Heft 
(1889) 43
Seite
707
Einzelbild herunterladen

43.

Deutschland.

Seite 707.

Gewächse nun bilden eigentümliche Gabel-Auszweigungen, und zwischen deren Zellen dringen sehr häufig Gallertalgen ein. Zugleich hat dies eine eigentümliche, innere Wachstumsabünde- rung zur Folge; eine bestimmte, sonst nicht von ihrer Umgebung verschiedene Zellschicht bildet sich förmlich zu einer Art Balken­gerüste heraus, mit großen, untereinander verbundenen Zwischen­räumen. Diese Zwischenräume dnrchwnchert die Alge, sie all­mählich gänzlich aussüllend; und sie selbst wird dabei so ver­ändert, daß sie, anstatt kugeliger Gallertmassen, verzweigte, strauchartige Körper bildet. Ähnliches kommt vor bei Gun- nera, einer als Blattgewächs zur Schmückung von Rasen­plätzen neuerdings häufig in der Ziergürtnerei verwendeten Pflanze, die zu der Ordnung der Nesselblumer gehört; nur siedeln sich hier die entsprechenden Nvstoksormen im Stamme an. Auch in Moosen und Lebermoosen hat man sie gesetz­mäßig verbreitet angetrosfen. Doch ist ihr Vorkommen nirgends so bezeichnend wie bei der Azolla.

Dagegen ist dies der Fall bei einer ganzen Gruppe von Gewächsen, die man als Gallertflechten bezeichnet. Hier kann man auch von einem nachgewiesenen Nutzen reden, den die Alge ihrem Beschützer bringt. Die Perlschnuralgen, die man im Körper dieser eigentümlichen Lebewesen antrifft, sind vergesellschaftet mit einem Pilze; und mit diesem zusammen eben machen sie den Leib der Flechte aus.

Die Gallertflechten sind eigentümliche pflanzliche Gebilde, welche sich als laubige, seltener stranchige Überzüge an geeigne­ten Orten, ans feuchter Erde, Steinen, Baumstümpfen und dergleichen finden; sie sind dadurch vor anderen ihresgleichen ausgezeichnet, daß sie bei feuchter, besonders regnerischer Witterung gallertartig zu, im Vergleich mit ihrer Ausdehnung im gewöhn­lichen Zustande, unverhültnismäßiger Größe aufquellen. Wo sie sonst den Blick kaum ans sich gelenkt haben würden, fallen sie bei Regenwetter oft schon von weitem durch ihre Masse und ihr sonderbares Aussehen ins Auge. Stellt man in diesem Zu­stande einen dünnen Schnitt aus ihrem Körper her und unter­sucht diesen unter dem Mikroskope, so zeigt sich folgendes. In einer unförmlichen, gleichmäßig durchsichtig erscheinenden Gallertmasse, die den Hauptteil des Ganzen ausmacht und keinerlei deutlichen Einzelaufbau mehr erkennen läßt, ziehen sich dünne, vielfach verzweigte und verfilzte, farblose Pilzfüden hin und her, und zwischen diesen liegen, in unregelmäßiger Anordnung, die uns wohl bekannten blnngrünen Perlschnüre der Rosenkranz­alge. Anderartige Bestandteile sieht man außerdem nur bei der Fruchtbildung. Bleiben wir bei denen, die sich an jeder Gallertflechte finden, auch wenn sie nicht in Fruchtbildung be­griffen ist, so hat man nun freilich früher diese Pilzfäden und Perlschnüre für zusammengehörig, und das Ganze für ein ein­heitliches Lebewesen angesehen. Man betrachtete die grünen Schnüre als besondere Lebensglieder des sonst farblosen Haupt­körpers, und belegte sie mit dem Namen derGonidien." Aber ihre Ähnlichkeit mit den auch sonst bekannten Rosenkranzalgen erweckte doch schon früh den Verdacht, daß sie selbständig seien; und dieser Verdacht ist durch die genauere Erforschung zur Gewißheit geworden. Sie sind in der That ebenso selb­ständig, wie die Rosenkränze in den Blatthöhlnngen der Azolla. Man kann sie ans dein Flechtengewebe befreien, und sie wuchern weiter: auf eigene Hand, ohne Hilfe von Pilzfüden, wenn sie nur die nötige Feuchtigkeit haben. Hiermit scheint zugleich der Beweis geführt, daß ihnen der pilzartige Flechtenbestandteil nichts nützt. Man hat sie deshalb in der That auch von manchen Seiten selbst im Flechtenverbande als selbständig und den Pilz nur als Schmarotzer ans ihnen betrachtet.

Diese Auffassung erhält noch eine weitere scheinbare Stütze dadurch, daß der Pilz allein für sich nicht leben kann. Jede Gallertflechte entwickelt mit der Zeit Frnchtkörper, in denen sich Urkeime oder Sporen, also einfache Fortpflanzungszellen, er­zeugen. Diese Fruchtkörper werden aber lediglich aus dem Pilzgewebe gebildet. Die grünen Perlschnüre haben keinen Anteil daran. Somit ist es natürlich, daß aus den von ihnen gelieferten Sporen auch nur wieder Pilzgewebe entsteht; und

das thnt es in der That. Eben dieses Verhalten zeigt auch allein schon, daß man es hier mit zwei verschiedenen Pflan­zenwesen zu thnn hat; denn wenn die grünen Zellreihen zu dem Lebenskörper der Pilzfüden gehörten, so müßten sie sich auch wieder aus ihnen erzeugen können. Dies geschieht nicht; wenigstens niemals, wenn der Versuch mit der nötigen Vor­sicht angestellt wird: das heißt so, daß zu den jungen, der Spore entkeimten Pilzfüden nicht anders woher wieder gleich­artige Perlschnuralgen gelangen können. In den vereinzelten Fällen, wo solche nachträglich dennoch auftraten, war es nicht sicher, woher sie gekommen waren; jedesfalls konnte nie be­wiesen werden, daß sie sich ans dem Pilzgewebe selbst gebildet hatten.

Übt man aber die gebotene Vorsicht, so entwickelt sich nicht bloß ein Pilzkörper allein, sondern dieser geht auch bald wieder zu Grunde. Er kann nur zu ganz geringer Größe an- wachsen und sich aus kurze, bemessene Zeit selbständig erhalten; darüber hinaus bedarf er der Alge. Insofern darf man ihn allerdings als Schmarotzer auf dieser auffassen; und er verhält sich darin ganz wie andere pflanzliche Schmarotzer auch, seien es Pilze oder Blühgewächse. Jedes Schmarotzerwesen ist nur für einige Zeit, für seine erste Jugend, mit der Fähigkeit selb­ständigen Fortkommens ausgerüstet; hat es diese nicht benutzt, oder nicht benutzen können, um sich einen geeigneten Gastgeber zu suchen, so hat es sein Leben verspielt. Es verhungert; es wächst sich selbst zu Tode.

Dies beruht auf den Ernührungsverhültnissen. Die Ernährung der Pilze gleicht der der Tiere. Sie sind wohl im stände, Nahrung aufznnehmen; aber diese muß bereits vor­her chemisch in lebenskörperliche Formen gebracht sein. Es fehlt ihnen das Pflanzen grün, an dem die Fähigkeit der anderen Gewächse haftet, die Kohlensäure der Luft zu ver­arbeiten. Und ohne Kohlensäure kein Kohlenstoff, der doch notwendig ist, um die Eiweißverbindungen zu bilden, die die stoffliche Grundlage alles Lebendigen abgeben. Den Kohlen­stoff aus der Kohlensäure zu gewinnen, das ist das Kunststück, das nur die grünen Pflanzen fertig bringen, das sie vor den Tieren voraus haben, und das ihnen noch kein Chemiker nachgemacht hat. Sie brauchen nur Licht dazu.

Die grünen Pflanzen können daher allein aus den ver­witterten Bestandteilen des Bodens und aus der Luft ihre Nahrung bereiten und ihren Körper anfbanen. Die Tiere können dies nicht; daher kann die Erde wohl allein von Pflan­zen, aber nicht von Tieren allein bevölkert gedacht werden. Und den Pilzen geht es wie diesen; sie können ebenso wenig von der Luft leben," wie sie.

Es ist nun deshalb nicht 'notwendig, daß alle Pilze eigentliche Schmarotzer sind und ihren gesamten Nährstoff einem andern Lebewesen entziehen, denn es kommt nicht daraus an, ob die Stoffe, die sie brauchen, noch frisch oder schon zer­setzt sind: wenn sie nur die nötigen Grundverbindnngen und vor allem Kohlenstoff in irgend einer brauchbaren Form enthalten. Daher sind viele von ihnen bloße Fäulnisbewohuer; sie nehmen ihre Speise ebenso gut von den Toten, wie von den Lebenden. Es genügt, wenn der Boden, auf dem sie wachsen, Verwesungsbestandteile enthält. Nur auf reinem, gänzlich moderfreiem Boden kann kein Pilz gedeihen. Sie sind eben als Pflanzen an den Ort gekettet; sie haben keine inneren Verdauungswerkzenge und können nichtfressen," wie die Tiere; sondern einzig mit der Wurzel oder dem, was bei ihnen die Wurzel der höheren Gewächse vertritt können sie Nah­rung von außen aufnehmen, wie sie ihnen der Boden bietet; und sie müssen dort wohnen, wo sie solche finden?

* Was hier von den Pilzen gesagt ist, gilt ebenso von vielen Schmarotzern und Fäulnisbewohnern der blühenden Pflanzenwelt. Auch ihre Ernährung weicht von der der übrigen Gewächse ab; auch sie müssen fertige kohlen- und stickstoffhaltige Nahrung aufnehmen, die sie ihren: Wirte entziehen. Allerdings giebt es auch solche, die ihn nicht ganz für sich arbeiten lassen, sondern nur seine Wurzeln, indem sie ihm bloß die von diesen aus dem Boden gelieferten Nährsalze zum Teil ent­nehmen. Ein solcher unvollständiger und doch oft sehr schädlich wirken-