Heft 
(1889) 43
Seite
708
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Deutschland.

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Erwägt man dies alles, so stellt sich das Verhältnis zwischen Pilz und Alge in der Gallertflechte, wie folgt. Die Alge, als grüne Pflanze, zersetzt mit Hilfe des Lichtes Kohlen­säure und erwirbt auf diese Weise Kohlenstoff für den gemein­samen Haushalt, den sie zunächst, wie es die Grünzellen aller Pflanzen thun, verbunden mit Wasserstoff und Sauerstoff in der Gestalt von Stärke ablagert. Welche stofflichen Um­wandlungen mit diesem Ersterzengnis dann weiter Vorgehen, ist hier gleichgültig. Dagegen ist sie durch den sie umspinnen­den Pilz selber von der unmittelbaren Aufnahme der im Wasser gelösten Nährsalze aus dem Boden abgeschlossen; sie ist also gerade durch die Gemeinschaft mit ihm schon nicht mehr im stände, alle ihre Lebensverrichtungen selbständig zn besorgen. Dies schadet nichts; der Pilz tritt für sie ein. Was er ihr auf der einen Seite nimmt, ersetzt er ihr ans der anderen Seite; und er thnt dies reichlich, indem er gewissermaßen künstlich eine Wurzel für sie abgiebt, die ihr sonst fehlt. Die Pilzfüden nehmen leicht Feuchtigkeit auf; sie führen der Alge die Nühr- salze des Bodens zu, benutzen sie aber dafür als Bereiterin der Eiweißstoffe, welche sie aber erst ans diesen Nührsalzen in Verbindung mit der von ihr selbst gebildeten Stärke Her­stellen kann. Ja, sie liefern der Alge sogar die sin die Stürke- bildung notwendige Kohlensäure, indem sie diese selbst be­reiten; denn im Verlaufe ihres tierischen Stoffwechsels atmen sie sie ans. Darum hinwieder schadet der Alge die verhält­nismäßige Abschließung von der Luft nicht, unter der sie sich durch den Pilz befindet. Zugleich schützen die Pilzfüden sie gegen Anstrocknung sowohl wie gegen Verletzung, und schließ­lich dringen sie in die Unterlage, oft hartes Gestein, ein und sorgen für Befestigung des Ganzen.

Bon den durch solches Zusammenwirken gebildeten Eiweiß­stoffen aber lebt und wächst sowohl Pilz als Alge; denn ihre Zellhänte sind so innig aneinander gelegt, daß die Baustoffe zur Ergänzung ans den Zellen des einen Teils in die des andern und umgekehrt gelangen können, als wären es nur ver­schiedene Gewebe derselben Pflanze. Die ursprünglich von der Alge herrührenden Gallertmassen tragen auch noch dazu bei, in vorkommenden Füllen viel Feuchtigkeit auf einmal aufzu­nehmen und sich, einem Schwamme ähnlich, mit Wasser voll- zusangen; außerdem erhöht die Quellung desselben aber auch die Dnrchscheinigkeit des Ganzen und erleichtert das Hinzn- treten des Lichtes zu den grünen Zellen.

Nach alle diesem scheint es, als ob zwar, wenn die Alge sich einmal in der Vergesellschaftung mit dem Pilze be­findet, sie durch ihn nicht geschädigt wird, auch gewisser Vor­teile genießt; daß sie aber ebenso auch ohne ihn würde aus- kommen können. Man möchte meinen, die Dienstleistungen, die er ihr erweist, seien ihr erst durch die Verbindung mit ihm not­wendig geworden und Hütten daher keinen unbedingten Wert für sie, so daß er dennoch als bloßer Schmarotzer zn be­trachten wäre.

Aber dieser Schein trügt. Wohl kann die Alge auch ohne den Pilz leben, aber sie kann es nicht an jedem Orte.

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Ich habe bisher nur von den Gallertflechten gesprochen, weil diese sich durch die in ihnen herbergenden Rosenkranz­algen am besten an das erstgeschilderte Verhalten der Azollen anschließen. Es bleibt nunmehr nur hinzuzufügen, daß das,

der Schmarotzer ist die gewöhnliche Leimmistel; wie alle nach ihrer Art lebenden Pflanzen besitzt sie eigenes Blattgrün, mit Hilfe dessen sie sich die nötigen Baustoffe aus der umgebenden Luft selbst bereitet. Die vollständigen Schmarotzer dagegen sind bleich, wie die Pilze, und haben die Blätter, die ihnen bei der Ernährung doch nichts nützen wür­den, nur spurweise angedeutet in Gestalt von mißfarbigen Schuppen. Ihr Stoffwechsel ist eben völlig der der Pilze; sie können keine Kohlen­säure zerlegen; und das Gleiche gilt von den sogenannten Moder- oder Verwesungspflanzen, wie der bekannten braunen Nestwurz unserer Wäl­der, einer der sonst so schön und meist lebhaft gefärbten Ragen (Orchideen). Sie stimmen in der Lebensweise mit den Moderpilzen überein, wie die Vollschmarotzer mit den Schmarotzerpilzen.

was ich von den Gallertflechten ansgeführt habe, von den so­genannten Flechten überhaupt gilt. Zur Zeit wenigstens kann es als unbedingt festgestellt behauptet werden; erst die jüngsten Tage haben noch die überzeugendsten Beweise gebracht. Nur wird oft die Stelle der Rosenkranzalgen durch einfache Algen anderer, immerhin der verschiedenartigsten, Gruppen ver­treten.

Obgleich der wissenschaftliche Allgemeinname der Flechten noch nicht völlig in den Sprachgebrauch des Volkes über­gegangen ist, so kann man doch im ganzen darauf rechnen, daß der Gebildete von ungefähr weiß, was darunter gemeint ist; und der Gegenstand selbst ist von Ansehen wohl jedem bekannt. Überall, ans Steinen, Holzplanken, Bretterwänden, an nackten Felsen wie ans der Rinde lebender Bäume, allen Unbilden der Witterung ausgesetzt und allen trotzend, erscheinen sie bald nur in Form dünner Krusten, ja als staubartige Überzüge oder Anflüge, bald mehr oder weniger sich von der Unterlage lanb- artig oder stranchig erhebend; in gelber oder grauer, weißlicher oder grünlicher Farbe; bald mit der ganzen Unterseite, bald mit einzelnen polsterförmigen Stellen, bald nur an einem Punkte befestigt und von da frei herabhangend. Eine der gewöhn­lichsten ist die gemeine Gilbkruste oder Wandflechte, die rein gelbe Überzüge bildet; aber auch das Heilzwecken dienende Jslündisch-Moos, die Lackmusflechte, das sogenannte Rentier­moos, die Landkartenflechte sind bekannt genug, und jeder Be­sucher des Riesengebirges wird sich desRübezahlsbartes" erinnern, der von den Bäumen des Nadelwaldes herabhüngt und thatsächlich zur Herstellung von Bärten für holzgeschnitzte Rübe­zahle dient, anderwärts aber einfach als Bartflechte bezeichnet wird. Die größte Ausdehnung erreichen die Flechten in den Tundren Sibiriens und überhaupt des hohen Nordens; hier bilden sie die Hauptmasse des Pflanzenwuchses, indem sie alles mit einem gleichmäßig dichten, sumpfigen Rasen überziehen, der den sonst nackten, eisigen Boden verhüllt.!

Von allen diesen genügsamen Wesen steht jetzt die Zu­sammengesetztheit des Leibesaufbanes fest; und es sind nur eben verschiedene Pilze und verschiedene Algen, die sich in ihnen vereinigen. Nach der Art ihrer Zusammensetzung ändert die Beschaffenheit ihrer inneren und äußeren Er­scheinung ab; und besonders durch den pilzlichen Bestandteil wird sie wesentlich bestimmt. Die Algen aber gehören ineist, wenn man von den vorhin erwähnten Gallertflechten absieht, einzelligen Arten an, das heißt solchen, die zeitlebens auf der Formwertstnfe einer einzigen Zelle stehen bleiben. Ans diesem Grunde auch konnte der Verdacht der Selbständigkeit auf sie verhältnismäßig erst spät fallen. Denn sie treten als ver­einzelte grüne Zellen in den Lücken des Pilzgewebes auf; und bei dieser Einfachheit ihrer Form konnte ihre Übereinstimmung mit der sonst freilebender Wesen nicht so viel Überraschendes haben. Gegenwärtig steht ihre Algennatur versuchsmäßig fest, so gut wie bei den Gallertflechten. Nachdem de Vary die ersten Vermutungen in dieser Richtung ausgesprochen hatte, hat Schwendener später, gestützt aufseine eigenen, de Barhs, Famintzins und Baranetzkis Arbeiten die umfassende Lehre von der Doppelwesenheit aller Flechten ausgesprochen und wohl begründet: während er anfangs selbst gesehen zu haben glaubte, daß die Grünzellen des Verbandes an den Enden der bleichen Pilzfüden als Aussprossungen dieser selbst entstünden. Den versuchlichen Beweis für die Richtigkeit seiner Schlüsse haben dann die Botaniker Rees und Stahl geliefert; ihnen gelang es, aus Pilz und Alge Flechten künstlich zusammenzusetzen. Sie nahmen Pilzsporen des einen und Algenzellen eines anderen Verbandes, züchteten sie an­fangs einzeln und brachten sie erst nachträglich zusammen: das Ergebnis war eine Flechte, der gleich, ans der die Pilz­sporen stammten. Obwohl dies genügt hat, die Einwendungen der älteren Flechtenforscher gegen die neue Auffassung zum Verstummen zu bringen, sind doch in jüngster Zeit die müh­samen Untersuchungen noch weiter geführt worden. Möller hat den Beweis erbracht, daß auch die Flechtenpilze selbständig