Allerdings wird der Ümschwung kein plötzlicher werden und auch nicht in dem Maße eintreten, als man meint, wenn man behauptet, Sansibar werde mit der Zeit einmal für England ein Helgoland, ein wertloser Besitz, den es noch einmal aus freien Stücken an Deutschland abtreten