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Deutschland.
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Jüngern vom Meißel nnd von der Palette jahrelang billig erschien, sollte, wie wir wohl in Übereinstimmung mit allen unseren Lesern annehmen, auch den Rittern vom Pechdraht und von der Ahle recht sein. Dem unbefugten Pamphletisten aber, durch dessen lärmsüchtiges Vorgehen die Verbitterung erst geschaffen wurde, ihm wird man wohl Zurufen dürfen: Schuster, bleib bei Deinem Leisten — oder, wie schon der berühmte Bildhauer (sio!) Appelles einem vordringlichen Kollegen des Herrn D D entgegnete: Xo 8utor 8upru ere^ickarrr! Damit glauben wir ein für allemal u. s. w. u. s. w."
Es wurden Nachforschungen angestellt und, ohne Zuhilfenahme bellamystischer Kunststücke, ergab sich schließlich folgender, unter die inonunrenta Oernmnias würdig einzureihender Sachverhalt, den Tages-, Wochen- und Monatsblätter den höher als baß erstaunten Lesern nicht vorenthielten:
„Es bestätigt sich, daß bis zum Jahre 1890 einschließlich über die Aufnahme von Gemälden und Skulpturen in die allsommerlich abgehaltene «Große akademische Kunst-Ausstellung» eine Jury, auch Hünge-Kommission genannt, zu befinden hatte. Dieser Gerichtshof, dem der inappellable Spruch über den künstlerischen Wert der eingesandten Kunstwerke Vorbehalten war und der über die vom Staate für alle Künstler geöffneten Räumlichkeiten frei verfügte, setzte sich zusammen aus akademischen Würdenträgern, Professoren und beliebten Künstlern. Im Gegensatz zu der schon damals von allen Seiten verurteilten Censur, die selbst in den schlimmsten vormürzlichen Zeiten nur die eventuelle Anstößigkeit der künstlerischen und littera- rischen Erzeugnisse nach der politischen, religiösen und moralischen Seite zu prüfen hatte, übte die sogenannte Jury eine unumschränkte Kunstpolizei aus. Daß, selbst bei zuweilen gewiß vorhandenem besten Willen, diese Körperschaft, in welcher fast ausschließlich akademisch erstarrte Theorieen zum Ausdruck kamen, den Bestrebungen der jüngeren Generation und den rücksichtslosen Versuchen eigenartiger nnd eigensinniger Neuerer keiueswegs gerecht werdeu konnte, braucht Lesern von einiger kunstgeschichtlichen Erfahrung nicht erst bewiesen zu werden. Wenn die Werke von Schiller, Richard Wagner, Heine und Anzengruber erst auf den Beifall der Fachkollegen Hütten warten müssen, ehe sie das Licht der Öffentlichkeit erblickten, so wären ihre Schöpfer unbedingt verhungert und wir säßen noch in aller Gemächlichkeit bei Gottsched und Bach und allenfalls bei Klopstock. Man darf wohl die Behauptung aufstellen: Je stärker die Persönlichkeit eines Künstlers ist und je kraftvoller sein Temperament, desto schwerer wird es ihm werden, anderen Individualitäten ein gerechter Richter zu sein. Es zeigte sich denn auch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, daß auf den Kunstausstellungen nicht etwa die Mittelmäßigkeit und die totale Unfähigkeit durch das Walten der Jury zurück- gedrängt wurde, sondern es bildete sich im Gegenteil ein Nepotismus und Epigonismus aus, der allen frei aus der Tradition Hernusstrebenden Naturen Luft und Licht wegnahm und einen geradezu verhängnisvollen Einfluß auf die gesamte Kunst- eutwickeluug übte. Denn da ein Maler oder ein Bildhauer, dessen Werk von den angesehensten Fachgenossen, ohne Angabe von Gründen, mit dem Stempel der Untauglichkeit versehen ist, kaum noch einen Weg an die Öffentlichkeit frei hat, während ihm ein Censurverbot aus religiösen, moralischen oder gar politischen Gründen eine Riesenreklame macht, so gewöhnten sich die unglücklichen Künstler mehr und mehr daran, schon beim Schaffen auf die sattsam bekannten Anschauungen der hochwohllöblichen Kunstpolizeibehörde Rücksicht zu nehmen. Natürlich ging dabei der feinste persönliche Reiz verloren, und die markigsten Individualitäten zwängten sich gewaltsam in die allein selig machende Schablone ein. Das ging so weit, daß man auf der akademischen Kunstausstellung von 1890, der schlimmsten ihrer Art, ganz allgemein denselben Ruf ausstieß, dem wir heute in den Sälen unserer akademischen Stiefel-Ausstellung auf Schritt und Tritt begegnen: Immer der alte Stiebel! Schon im nächsten
Jahre entschloß man sich denn auch, den alten Zopf endlich abzuschneiden, alle einlaufenden Kunstwerke nach der Reihenfolge der Ablieferung aufzunehmen, soweit es der verfügbare Raum eben gestattete, und an die Stelle der genossenschaftlichen Kunstpolizei die einzig urteilsberechtigte Justanz treten zu lassen: das Publikum, so klug oder so dumm es ebeu zu finden ist. Daß sich von jenem Jahre 1891 der in den weitesten Kreisen bekannte „Verfall" der bildenden Künste herschreibt, werden selbst die wütendsten Tabulaturverteidiger unter unseren Meisterschustern nicht behaupten wollen. Sie haben ja in der Eingangshalle die überlebensgroße Statue ihres geschätzten Kollegen Hans Sachs aufgestellt und am Eröffnungstage sich in der vierten Berliner Oper die „Meistersinger" Vorspielen lassen; sollte ihnen da das Wort des Nürenbergers entgangen sein:
«Wer als Meister gebaren, der hat unter Meistern den schlimmsten Stand!»
u. A. w. g."
Dieser Artikel war nicht von Or. Flibustier geschrieben: aber er wurde dennoch viel beachtet. „Unglaublich!" sagten die Leute des Jahres 2000, als sie die „freien" Künste kennen lernten aus dein Jahre 1890. Und ein arg verspäteter Historienmaler begann eine Riesenleinwand zu grundieren, die den Titel tragen sollte: „Die letzte Sitzung der Jury."
Berichtigung. Nr. 42 Zeile 35 des Artikels lies statt Meister- myoten: Meisternepoten.
Lebensgemeinschaften.
Von
vr. Theodor Jaensch. (Fortsetzung.)
^^bgleich nun, wie gesagt, die Perlschnuralgen unter den verschiedensten Verhältnissen auch allein Vorkommen, ist der Vorteil, der ihnen aus dem gesetzmäßigen Zusammenleben mit der Azolla erwächst, unserem Verständnisse viel zugänglicher. Selbst wenn sie nichts weiter dort finden, als geeigneten Unterschlupf, so muß dies sie schon vor ihren nicht auf gleiche Weise geschützten und geborgenen Schwestern begünstigen. Außerdem aber könnte recht wohl auch das Dahiutreiben auf dem Wasser, infolge der schwimmenden Lebensweise ihres Gastgebers, und die Berührung mit stets neuen Wasserschichten, selbst in stehenden Gewässern für ihren Lebensgang von erhöhter Bedeutung sein.
Die Azolla ist gänzlich landfremd bei uns. Obgleich mau vier gut unterschiedene Arten kennt, ist doch keine derselben in Europa einheimisch. Um so merkwürdiger ist es, daß man bei allen vieren stets die gleiche Vergesellschaftung mit der Perlschnuralge beobachtet; während diese letztere sich nicht nach entsprechend verschiedenen Arten trennen läßt. Im Lichte der Abstammungslehre betrachtet, führt dies nebenbei zu dem Schluffe, daß die Arteutreuuung der Azollen schon zu einer Zeit statt- gesunden haben muß, da die Lebensgemeinschaft mit der Alge bereits zu einer feststehenden Eigentümlichkeit ausgebildet war. Man müßte dann annehmen, daß seitdem die ursprünglich ein- artige Azolla noch abgeändert habe, die Rosenkranzalge aber nicht; was bei deren viel einfacherer und gleichmäßigerer Lebensweise nicht so auffallend sein würde.
Länger bekannt, als bei dem besagten Schwimmfarn, ist das Vorkommen ähnlicher Rosenkranzalgen in den Hohlrüumen gewisser Landpflanzen; so in den Wurzeln der Palmenfarne oder Cycadeen. Zu ihnen gehört die Pflanze, deren immergrüne Blätter, oder besser Wedel, bei uns massenhaft in Gewächshäusern gezüchtet werden und fälschlich unter dem Namen „Palmzweige" bei Begräbnissen dienen. Sie sind besonders in Australien einheimisch, und manche von ihnen liefern aus dem Marke ihres Stammes Sago. Die Wurzeln dieser