äckerschen Wohnung (Kap. 6) wirkt in diesem Sinne als metaphorische Persönlichkeitserweiterung. Die Wohnungseinrichtung bezeugt den allgemein guten ästhetischen Geschmack des Bewohners, übersteigt aber bei weitem dessen finanzielle Mittel. Die Bilder der Wohnung nutzt Fontane ebenfalls zur indirekten Charakterisierung Bothos. Es sind zwar sehr wertvolle Bilder, doch sollen sie wohl mehr den Anschein geben, Kunstkenner zu sein, als echtem Kunstbedürfnis zu dienen. Es gehört eben zum „guten Ton", teure Gemälde zu besitzen, und auch Rienäcker wird erst durch den ihm bei einer Verlosung zugefallenen Achenbachschen „Schneesturm" zum „Kunstenthusiasten". Gemälde sind eine gute Wertanlage. Neben zeittypischen Einrichtungsgegenständen, wie z. B. dem Plüschsofa, gibt es sehr individuelle Teile des Interieurs. So erzeugen persischer Teppich und Kanarienvogel eine leicht exotische Atmosphäre. Es geht also keineswegs um eine naturalistische Abschilderung von Details, sondern in der bewußten Auswahl offenbart sich eine enge Beziehung von Raum und Figur. Im Individuellen, in charakterlichen Besonderheiten, treten dabei auch Züge des Typischen hervor — das Menschenbild gewinnt an Plastizität.
In „Irrungen, Wirrungen" als Berliner Roman spielt die Stadt als Lebensraum der Figuren eine überaus große Rolle. Das epische Geschehen wird in einen historisch- und lokal-konkreten Rahmen gestellt. Im typischen Berliner Fluidum treten zugleich allgemeine gesellschaftliche Erscheinungen hervor. Darüber hinaus verdeutlicht die Stadt soziale Strukturen, offenbart sich ein enges Bezugsgeflecht zwischen Räumen und den gesellschaftlichen Kreisen der Figuren. Der städtische Austragungsort der Konflikte unterstreicht ausdrücklich deren Öffentlichkeits- und Repräsentativcharakter. Über örtliche Gegebenheiten wie Lagebeziehungen von Straßen und Wohnungen gelingt es Fontane, das Sozialgefüge zu zeichnen und gleichzeitig feinste Seelenregungen der Figuren anzudeuten. So ist das Dörrsche Gartenhaus dem Zoologischen Garten polar zugeordnet. Diese Polarität ist ein Ausdruck der Gegensätzlichkeit der entsprechenden Lebensräume. Der Zoologische Garten bleibt für Lene ein Motiv der Sehnsucht. Er stellt für sie eine unerreichbare soziale Welt dar.
„Weißt du, Botho, wenn ich dich nun so nehmen und mit dir die Lästerallee drüben auf und abschreiten könnte, so sicher wie hier zwischen den Buchs- baumrabatten, und könnte jedem sagen: ,Ja wundert euch nur, er ist er und ich bin ich, und er liebt mich und ich liebe ihn' — ja Botho, was glaubst du wohl, was ich dafür gäbe?" 11 Die Distanz kann sie zwar räumlich, doch niemals sozial überwinden. In tieferer Bedeutung erscheint auch der Umstand, daß die Wohnung des Ehepaares Rienäcker in der Landgrafenstraße keine tausend Schritte von der Dörrschen Gartenwohnung entfernt ist. So hat Botho ständig Wilmersdorf, den Ort seines Glücks, vor Augen. Ebenso wie er räumlich noch eng mit Lene verbunden ist, kann er sich auch gefühlsmäßig nicht von ihr losreißen (Kap. 16). Als Lene durch eine zufällige Begegnung von dieser unmittelbaren Nachbarschaft erfährt, beschließt sie sofort den Umzug. Dieser Ortswechsel deutet zugleich einen Richtungswechsel im Erlebnisverlauf der Figur an, denn nur durch die räumliche Distanz zum Geliebten kann sich Lene auch gedanklich soweit von Botho lösen, daß sie am Ende zu einer anderen Verbindung bereit ist. Das junge „Eheglück" ständig vor Augen hätte ihr das Herz zerrissen. Von der neuen Wohnung aus sehen Lene und Frau Nimptsch dann statt auf den Zoologischen Garten auf die hübsche Kuppel der
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